Positiver Nebeneffekt
Wegen der Hygienemaßnahmen gibt es derzeit weniger Grippe- und Norovirusfälle. Auch normale Erkältungen sind seltener. Wie sich die Zahlen verändert haben
Augsburg Im Winter ist das für gewöhnlich ja so: Irgendwann erwischt es einen, dann trieft die Nase und der Hals kratzt. Dass man sich in der kalten Jahreszeit etwas einfängt, ist eher die Regel als die Ausnahme – in diesem Winter indes ist das anders. Der Grund für diese Entwicklung: Die Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie haben einen positiven Nebeneffekt. Sie schützen uns eben nicht nur vor Covid-19, sondern auch vor vielen anderen Infektionskrankheiten. Vor eher harmlosen wie einer schnöden Erkältung, aber auch vor solchen, bei denen man mitunter länger flachliegt.
„Grundsätzlich ist im Vergleich zu den Vorjahren ein Rückgang bei einigen gemeldeten Infektionskrankheiten zu beobachten“, bestätigt ein Sprecher des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) gegenüber unserer Redaktion. Das gilt etwa für Infektionen mit dem Norovirus, das schwere Durchfälle auslöst. Wurden 2019 noch knapp 10000 Fälle im Freistaat gemeldet, waren es 2020 nurmehr rund 3900. Auch die Zahl anderer MagenDarm-Erkrankungen ist gesunken. So wurden dem LGL 2020 nur knapp über 800 Rotavirus-Infektionen gemeldet – im Vorjahr waren es fast 3700.
„Ich habe in der Tat den Eindruck, dass viele Infektionskrankheiten deutlich seltener sind als in den vergangenen Jahren“, sagt auch Dr. Jakob Berger, der schwäbische Bezirksvorsitzende des Bayerischen Hausärzteverbandes, im Gespräch mit unserer Redaktion. Zwar kämen derzeit einige Patienten in seine Praxis, die über Durchfall klagten – bei vielen stelle sich die vermeintliche Norovirus-Erkrankung dann aber als Corona-Infektion heraus. „Durchfall ist dafür oft ein typisches Symptom“, sagt Berger.
Die Gründe, warum klassische Winter-Viren derzeit weniger verbreitet sind, liegen für Berger auf der Hand: Die Menschen haben weniger Kontakte, weil Geschäfte und Restaurants geschlossen sind, viele arbeiten im Homeoffice, sie waschen und desinfizieren sich öfter die Hände, halten Abstand zu anderen. Der Sprecher des LGL ergänzt allerdings, dass man nicht sagen könne, ob die Reduzierung der Fallzahlen alleine an diesen Maßnahmen liege oder auch daran, dass die Menschen im vergangenen Jahr seltener zum Arzt gegangen sind – aus Angst, sich in den Praxen mit Corona zu infizieren.
Auch die Zahl der Grippefälle ist derzeit niedrig. Dem LGL zufolge gab es seit Beginn der Grippesaison Anfang Oktober bis Jahresende gerade einmal 30 gemeldete Influenzafälle im Freistaat – im selben Zeitraum im Vorjahr waren es mehr als 900. Die Hochphase der Grippewelle kommt allerdings erst noch, meist beginnt sie zwischen Mitte Januar und Anfang Februar. Wie stark eine Influenzasaison ausfallen wird, das lasse sich nicht vorhersagen, erklärt der Sprecher des LGL.
Der Rückblick auf die ersten Monate des Jahres 2020 zeigt: Zwar fiel damals die Grippewelle insgesamt stärker aus als im Jahr zuvor, doch mit Beginn der Corona-Pandemie kam es ab März zu einem schnellen Ende der Influenza-Saison. „Ob dies auf eine Unterbindung von Infektionsketten durch die eingeläuteten Corona-Maßnahmen oder auf ein geringeres Testverhalten aufgrund der pandemischen Situation zurückzuführen ist, ist hingegen nicht geklärt“, sagt der Sprecher des Landesamtes.
Auch das Robert-Koch-Institut hat sich den Verlauf der letzten Grippesaison genau angesehen. Die Grippewelle sei mindestens zwei Wochen früher vorbei gewesen als in den Jahren zuvor, heißt es in einer Analyse der Forschungseinrichtung. Zu dieser Verkürzung dürften, so die Wissenschaftler, die bundesweiten Maßnahmen zur Eindämmung und Verlangsamung der Covid19-Pandemie erheblich beigetragen haben. Auch die Schulschließungen ab Mitte März seien ein gewichtiger Grund für das frühere Ende der Grippewelle gewesen, da Kinder für die Verbreitung der jährlichen
Grippe eine wesentliche Rolle spielten.
Auch bei Masern, Mumps, Keuchhusten oder Tuberkulose kann man einen Rückgang feststellen. Bei Keuchhusten-Erkrankungen etwa zeigt sich: Wurden 2019 noch mehr als 2500 Fälle gemeldet, waren es 2020 nur knapp 850.
Jenseits solcher meldepflichtigen Infektionen scheint auch die Zahl von gewöhnlichen Erkältungen stark zurückgegangen zu sein. Das zeigt sich etwa darin, dass viele Apotheken derzeit deutlich weniger Hustensaft, Schleimlöser und andere Erkältungsarzneien verkaufen. „Wir spüren tatsächlich einen Rückgang seit dem ersten Lockdown“, sagt Matthias Schneider, der Sprecher der Apotheker im Landkreis Dillingen, im Gespräch mit unserer Redaktion. So habe er etwa ein Drittel weniger Schleimlöser verkauft als üblich. Auf der anderen Seite gebe es eine größere Nachfrage nach Desinfektionsmitteln und Masken.
Hausarzt Dr. Jakob Berger, der eine Praxis in Herbertshofen im Landkreis Augsburg hat, glaubt, dass die Menschen vielleicht auch in den kommenden Jahren vorsichtig bleiben, sich weiterhin die Hände desinfizieren und sich zweimal überlegen, ob sie ihrem Gegenüber nun die Hand schütteln oder nicht. „Natürlich wollen viele schnell zur Normalität zurückkehren. Aber ich denke, dass ein gewisser Effekt bleibt.“
Die Grippewelle war deutlich kürzer