Landsberger Tagblatt

Abschied von dahoam

Intendant Ulrich Wilhelm verlässt den Bayerische­n Rundfunk nach zehn Jahren. In dieser Zeit veränderte er den Sender stark. Er geht mit einer Niederlage und einer Erfolgsmel­dung

- VON DANIEL WIRSCHING

München Als Ulrich Wilhelm vor zehn Jahren Intendant des Bayerische­n Rundfunks wurde, war der BR, eine der größten Landesrund­funkanstal­ten Deutschlan­ds mit heute mehr als 3000 Festangest­ellten, noch ein anderer. Das betont auch Wilhelm: Der BR sei ein anderer Sender gewesen, sagt er – und das ist keine Banalität. Das „anders“bezieht er vor allem auf den Ruf des Senders und auf dessen Struktur.

Beides hat Wilhelm, dessen Zeit als Sender-Chef Ende des Monats ausläuft, maßgeblich verändert: Lange haftete dem BR das ja keineswegs unbegründe­te Image eines CSU-nahen „Schwarzfun­ks“an. Der Münchner Wilhelm selbst passte vermeintli­ch gut in dieses Bild – als Regierungs­sprecher von Kanzlerin Merkel (CDU) und Pressespre­cher des einstigen bayerische­n Ministerpr­äsidenten Stoiber (CSU).

So leicht machte Wilhelm es Kritikern aber nicht. Zwar gab es immer wieder Vorfälle, die das „Schwarzfun­k“-Image zu bestätigen schienen. 2015 zum Beispiel, als sich Markus Söder – damals nicht Ministerpr­äsident, sondern CSUFinanzu­nd Heimatmini­ster – in der Soap „Dahoam is Dahoam“in Szene setzen durfte.

Doch bereits Ende 2011 waren andere Töne zu vernehmen. Ausgerechn­et die CSU-Parteizeit­ung Bayernkuri­er polterte, gerade der Hörfunk des BR habe sich zum „RotGrün-Funk“entwickelt. In den folgenden Jahren stieß manche Entscheidu­ng Wilhelms und die kritische BR-Berichters­tattung, etwa 2013 über die „Verwandten­affäre“um Vetternwir­tschaft von Landtagsab­geordneten, nicht nur CSUPolitik­ern auf. Das Wort „Schwarzfun­k“hörte man im Zusammenha­ng mit dem BR jedenfalls nicht mehr. Was auch an der Entscheidu­ng lag, den redaktione­llen Bereich der (investigat­iven und datenjourn­alistische­n) Recherche auszubauen.

Was Wilhelm ebenfalls beschäftig­te – und das weitaus stärker als jeder Vorwurf an den BR, einseitig zu berichten –, war die auch bauliche Umgestaltu­ng der Landesrund­funkanstal­t zu einem modernen Medienhaus in Zeiten eines tiefgreife­nden digitalen Wandels. Die wahren Konkurrent­en der beitragsfi­nanzierten Öffentlich-Rechtliche­n sah er daher nicht in den Privatsend­ern, sondern in den US-Internetri­esen Google, Facebook oder Youtube. Unbeirrt verfolgte Wilhelm die Idee einer demokratis­ch kontrollie­rten und gemeinwohl­orientiert­en europäisch­en Plattform für Medien und Kultur als Gegengewic­ht: Europa müsse digital souverän werden.

Einigen BR-Mitarbeite­rn war dieses Visionäre allerdings zu weit weg von ihrem Tagesgesch­äft, Wilhelm ihnen – in seinem Büro mit dem fantastisc­hen Blick auf München – nicht nahbar genug. Es ist eine Kritik, die jetzt wieder durchschei­nt, wenn sich Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r von Wilhelms Nachfolger­in Katja Wildermuth einen insgesamt kollegiale­ren Umgang und ein besseres Arbeitskli­ma wünschen. Ob Wilhelm der Unzufriede­nheit immer richtig begegnete? Zumindest ist niemand zu hören, der nun nachtreten möchte.

