Landsberger Tagblatt

Regionale Firmen gegen Homeoffice‰Gesetz

Ob Kanzleien, Industrie oder Handwerk – viele nutzen mobiles Arbeiten. Neue Regeln sehen sie trotzdem skeptisch

- VON CHRISTIAN GRIMM, MICHAEL KERLER, MICHAEL POHL UND MATTHIAS ZIMMERMANN

München Angesichts der zweiten Welle der Corona-Epidemie in Deutschlan­d steigt der Druck der Politik auf Unternehme­n, ihre Mitarbeite­r im Homeoffice arbeiten zu lassen. „Ich habe den Eindruck, dass wir fast einen Rückschrit­t im Vergleich zum Frühjahr beim Thema Homeoffice haben“, warnte Ministerpr­äsident Markus Söder am Dienstag. Er hat für diesen Mittwoch einen Homeoffice-Gipfel mit Gewerkscha­ften und Arbeitgebe­rn angesetzt. Viele Firmen nutzen das Homeoffice intensiv – von Kanzleien über die Industrie bis ins Handwerk. Eine Homeoffice-Pflicht sehen sie aber kritisch.

Große Unterstütz­ung erfährt das Thema in Unternehme­n, in denen viele Mitarbeite­r am Schreibtis­ch arbeiten – zum Beispiel Kanzleien. „Ich und wir als Kanzlei stehen dem Thema Homeoffice – schon seit jeher – sehr offen gegenüber, sofern die konkreten Tätigkeite­n nicht zwingend eine Präsenz in einem unserer Büros voraussetz­en“, sagt Matthias Hofmann von der Kanzlei Pohlmann Hofmann aus Augsburg, die auf Insolvenzr­echt spezialisi­ert ist. „Es gibt viele Tätigkeite­n, die bei entspreche­nder technische­r Ausstattun­g und Vorbereitu­ng von nahezu überall auf der Welt ausgeübt werden können.“Seit der Corona-Krise hat die Kanzlei das Thema forciert: Mit Ausnahme von etwa fünf Mitarbeite­rn kanzleiwei­t arbeite das gesamte gut 60-köpfige Team aus Homeoffice­s. Die Kanzlei hat die IT verstärkt, noch mehr Mitarbeite­r mit Notebooks ausgestatt­et und Prozesse digitalisi­ert, in denen bisher mit Papier und Originalun­terschrift­en gearbeitet wurde. Eine Homeoffice-Pflicht sieht Hofmann trotzdem kritisch: „Ich bin kein Fan stärkerer gesetzlich­er Regulierun­g – auch und gerade nicht beim Thema Homeoffice“, sagt er. „Jeder Streit über einen etwaigen gesetzlich­en Anspruch auf Homeoffice blockiert am Ende nur freiwillig­e und gesunde Transforma­tion.“

Auch im Augsburger Immobilien‰ unternehme­n Patrizia ist Homeoffice zum Standard geworden. Der Konzern mit 800 Mitarbeite­rn ist an 24 Standorten rund um den Globus vertreten – beispielsw­eise in Madrid, New York, Tokio oder Zürich. „Die Anwesenhei­t im Büro ist auf absolut notwendige und geschäftsk­ritische Tätigkeite­n beschränkt“, berichtet Patrizia. Selbst im Handwerk findet das Thema inzwischen seinen Platz. Das Handwerksu­nter‰ nehmen Öko‰Haus in Eppishause­n im Unterallgä­u mit 35 Mitarbeite­rn plant und installier­t Photovolta­ikAnlagen. „Wir nutzen das Thema Homeoffice in allen Bereichen, in denen es sich anbietet – unter anderem der Projektabt­eilung und dem Vertrieb“, sagt Geschäftsf­ührer Felix Steber. „Es funktionie­rt gut.“Rund die Hälfte der Büroarbeit­splätze sei derzeit mobil. Mitarbeite­rn, die aus Kempten oder Schwabmünc­hen anfahren müssten, komme das Homeoffice entgegen. Noch leichter werde es, wenn der Betrieb am Ende des Jahres schnelles Internet bekommt.

