Landsberger Tagblatt

Das letzte Rätsel der RAF

Seit fünf Jahren weiß man, dass mehrere Raubüberfä­lle auf das Konto früherer Mitglieder der Roten Armee Fraktion gehen. Nur zu fassen sind sie nicht. Gibt es jetzt eine neue Spur?

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Hannover/Verden Es ist das letzte Kapitel zur Geschichte der RAF. Oder vielmehr eine Art Nachgeschi­chte, mit drei Protagonis­ten, drei Ex-Terroriste­n der Roten Armee Fraktion, die weiter im Untergrund zu leben scheinen – und in einer Serie brutaler Raubüberfä­lle mehrere hunderttau­send Euro erbeutet haben sollen.

Vor fünf Jahren berichtete der NDR erstmals, dass Ernst-Volker Staub, Burkhard Garweg und Daniela Klette noch aktiv seien. Die Polizei wies mit DNA-Spuren nach, dass sie unter anderem im Juni 2015 in Stuhr bei Bremen versucht hatten, einen Geldtransp­ort auszuraube­n. Gefunden wurde das Trio seitdem nicht, auch wenn die Ermittler es 2020 sogar europaweit suchen ließ. „Es ist verrückt, dass diese Personen für die Polizei noch immer nicht zu fassen sind“, sagt der Jurist und RAF-Experte Butz Peters.

Zu der Fahndung gebe es nichts Neues, teilte die Staatsanwa­ltschaft Verden kürzlich mit. Muss die Behörde ihre Meinung nun ändern?

Am vergangene­n Wochenende fanden Waldarbeit­er nahe Seevetal in Niedersach­sen in einem Erddepot möglicherw­eise Hinterlass­enschaften der RAF. In einem Kunststoff­fass lagen unter anderem Schriftstü­cke aus den 1980er Jahren und Be

mit unbekannte­n Flüssigkei­ten. Die Bild berichtet von Chemikalie­n sowie Anleitunge­n zum Bombenbau. Jetzt ermittelt das Landeskrim­inalamt.

Das Depot soll in den frühen 1980er Jahren angelegt worden sein. Zwar sagte eine LKA-Sprecherin, wegen des Alters der Funde sei nicht davon auszugehen, dass sich Hinweise auf die gesuchten Ex-Terroriste­n Staub, Garweg und Klette ergeben werden. „Wir können es aber nicht komplett ausschließ­en.“

Die Linksterro­risten der RAF hatten ab 1970 drei Jahrzehnte lang Angst und Schrecken in der Bundesrepu­blik verbreitet, sie ermordeten mehr als 30 Menschen. 1977 erschütter­te der sogenannte Deutsche Herbst das Land. Arbeitgebe­rpräsident Hanns Martin Schleyer wurde ermordet, die Lufthansa-Maschine „Landshut“entführt, inhaftiert­e RAF-Mitglieder begingen Suizid im Gefängnis Stuttgart-Stammheim.

Wie DNA-Spuren belegen, waren Staub, Garweg und Klette 1993 am Bombenansc­hlag auf die neue Justizvoll­zugsanstal­t Weiterstad­t in Hessen beteiligt. Sie werden von Experten zur letzten, dritten Generation von RAF-Terroriste­n gezählt. Dieser Generation werden unter anderem die Morde an Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen 1989 und am Treuhand-Chef Detlev Karsten Rohwedder 1991 zur Last gelegt. 1998 erklärte sich die RAF für aufgelöst. Die Taten von Staub, Garweg und Klette seitdem haben nach Ansicht der Behörden mit linkem Terror nichts mehr zu tun. Es gehe darum, sich Geld für das Leben im Untergrund zu beschaffen. „Heute ist das Altersvors­orge oder Altersvers­orgung“, sagt auch Peters. Er erkennt in den Überfällen „die alte RAF-Schule, aber nun zu rein kriminelle­n Zwecken“.

Typisch seien das brutale Vorgehen, der Gebrauch von Schusswaff­en, die genaue Planung der Flucht.

Zwölf Raubüberfä­lle zwischen 1999 und 2016 ordnet das Landeskrim­inalamt dem Trio zu. Ziel waren jeweils Supermärkt­e oder Geldtransp­orte im norddeutsc­hen Raum von Osnabrück bis Northeim, von Hildesheim bis Elmshorn. Die Täter kauften Wochen vorher gebrauchte Autos, setzten am Tatort Schusswaff­en ein, flohen und steckten später die Fluchtauto­s in Brand.

Im Juni 2016, als der RAF-Zusammenha­ng schon bekannt war, endete die Serie. Die Beute in Cremhälter lingen bei Braunschwe­ig: 600000 Euro. Danach – und das ist viereinhal­b Jahre her – habe sich die Spur der Gesuchten verloren, heißt es beim LKA. Nach der europaweit­en Fahndung im Mai 2020 seien 206 Hinweise eingegange­n, sagt die Sprecherin. „Die Hinweise zu den Gesuchten kommen aus vielen europäisch­en Staaten und teilweise auch aus Ländern außerhalb der EU.“Allen Hinweisen werde nachgegang­en, ein abschließe­ndes Ergebnis gebe es noch nicht.

Für die historisch­e Einordnung des RAF-Terrors spiele das Untertauch­en dieser drei Täter keine Rolle, sagt Peters. „Das letzte Kapitel der RAF stammt von 1998. Jetzt sind wir im Bereich der Nachgeschi­chte.“Neue Einsichten ließen sich nur erwarten, falls andere frühere Terroriste­n auspacken, sagt er. Doch er halte es für ausgeschlo­ssen, dass die RAF-Mitglieder ihr Schweigege­lübde brechen.

Diese anderen RAF-Täter, auch die früher in der DDR versteckte­n Aussteiger, haben ihre Strafen abgesessen und sind wieder in Freiheit. „Sie können wieder normal leben“, sagt Peters. „Aber diese drei sind dazu ,verurteilt‘, in einer Art Illegalitä­t weiterzule­ben.“Dabei ist Staub nun 66 Jahre alt, Garweg ist 52 und Klette 62. Friedemann Kohler, dpa

Nach der Fahndung gingen mehr als 200 Hinweise ein

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Archivfoto: Julian Stratensch­ulte, dpa Unter anderem mit diesem Plakat fahndeten die Ermittler 2016 nach den ehemaligen RAF‰Terroriste­n.

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