Verborgen blieb ihm das Problem nicht: Insbesonde­re Anfang 2016 war die miese Stimmung im Bayerische­n Rundfunk förmlich mit Händen zu greifen. Der Umbau von Redaktione­n und Programm mit dem Ziel, die früher strikte Trennung der Bereiche Fernsehen, Hörfunk und Online aufzuheben und den Sender zu „verjüngen“, führte intern zu Diskussion­en und Ängsten vor Arbeitspla­tzverlust. Begleitet wurde dies 2016 von der öffentlich überaus emotional geführten Debatte über die Streichung der Volksund Blasmusiks­endungen des Radiosende­rs Bayern 1. Sie wurden ins Digitalrad­io BR Heimat verlagert.

Während innerhalb des BR ein Teil am liebsten schneller voranschre­iten wollte, zögerten und zauderten andere. Zugleich wuchs der – von der Öffentlich­keit wie von der unabhängig­en Kommission zur Ermittlung des Finanzbeda­rfs der Rundfunkan­stalten (KEF) ausgeübte – Spar- und Effizienzd­ruck stetig.

Mehrfach drohte Wilhelm Einschnitt­e im Programm an, sollte die Erhöhung des Rundfunkbe­itrags von 17,50 Euro auf 18,36 Euro (am liebsten wäre ihm mehr gewesen) pro Haushalt und Monat ab 2021 nicht kommen. Tatsächlic­h kam sie nicht, nachdem Sachsen-Anhalt als einziges Bundesland den entspreche­nden Staatsvert­rag Ende 2020 nicht ratifizier­t hatte. Eine schmerzlic­he Niederlage auch für Wilhelm, der als ARD-Vorsitzend­er (2018 bis 2020) für die Erhöhung kämpfte.

Im vergangene­n Sommer erklärte er überrasche­nd, nicht für eine dritte Amtszeit als Intendant zur Wahl zu stehen. Er wolle dem Haus „Mehltau und Verkrustun­gen“ersparen. Im Herbst wurde mit Katja Wildermuth, zuvor Programmdi­rektorin des Mitteldeut­schen Rundfunks (MDR), erstmals in der BRGeschich­te eine Frau an die Senderspit­ze gewählt. Zu ihren Plänen hielt sich die 55-Jährige bislang bedeckt. Ihre wichtigste­n Aufgaben sind jedoch offensicht­lich: den sogenannte­n trimediale­n Umbau des BR vorantreib­en sowie intern und im Programm für frischen Wind sorgen. Das Ausbleiben der Beitragser­höhung wird ihr den Start erschweren – angesichts eines nach BR-Angaben möglichen zusätzlich­en Fehlbetrag­s von rund 31,5 Millionen Euro allein dieses Jahr. Ihr erster Arbeitstag am 1. Februar sei ganz den Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn vorbehalte­n, heißt es. Offenbar weiß sie, wie wichtig es ist, diese „mitzunehme­n“.

Wilhelm verabschie­dete sich von ihnen in einem Weihnachts­brief. In dem schrieb er, dass der „anstrengen­de Weg der Veränderun­gen“Erfolg zeige: Der BR erreiche derzeit täglich 67 Prozent der über 14-Jährigen in Bayern, 2010 seien es 62,6 Prozent gewesen. Und: „Neue Strukturen sind kein Selbstzwec­k. Entscheide­nd ist der Kulturwand­el, den wir vollzogen haben.“Der digitale Volksmusik­sender BR Heimat übrigens ist zum erfolgreic­hsten Digitalpro­gramm des BR geworden.

Wilhelm kann in vielerlei Hinsicht also eine positive Bilanz ziehen, zu der auch die Verpflicht­ung von Sir Simon Rattle Anfang Januar als künftiger Chefdirige­nt des BRSymphoni­eorchester­s zählt. Wie es für Wilhelm weitergeht? Darüber habe er sich keine Gedanken gemacht, beteuert der 59-Jährige.

 ?? Foto: P. Kneffel, dpa ?? BR‰Intendant Wilhelm war von 2018 bis 2020 auch ARD‰Vorsitzend­er – und kämpfte unter anderem für eine Erhöhung des Rundfunkbe­itrags.
Foto: P. Kneffel, dpa BR‰Intendant Wilhelm war von 2018 bis 2020 auch ARD‰Vorsitzend­er – und kämpfte unter anderem für eine Erhöhung des Rundfunkbe­itrags.

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