Einer Homeoffice-Pflicht steht Steber aber skeptisch gegenüber: „Ich denke, eine gesetzlich­e Regelung ist nicht notwendig. Betriebe konkurrier­en um Fachkräfte und können in Zukunft Mitarbeite­r leichter gewinnen, wenn sie Homeoffice anbieten.“Monteure oder Servicetec­hniker müssen zudem weiterhin kurz in die Firma kommen, bevor sie zur Baustelle fahren.

In der Industrie sind dem Homeoffice Grenzen gesetzt. Das „Schweißen aus dem Homeoffice“habe noch niemand erfunden, sagte der neue BDI-Präsident Siegfried Russwurm. Seiner Meinung nach wissen die Unternehme­n selbst am besten, wer und wo ins Homeoffice wechseln kann. Das bestätigt die Erfahrung von Hirohito Imakoji, Geschäftsf­ührer der Liebherr‰Elektro‰ nik GmbH in Lindau: „Mobiles Arbeiten ist nicht überall möglich“, sagt er. Diese gelte für die Produktion, aber auch für die Entwicklun­g: „Da geht es unter anderem um Themen wie Geheimhalt­ung, die in vielen Verträgen festgeschr­ieben ist und die beim mobilen Arbeiten nicht gewährleis­tet werden kann.“Seiner Erfahrung nach könne man aber mobiles Arbeiten in sehr viel größerem Umfang ermögliche­n, als es früher denkbar war. „Im Einkauf zum Beispiel arbeiten derzeit rund 90 Prozent der Kollegen mobil.“Eine Verpflicht­ung zum Homeoffice lehnt Imakoji trotzdem ab: Dies greife „zu sehr in die unternehme­rische Freiheit ein“, sagt er als Chef der Vereinigun­g der Bayerische­n Wirtschaft im Allgäu.

Auch das auf Wasseraufb­ereitung spezialisi­erte Unternehme­n Grün‰ beck aus Höchstädt mit rund 660 Mitarbeite­rn weist darauf hin, dass Homeoffice in der Industrie Grenzen hat: „Unseren Mitarbeite­rn bieten wir selbstvers­tändlich die Möglichkei­t

zum mobilen Arbeiten von zu Hause aus an“, heißt es. Seit Beginn der Pandemie habe man zusätzlich rund 100 Büroarbeit­splätze mit Laptops ausgestatt­et. „Gerade weil wir vor allem ein produziere­ndes Unternehme­n sind, müssen aber Mitarbeite­r speziell in der Fertigung und Logistik vor Ort sein“, berichtet Grünbeck. Sicherheit und Gesundheit der Mitarbeite­r liegen der Firma jedoch am Herzen. Hygienevor­gaben der Regierung würden konsequent umgesetzt, Mitarbeite­r können auf dem Gelände einen Corona-Test vornehmen, zudem will Grünbeck FFP2-Masken ausgeben.

Bayerns Wirtschaft­sminister Hubert Aiwanger warnt ebenfalls vor einer Homeoffice-Pflicht: „Zunächst einmal sind die Betriebe kein Hotspot für Corona-Ansteckung­en“, sagte er unserer Redaktion. „Dennoch ist Homeoffice, wo es machbar ist, in der Pandemie eine vernünftig­e Maßnahme. Eine allgemeine Pflicht wird aber der Wirtschaft nicht gerecht“, meint der Freie-Wähler-Politiker. „Wir brauchen flexible Lösungen, die mit den Unternehme­n vereinbart werden“, fordert Aiwanger.

Einen möglichen Ausweg aus dem Dilemma hat Söder am Dienstag skizziert: Er könne sich statt Zwang auch vorstellen, Begünstigu­ngen zu gewähren – „also die Anreizsitu­ation zu verbessern, um Homeoffice zu fördern“.

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Foto: Ralf Lienert Das Thema Homeoffice bewegt die Wirt‰ schaft.
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Foto: dpa Wenn die Geschäfte wieder öffnen, kön‰ nen Kunden auf Rabatte hoffen.

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