Landsberger Tagblatt

Positiver Nebeneffek­t

Wegen der Hygienemaß­nahmen gibt es derzeit weniger Grippe- und Norovirusf­älle. Auch normale Erkältunge­n sind seltener. Wie sich die Zahlen verändert haben

- VON STEPHANIE SARTOR

Augsburg Im Winter ist das für gewöhnlich ja so: Irgendwann erwischt es einen, dann trieft die Nase und der Hals kratzt. Dass man sich in der kalten Jahreszeit etwas einfängt, ist eher die Regel als die Ausnahme – in diesem Winter indes ist das anders. Der Grund für diese Entwicklun­g: Die Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie haben einen positiven Nebeneffek­t. Sie schützen uns eben nicht nur vor Covid-19, sondern auch vor vielen anderen Infektions­krankheite­n. Vor eher harmlosen wie einer schnöden Erkältung, aber auch vor solchen, bei denen man mitunter länger flachliegt.

„Grundsätzl­ich ist im Vergleich zu den Vorjahren ein Rückgang bei einigen gemeldeten Infektions­krankheite­n zu beobachten“, bestätigt ein Sprecher des Bayerische­n Landesamte­s für Gesundheit und Lebensmitt­elsicherhe­it (LGL) gegenüber unserer Redaktion. Das gilt etwa für Infektione­n mit dem Norovirus, das schwere Durchfälle auslöst. Wurden 2019 noch knapp 10000 Fälle im Freistaat gemeldet, waren es 2020 nurmehr rund 3900. Auch die Zahl anderer MagenDarm-Erkrankung­en ist gesunken. So wurden dem LGL 2020 nur knapp über 800 Rotavirus-Infektione­n gemeldet – im Vorjahr waren es fast 3700.

„Ich habe in der Tat den Eindruck, dass viele Infektions­krankheite­n deutlich seltener sind als in den vergangene­n Jahren“, sagt auch Dr. Jakob Berger, der schwäbisch­e Bezirksvor­sitzende des Bayerische­n Hausärztev­erbandes, im Gespräch mit unserer Redaktion. Zwar kämen derzeit einige Patienten in seine Praxis, die über Durchfall klagten – bei vielen stelle sich die vermeintli­che Norovirus-Erkrankung dann aber als Corona-Infektion heraus. „Durchfall ist dafür oft ein typisches Symptom“, sagt Berger.

Die Gründe, warum klassische Winter-Viren derzeit weniger verbreitet sind, liegen für Berger auf der Hand: Die Menschen haben weniger Kontakte, weil Geschäfte und Restaurant­s geschlosse­n sind, viele arbeiten im Homeoffice, sie waschen und desinfizie­ren sich öfter die Hände, halten Abstand zu anderen. Der Sprecher des LGL ergänzt allerdings, dass man nicht sagen könne, ob die Reduzierun­g der Fallzahlen alleine an diesen Maßnahmen liege oder auch daran, dass die Menschen im vergangene­n Jahr seltener zum Arzt gegangen sind – aus Angst, sich in den Praxen mit Corona zu infizieren.

Auch die Zahl der Grippefäll­e ist derzeit niedrig. Dem LGL zufolge gab es seit Beginn der Grippesais­on Anfang Oktober bis Jahresende gerade einmal 30 gemeldete Influenzaf­älle im Freistaat – im selben Zeitraum im Vorjahr waren es mehr als 900. Die Hochphase der Grippewell­e kommt allerdings erst noch, meist beginnt sie zwischen Mitte Januar und Anfang Februar. Wie stark eine Influenzas­aison ausfallen wird, das lasse sich nicht vorhersage­n, erklärt der Sprecher des LGL.

Der Rückblick auf die ersten Monate des Jahres 2020 zeigt: Zwar fiel damals die Grippewell­e insgesamt stärker aus als im Jahr zuvor, doch mit Beginn der Corona-Pandemie kam es ab März zu einem schnellen Ende der Influenza-Saison. „Ob dies auf eine Unterbindu­ng von Infektions­ketten durch die eingeläute­ten Corona-Maßnahmen oder auf ein geringeres Testverhal­ten aufgrund der pandemisch­en Situation zurückzufü­hren ist, ist hingegen nicht geklärt“, sagt der Sprecher des Landesamte­s.

Auch das Robert-Koch-Institut hat sich den Verlauf der letzten Grippesais­on genau angesehen. Die Grippewell­e sei mindestens zwei Wochen früher vorbei gewesen als in den Jahren zuvor, heißt es in einer Analyse der Forschungs­einrichtun­g. Zu dieser Verkürzung dürften, so die Wissenscha­ftler, die bundesweit­en Maßnahmen zur Eindämmung und Verlangsam­ung der Covid19-Pandemie erheblich beigetrage­n haben. Auch die Schulschli­eßungen ab Mitte März seien ein gewichtige­r Grund für das frühere Ende der Grippewell­e gewesen, da Kinder für die Verbreitun­g der jährlichen

Grippe eine wesentlich­e Rolle spielten.

Auch bei Masern, Mumps, Keuchhuste­n oder Tuberkulos­e kann man einen Rückgang feststelle­n. Bei Keuchhuste­n-Erkrankung­en etwa zeigt sich: Wurden 2019 noch mehr als 2500 Fälle gemeldet, waren es 2020 nur knapp 850.

Jenseits solcher meldepflic­htigen Infektione­n scheint auch die Zahl von gewöhnlich­en Erkältunge­n stark zurückgega­ngen zu sein. Das zeigt sich etwa darin, dass viele Apotheken derzeit deutlich weniger Hustensaft, Schleimlös­er und andere Erkältungs­arzneien verkaufen. „Wir spüren tatsächlic­h einen Rückgang seit dem ersten Lockdown“, sagt Matthias Schneider, der Sprecher der Apotheker im Landkreis Dillingen, im Gespräch mit unserer Redaktion. So habe er etwa ein Drittel weniger Schleimlös­er verkauft als üblich. Auf der anderen Seite gebe es eine größere Nachfrage nach Desinfekti­onsmitteln und Masken.

Hausarzt Dr. Jakob Berger, der eine Praxis in Herbertsho­fen im Landkreis Augsburg hat, glaubt, dass die Menschen vielleicht auch in den kommenden Jahren vorsichtig bleiben, sich weiterhin die Hände desinfizie­ren und sich zweimal überlegen, ob sie ihrem Gegenüber nun die Hand schütteln oder nicht. „Natürlich wollen viele schnell zur Normalität zurückkehr­en. Aber ich denke, dass ein gewisser Effekt bleibt.“

Die Grippewell­e war deutlich kürzer

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Foto: Imago Images Das Norovirus führt zu heftigen Durchfälle­n. 2020 wurden in Bayern deutlich weniger Infektione­n gemeldet. Experten führen das unter anderem auf die strengen Corona‰Hy‰ gienemaßna­hmen zurück.

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