Landsberger Tagblatt

„Wir fordern die Union heraus“

Der Grünen-Fraktionsv­orsitzende Anton Hofreiter hat am Wochenende sehr genau auf die CDU geschaut. Er hat auch viel über Corona nachgedach­t und verrät, wie er sich von der Politik ablenkt

- Interview: Bernhard Junginger

Herr Hofreiter, die CDU hat Armin Laschet zum neuen Vorsitzend­en gewählt. Er war für viele Ihrer Parteifreu­nde der Wunschkand­idat. Steht damit einer schwarz-grünen Koalition ab Herbst nichts mehr im Wege? Anton Hofreiter: Ich möchte Armin Laschet erst einmal herzlich zur Wahl gratuliere­n. Zu Ihrer Frage: Wir fordern die Union heraus, sie ist in diesem Jahr unser Hauptwettb­ewerber. Wir kämpfen um die Führung in diesem Land, weil wir die Klimakrise bekämpfen wollen, weil wir soziale Ungleichhe­it in diesem Land verringern wollen und weil wir für ein starkes Europa sind. Es geht also um Grün gegen Schwarz und nicht um Schwarz-Grün oder irgendeine Koalition.

Hätte Merz womöglich den Grünen Wähler der bürgerlich­en Mitte in Scharen in die Arme getrieben? Hofreiter: Dieses rein parteitakt­ische Denken haben wir uns abgewöhnt. Eine tiefere Polarisier­ung würde unserem Land nicht guttun. Unser Anspruch als Grüne ist, die Gesellscha­ft zusammenzu­führen, damit wir gemeinsam die großen Veränderun­gen – Klimaschut­z, Digitalisi­erung, starkes Europa – angehen können. In einer gespaltene­n Gesellscha­ft wird nichts davon gelingen.

Was erwarten Sie vom neuen CDUChef?

Hofreiter: Das Ergebnis zwischen Armin Laschet und Friedrich Merz war nahezu identisch mit dem von Herrn Merz gegen Frau KrampKarre­nbauer 2018. Die Union nach Angela Merkel bleibt eine verunsiche­rte, ja orientieru­ngslose Partei. So kann sie auch dem Land keine Orientieru­ng geben. Es wird jetzt eine ziemlich anspruchsv­olle Aufgabe für Armin Laschet sein, die CDU für die Zeit nach der Ära Merkel neu zu definieren.

Die Diskussion um die Kanzlerkan­didatur wird nicht verstummen. Wäre nicht Markus Söder der Favorit aus grüner Sicht? Er spricht sich offen für ein schwarz-grünes Bündnis aus und tut was für die Bienen ...

Hofreiter: Bei Markus Söder ist die Diskrepanz zwischen PR und Substanz oft relativ groß. Klimaschut­z fordert man nicht nur, man muss ihn auch machen, zum Beispiel mit einem massiven Ausbau erneuerbar­er Energien. Genau den verhindert Herr Söder. Seine Abstandsre­gel von Windrädern zur nächsten Wohnbebauu­ng macht neue Windenergi­eanlagen in Bayern faktisch unmöglich.

Er stellt sich damit sogar gegen die Wirtschaft im Land. Vor Beginn der Pandemie war ich in Augsburg bei MAN Energy Solutions. Ich dachte vorher, das wird kein einfacher Termin beim Hersteller der ganz großen Dieselmoto­ren für Schiffe. Dann war ich überrascht, dass ihre erste politische Forderung die Abschaffun­g dieser 10-H-Regel

war. Der Termin hat mir gezeigt: Unsere Industrie ist viel weiter als manche Betonköpfe in der Politik. Die Wirtschaft wartet nur darauf, dass sie endlich Unterstütz­ung und Verlässlic­hkeit bekommt, damit sie die notwendige sozial-ökologisch­e Modernisie­rung angehen kann.

Bei der Union tritt ein Mann um die Nachfolge von Angela Merkel an, die SPD schickt Olaf Scholz ins Rennen. Nur die Grünen könnten jetzt noch dafür sorgen, dass wieder eine Frau Kanzlerin wird. Wird Annalena Baerbock Spitzenkan­didatin anstelle von Robert Habeck?

Hofreiter: Wir haben zwei hervorrage­nde Vorsitzend­e. Beide können das und werden unserer Partei zur gegebenen Zeit einen Vorschlag machen.

Wann wird die Entscheidu­ng fallen, bisher heißt es eher vage: im Frühjahr. Können Sie als Biologe das etwas wissenscha­ftlicher sagen?

Hofreiter: Wenn die Natur grünt. Im April, Mai schlagen die Bäume aus.

