Landsberger Tagblatt

Wie China mit Milliardär­en umgeht

Von Alibaba-Gründer Jack Ma gibt es weiter keine Spur. Doch das Verschwind­en des Unternehme­rs scheint einem Muster zu folgen – und nährt das Misstrauen in die Tech-Giganten

- VON FELIX LILL

Peking „Wenn du als Unternehme­r nicht optimistis­ch bist, steckst du in Schwierigk­eiten“, hat der chinesisch­e Vorzeige-Unternehme­r Jack Ma einmal gesagt. Außerdem noch dies: „Ein wahrer Unternehme­r hat keine Feinde. Sobald er das verstanden hat, ist nur der Himmel die Grenze.“Derzeit mag man sich fragen, ob Jack Ma diese Sprüche auch heute noch für weise hält. Denn seit der Gründer der chinesisch­en Online-Handelspla­ttform Alibaba und des Bezahldien­stes Alipay Anfang November von chinesisch­en Behörden vorgeladen wurde, fehlt in der Öffentlich­keit jede Spur von ihm.

Zuvor hatte er Ende Oktober auf einer Wirtschaft­skonferenz in Shanghai die chinesisch­en Behörden als rückständi­g und nicht mehr zeitgemäß bezeichnet. Er wünsche sich lockerere Regulierun­gen für Unternehme­n seiner Branche, außerdem einfachere Kreditbedi­ngungen für Junguntern­ehmer. Kurz darauf sagten die Finanzbehö­rden den Börsengang der Alibaba-Finanztoch­ter Ant Group kurzerhand ab. Das Debüt sollte eigentlich 34,5 Milliarden USDollar einbringen, galt als bislang größter Börsengang der Welt. Seitdem wird spekuliert, ob der Milliardär und vermutlich reichste Mensch Chinas mit seiner offenen Kritik an der Kommunisti­schen Partei wohl zu naiv gewesen ist – und sich nun sehr wohl Feinde gemacht hat.

Mehrere Stimmen haben die Möglichkei­t erwähnt, der Unternehme­r und gelernte Lehrer sei entführt worden. Beobachter aus dem näheren Umfeld halten es dagegen für wahrschein­licher, dass Ma von chinesisch­en Behörden eine Art Maulkorb verpasst worden sei. Doch schon das wäre bemerkensw­ert. Schließlic­h galt Jack Ma bis dahin als so etwas wie der Nice Guy aus China. Ein extroverti­erter Typ, der sich wohlfühlt, wenn er Interviews gibt, auf Stühlen von Talkshows und TV-Jurys sitzt oder über soziale Medien mit der globalen Gesellscha­ft kommunizie­rt. Während die Regierung in Peking zuletzt mitunter durch territoria­le Ansprüche,

Aufrüstung, restriktiv­e Handelspra­ktiken, Umerziehun­gslager und die Unterdrück­ung demokratis­cher Bewegungen auffällt, kam Ma in der Welt vor allem positiv rüber, sogar wenn er die Menschen wieder mit einer seiner vielen Weisheiten belehrte.

Neben seinen unternehme­rischen Visionen ist Ma dafür bekannt, dass er viel Geld für Bildung und Gesundheit spendet. Selbst das Nihon Keizai Shimbun, die führende Wirtschaft­stageszeit­ung aus dem mit China oft rivalisier­enden Japan, bezeichnet­e ihn 2020 als Vorbild: „Chinesisch­e Tycoons haben eine Pflicht, Jack Ma in dessen Philanthro­pie zu folgen.“

Ob Ma nun lieber schweigt oder tatsächlic­h festgehalt­en wird: Nicht zum ersten Mal fallen Personen aus der chinesisch­en Wirtschaft, die bis dahin viel zu sagen wussten, durch plötzliche Stille auf. Der US-amerikanis­che Business Insider hat Anfang des Jahres eine längere Liste zusammenge­tragen. Schon im März verschwand der Immobilien­unternehme­r Ren Zhiqiang von der Bildfläche. Zuvor hatte er die Kommunisti­sche Partei dafür kritisiert, die Corona-Pandemie nicht gut gemanagt zu haben. Er erhielt eine 18-jährige Gefängniss­trafe. Weitere Kritiker der Corona-Politik wurden festgenomm­en, etwa der Rechtsprof­essor Xu Zhangrun und der Menschenre­chtler Zhang Xuezhong.

Dabei handelt es sich um ein Phänomen, das nicht erst seit der Corona-Pandemie beobachtet wird. 2017 berichtete die Nachrichte­nagentur Reuters, wie der Unternehme­r Xiao

Jianhua aus einem Hotel in Hongkong entführt worden war. Später schrieb der Guardian, dass Xiao vorgeworfe­n wurde, er habe potenziell­e Investoren von chinesisch­en Börsen weggelockt. Teile seiner Tomorrow Group, die Anteile in Branchen wie Versicheru­ng, Immobilien, Finanzen oder Kohle hält, musste Xiao dann abgeben.

In Hongkong wurde zuletzt auch der Medienunte­rnehmer Jimmy Lai festgenomm­en: Mit seiner Zeitung Apple Daily kritisiert er die Regierung in Peking regelmäßig. Derzeit steckt er in einem Gerichtspr­ozess, an dessen Ende eine lange Gefängniss­trafe stehen könnte. Außerdem machte im vergangene­n Jahr der Fall von He Xiangjian Schlagzeil­en, der Gründer des Robotikkon­zerns Midea und seit einigen Jahren auch Eigner des deutschen Roboterbau­ers Kuka aus Augsburg. He wurde im Juni in seiner Villa überfallen und sollte offenbar gekidnappt werden.

Spekulatio­nen nach dem größten Börsengang

Midea‰Gründer wurde in seiner Villa überfallen

Dabei ist He stets vorsichtig gewesen, was öffentlich­e Äußerungen angeht. Und er hatte die Ermittler auf seiner Seite. Kurz nach dem Vorfall im Juni verhaftete die chinesisch­e Polizei fünf Personen, die offenbar in die Sache verwickelt waren. He Xiangjian blieb auch nach der Affäre zurückhalt­end. Sein Unternehme­n gab danach nur diese Mitteilung heraus: „Danke an die Sicherheit­sbehörde, die Medien und allen Bereichen der Gesellscha­ft für ihre Sorge.“

Doch die Spekulatio­nen um den Verbleib von Jack Ma haben für Chinas Kommuniste­n auch einen Preis. Denn die Erzählung von der Unabhängig­keit der heimischen Tech-Riesen wird nun weniger glaubwürdi­g. Die Japan Times schätzt aber, dass Xi Jinping bereit ist, diesen Preis zu entrichten. Denn im kommenden Jahr steht der große Parteikong­ress an. Xi dürfte dann versuchen, seine Macht für mindestens fünf weitere Jahre zu sichern. Diesem Vorhaben darf niemand im Wege stehen. Jack Ma hätte es besser wissen können. Eine seiner vielen Weisheiten ist diese: „Wenn du erfolgreic­h sein willst, lerne von den Fehlern anderer Menschen.“

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Foto: Thibault Camus, dpa Milliardär Jack Ma ist weiterhin verschwund­en.

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