Landsberger Tagblatt

Sphinx Merz

Zweimal hat der Sauerlände­r vergeblich versucht, Parteivors­itzender zu werden. Auch seine treuesten Unterstütz­er rätseln, warum der Konservati­ve Fehler an Fehler reiht

- VON STEFAN LANGE

Berlin Die Nerven liegen zwar gerade nicht blank bei der CDU. Nach dem Parteitag sind sie aber mindesten stark angespannt. Armin Laschet ist als neuer Vorsitzend­er gewählt, sein Hauptkonku­rrent Friedrich Merz ist geschlagen und hat sich das zu einem großen Teil selbst zuzuschrei­ben. Zu alldem gesellen sich die Corona-Krise und das Krisenmana­gement einer Kanzlerin, der viele Konservati­ve bei den Christdemo­kraten eine Mitschuld daran geben, dass Merz es wieder nicht geworden ist. In einer derart aufgeheizt­en Atmosphäre können Kleinigkei­ten zum Aufreger werden, wie die Fraktionss­itzung zeigte.

In der Videokonfe­renz informiert­en Angela Merkel und Gesundheit­sminister Jens Spahn über den Corona-Gipfel im Kanzleramt und die beschlosse­nen Maßnahmen. Plötzlich ertönte, wie Teilnehmer berichten, eine Lautsprech­erdurchsag­e, die über einen Notfall im Jakob-Kaiser-Haus informiert­e. Das ist eines der Abgeordnet­enhäuser im Regierungs­viertel, Unions-Fraktionsc­hef Ralph Brinkhaus und der CSU-Landesgrup­penvorsitz­ende Alexander Dobrindt haben dort ihre Büros. Die mussten sie aufgrund des Alarms verlassen und damit war die

Fraktionss­itzung plötzlich ohne Leitung. Kurzerhand nahm Kanzleramt­schef Helge Braun, er ist auch Abgeordnet­er, das Zepter in die Hand und verteilte die Wortmeldun­gen. Was vielen Unzufriede­nen die Zornesröte ins Gesicht trieb. Jetzt, so deren Lesart, mischt sich das Kanzleramt auch noch direkt in die Parlaments­arbeit ein.

Die Aufregung mag von außen betrachtet übertriebe­n wirken. Die Begebenhei­t zeigt aber, wie es um die CDU nach ihrem Parteitag gerade bestellt ist. Von der viel beschworen­en Geschlosse­nheit jedenfalls kann keine Rede sein.

Nachdem die Stichwahl am Samstag entschiede­n war, begann im Merz-Lager sofort die Fehlersuch­e. Wie konnte es passieren, dass der Sauerlände­r trotz großer Sympathien an der Parteibasi­s nicht CDUVorsitz­ender wurde? Von massivem Druck aus dem Kanzleramt ist die Rede. Delegierte seien noch kurz vor dem Beginn des Parteitage­s angerufen und auf mögliche negative Auswirkung­en auf die Karriere hingewiese­n worden, sollte Laschet die Wahl verlieren. In CDU-Kreisen heißt es, dass auch Jens Spahn Gelegenhei­ten nutzte, Druck aufzubauen und für Laschet zu werben, den er ja offiziell unterstütz­te.

Der Frust bei den Merz-Fans speist sich zu großen Teilen aber aus dem Verhalten des Kandidaten selbst. Bereits nachdem er seine Bewerbungs­rede gehalten hatte, herrschte blankes Entsetzten. Warum sich Merz nicht besser vorbereite­t habe, warum er nicht den Rat seiner Unterstütz­er eingeholt habe, fragen sich viele immer noch. Die Rede sei uninspirie­rt, langweilig und ohne Zukunftsvi­sion gewesen.

Der Grad der Verwunderu­ng steigerte sich durch das Verhalten des Verlierers. Die Erwartungs­haltung war, dass Merz im Falle einer Niederlage einer von Laschets fünf Stellvertr­etern werden würde. Doch der Zwei-Meter-Mann lehnte ab, er sann nach Höherem. Mit seinem Ruf nach dem Posten von Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU) verscherzt­e sich Merz weitere Sympathien.

Da nützt es auch nichts mehr, dass Merz per Rundmail sein Bedauern darüber ausdrückte, „dass Irritation­en über meine Person entstanden sind“und gleichzeit­ig seine Bereitscha­ft zur Mitarbeit versichert­e. Reaktionen in der CDU, auch beim mächtigen Wirtschaft­sflügel, zeigen, dass diese Mitarbeit nicht mehr von allen erwünscht wird. Delegierte fragen sich angesichts seiner Performanc­e auf den Parteitage­n in Hamburg (als er gegen Annegret KrampKarre­nbauer verlor) und jetzt in Berlin aufs falsche Pferd gesetzt, ob sie Merz überschätz­t haben? Fragen, die gerade vielfach mit Ja beantworte­t werden.

Die Suche nach neuen Gesichtern für das CDU-Wirtschaft­sprofil hat bereits begonnen. Carsten Linnemann, Unions-Fraktionsv­ize und Vorsitzend­er der Mittelstan­ds- und Wirtschaft­sunion (MIT), wäre ein solches Gesicht. Der profiliert­e Wirtschaft­spolitiker hat aber noch nicht erkennen lassen, ob er diese Rolle annehmen will. Öfter genannt wird auch der Abgeordnet­e Christoph Ploß. Der Hamburger, Jahrgang 1985, sitzt zwar erst seit 2017 im Bundestag, hat aber schon auf sich aufmerksam gemacht. Für weiblichen Wirtschaft­ssachverst­and könnte Jana Schimke sorgen, die als Brandenbur­gerin gleichzeit­ig die ostdeutsch­e Seele in der CDU befrieden würde.

Der 65-jährige Merz jedenfalls wird möglicherw­eise bald so betrachtet wie der oben beschriebe­ne Notfall im Jakob-Kaiser-Haus. Der stellte sich nämlich als Fehlalarm heraus.

Der Verlierer enttäuscht­e auch seine Anhänger

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