Wenn die Grünen im Herbst zweitstärk­ste Kraft hinter CDU und CSU werden und es auch für ein Bündnis mit SPD und Linken oder auch FDP reichen würde, müssten Sie als „linker Grüner“dann lange überlegen? Hofreiter: Unser Anspruch ist, führende Kraft zu werden. Wir werden der Gesellscha­ft ein klares Angebot machen, wie wir die Aufgaben dieses Jahrzehnts gemeinsam bewältigen, für Klimaschut­z und mehr Gerechtigk­eit sorgen. Nach der Wahl wird man sich dann zusammense­tzen und reden. Grundsätzl­ich gilt für uns, dass alle demokratis­chen Parteien miteinande­r gesprächsf­ähig bleiben müssen, gerade in Zeiten, in denen Demokratie­feinde die Gesellscha­ft spalten wollen. Am Ende kommt es dann auf die Inhalte an. Da ist uns die SPD natürlich am nächsten. Ob es für Grün-Rot alleine reicht, da mag man ein Fragezeich­en machen.

Schließen Sie es aus, mit der Linksparte­i zu koalieren, die Auslandsei­nsätze der Bundeswehr und die Nato ablehnt?

Hofreiter: Die Linksparte­i muss für sich entscheide­n, ob sie Regierungs­verantwort­ung übernehmen kann oder will. Für uns ist vollkommen klar, dass die viertgrößt­e Industrien­ation verantwort­ungsvoll geführt werden muss. Dazu gehört, dass UN-Einsätze, wenn sie richtig und gut geplant sind, von der Bundesrepu­blik mitgetrage­n werden. Da muss sich die Linksparte­i fragen, ob sie da mitgehen kann oder nicht.

Während der Corona-Pandemie haben sich die Grünen mit Kritik an der Regierung auffällig zurückgeha­lten. Zuletzt auch beim holprigen Impfstart. Ist das Anbiederun­g an die Union im Hinblick auf eine mögliche Koalition? Hofreiter: In einer so schwierige­n Lage, in der sich unser Land gerade befindet, halte ich nichts von Opposition auf Teufel komm raus. Alle Parteien tragen Verantwort­ung. Und der sollten sie auch nachkommen. Manche Kritik ist gerade ziemlich wohlfeil, mancher Unterton auch antieuropä­isch. Dass man den Impfstoff zunächst europäisch bestellt hat, war absolut richtig. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass die Pandemie erst vorbei ist, wenn sie im letzten Land der Welt vorbei ist. Es darf keiner glauben, dass es reicht, wenn in einer Region alle geimpft sind und in einer anderen Region keiner. Dort kann dann eine Mutation auftreten, gegen die der Impfstoff nicht wirkt. Und alles fängt wieder von vorn an.

Aber die Schwierigk­eiten mit dem Impfen sind doch eklatant ... Hofreiter: Das Problem ist aktuell aber nicht so sehr, dass nicht genügend Impfstoff da ist, sondern die vorhandene­n Dosen nicht schnell genug verimpft werden können. Man hätte die Impfkampag­ne also besser vorbereite­n müssen, damit die Impfung dann auch gleich gut anläuft. Aber das ist verschütte­te Milch. Jetzt geht es darum, mit einer Task Force dafür zu sorgen, dass es so schnell wie möglich geht. Insbesonde­re brauchen wir die Zulassung des Astra-Zeneca-Impfstoffs, der auch bei normalen Temperatur­en gelagert werden kann. Dann können auch die Hausärzte einfacher eingebunde­n werden. Nicht zurückblic­ken, handeln.

Sie nennen für die kommende Wahl als grünes Ziel selbstbewu­sst das Kanzleramt. Dabei sind Sie aktuell die kleinste Fraktion im Bundestag. Wie groß sehen Sie die Gefahr, dass dem Höhenflug guter Umfragewer­te mal wieder die Bauchlandu­ng folgt?

Hofreiter: Uns ist vollkommen bewusst, dass wir noch viel Überzeugun­gsarbeit leisten müssen. Wir gehen das mit Demut an, aber auch mit einer optimistis­chen Botschaft: Wir haben alle Möglichkei­ten, die großen Probleme, die vor uns liegen, zu bewältigen. Und das wird kein Verlust, sondern ein Gewinn für unser Land. Stahlwerke können künftig mit grünem Wasserstof­f produziere­n, Flugzeuge damit sauberer fliegen, Autos elektrisch fahren. Ich habe viele Firmen besucht, alle sagen uns, wir haben die richtigen Ideen und wollen jetzt, dass die Politik die richtigen Rahmenbedi­ngungen schafft. Wenn vor zehn Jahren nicht Besitzstan­dswahrer und Technikmuf­fel die Autopoliti­k bestimmt hätten, dann wären heute die deutschen Autokonzer­ne ganz vorne mit dabei. Mit Klimaschut­z können wir unsere Wirtschaft und gleichzeit­ig unseren Wohlstand sichern.

Radikale junge Klimaschüt­zer werfen Ihnen vor, in die Bravheitsf­alle zu tappen. Fürchten Sie, dass da eine neue Klimaschut­zpartei entstehen könnte?

Hofreiter: Die Klimakrise entwickelt sich in einer solchen Dramatik, dass etwa Fridays for Future jedes Recht hat, wütend zu sein und schnellere und drastische­re Maßnahmen zu fordern. Unsere Fichtenwäl­der sind in ganzen Gegenden tot. In Grönland schmilzt das Eis. Wir bemühen uns, in den nächsten zehn Jahren alles zu erreichen, was irgendwie möglich ist, um das Ruder noch rumzureiße­n. Wir haben jetzt die Chancen und Ideen, das gemeinsam mit der Industrie zu tun, aber wir werden auch hart einfordern, dass das auch schnell passiert. Ausreden gibt’s keine mehr.

Die Bahn ist gerade eher ein Sorgenkind und macht etwa durch Verspätung­en von sich reden. Was muss beim Staatsunte­rnehmen geschehen? Hofreiter: Wir müssen die Bahn neu aufstellen. Der Konzern ist total zersplitte­rt. Von Töchtern, die den Busverkehr in Großbritan­nien oder die Minen-Logistik in Australien betreiben, sollte sich der Bund schnell trennen. Die anderen Sparten müssen wieder in einer Hand gebündelt werden. Es kann nicht sein, dass ein Bürgermeis­ter mit vier unterschie­dlichen Stellen reden muss, wenn er etwas klären will. Die Infrastruk­tur muss stark ausgebaut werden, und zwar schnell. Dazu braucht es mehr Personal und eine Entrümpelu­ng des Planungsre­chts. Wir brauchen einen einheitlic­hen Deutschlan­dtakt für die Verbindung­en zwischen Großstädte­n und einen einheitlic­hen Mobilitäts­pass für Nah- und Fernverkeh­r im ganzen Land.

Den Verkehrsmi­nister hat nun lange die CSU gestellt ... Würde Sie persönlich diese Position reizen?

Hofreiter: Über Personalie­n wird ganz zum Schluss entschiede­n. Wir sehen jedenfalls doch alle: Die CSU hat jetzt drei Versuche gehabt und keiner hat die Öffentlich­keit überzeugt, das gilt besonders auch zuletzt für Andreas Scheuer. Wir brauchen eine andere Verkehrspo­litik, die sich traut, bei Elektromob­ilität und Bahn Entscheidu­ngen für die Zukunft zu treffen. Der Bereich ist hochreleva­nt. Egal, wer das Ministeriu­m anführt.

„Die CDU bleibt eine verunsiche­rte Partei“

Was machen Sie eigentlich, um mal von der Politik zu entspannen? Hofreiter: Wann immer es geht, zieht es mich in die Berge. Vor Weihnachte­n habe ich auch wieder Pralinen hergestell­t. Da wir zuletzt alle möglichst zu Hause bleiben sollten, habe ich es auf zwölf verschiede­ne Sorten geschafft. Das ist mein Hobby. Das macht mir Spaß. Darunter waren übrigens vier vegane Varianten.

Was ist gerade Ihre Lieblingss­orte? Hofreiter: Pistazienm­arzipankon­fekt mit etwas Rum, das Ganze mit sehr dunkler Schokolade überzogen und einer Pistazie garniert. Sehr lecker.

Dunkle Schokolade mit grüner Pistazie – die Schwarz-Grün-Praline also? Hofreiter: Jedenfalls ist die Pistazie oben drauf. Also wenn überhaupt, ist es ein grün-schwarzes Konfekt...

Anton Hofreiter, 50, ist neben Ka‰ trin Göring‰Eckardt Vorsitzend­er der Grünen‰Fraktion im Bundestag. Der gebürtige Münchner ist promoviert­er Biologe.

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Anton Hofreiter blickt selbstbewu­sst auf die Bundestags­wahl im Herbst. Seine Partei strebt nach einer Regierungs­beteiligun­g.
Foto: Christoph Soeder, dpa Das Interview Anton Hofreiter blickt selbstbewu­sst auf die Bundestags­wahl im Herbst. Seine Partei strebt nach einer Regierungs­beteiligun­g.

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