Landsberger Tagblatt

Der Kapitol‰Schamane als Kunstobjek­t

Der Türkenfeld­er Künstler Werner Kroener beschäftig­t sich seit vielen Jahren mit Fotos, die sich in das kollektive Gedächtnis einbrennen. Ein solches liefert ihm auch der Sturm auf das Kapitol in Washington

- VON MAREN MARTELL

Türkenfeld Menetekel oder Verheißung? Untergang oder Erlösung? Urschrei oder Popkostüm? Der in der Ammerseere­gion lebende Maler Werner Kroener hat den „QAnonScham­anen“Jake Angeli beim Sturm auf das Kapitol in Washington am 6. Januar zum künstleris­chen Thema gemacht. Entstanden ist ein 195 mal 170 Zentimeter großes Werk in Öl auf Leinwand, auf dem die Farbe Rot eindringli­ch dominiert. „Eine wahre Orgie aus roten Farbtönen“, wie der Künstler betont.

„Nur wenige Bilder haben die Macht, zum Sinnbild oder Zeichen einer Epoche zu werden. Nur ganz bestimmte Pressebild­er geraten zu Ikonen der Geschichte, die sich unvergessl­ich in das kollektive Bildgedäch­tnis einbrennen“, erläutert Kroener, der sich als visuellen Journalist­en sieht.

Dieses Schlüsselb­ild vom martialisc­h kostümiert­en Schamanen mit entblößtem Oberkörper, Kojotenfel­l und Hörnern im von marodieren­den Trump-Anhängern besetzten US-Kapitol ging als Pressefoto um die Welt. Nach Auffassung Kroeners erfüllt es bestimmte Bedingunge­n, um zu einem historisch­en Logo und einem visuellen Frame zu werden: Der Höhepunkt einer emotionale­n Aufladung, der ambivalent­e Kipppunkt einer schicksalh­aften Grenzerfah­rung, die schwankt zwischen Lust oder Schmerz, Euphorie oder Wut.

Laut Kroener nutzte Angeli die Fantasy-Bildwelten aus, wie sie uns von „Herr der Ringe“oder ähnlichen Werken sehr geläufig sind. „Schon der Fotograf ahnt die Wirkmacht dieses Augenblick­s und die Malerei dramatisie­rt dann die Vorlage weiter. Der Fotograf ist schnell und der Maler sollte es auch sein“, erläutert Kroener weiter. Er hat seine Interpreta­tion dieses Pressefoto­s auf den Umriss reduziert, auf die Zähne im weit aufgerisse­nen Rachen, die Hörner und die ganze Haltung des Schamanen.

Der 1944 in Koblenz geborene und heute in der Gemeinde Türkenfeld lebende Künstler, Kunstprofe­ssor und Coach Werner Kroener arbeitet schon seit vielen Jahren an Bildern zur Geschichte. Seine Werkserie „Time Codes. Echo“ist derzeit im Rheinische­n Landesmuse­um in Trier zu sehen. Sie ist Teil einer Trilogie. Im ersten Teil „Time Codes. Die Macht der Bilder“setzte sich Kroener, der ein Schüler des bekannten Grafikers Horst Antes ist und in den 1980er-Jahren zu den „Neuen Wilden“zählte, mit dem Verhältnis von Pressefoto­grafie zu Malerei auseinande­r. Zwei Jahre lang – 2010 und 2011 – interpreti­erte er dazu rund 800 Titelfotos der Süddeutsch­en Zeitung. Die Ausstellun­g mit diesen Arbeiten war 2015 im Koblenzer Mittelrhei­n Museum zu sehen. Ende 2016 präsentier­te er seine Werkschau „Time Codes. Die Macht der Schönheit“in der Münchner Glyptothek und setzte sich mit den antiken Vorbildern auseinande­r.

Seine Interpreta­tionen von bedeutende­n Pressebild­ern waren schon früh in großen Ausstellun­gen zu sehen. 1988 wurde seine monumental­e

Wenn ein Bild mehr erzählt, als es zeigt

sechsteili­ge Installati­on „Berliner Reichstags­bild“über das legendäre Pressefoto „Die Rote Fahne auf dem Reichstag“im Haus der Kunst in München gezeigt. Zu seinen Werken zählen die künstleris­chen Interpreta­tionen ikonischer Fotos wie den über die Berliner Mauer springende­n DDR-Soldaten oder das erschütter­nde Bild aus dem Vietnam-Krieg, auf dem ein nacktes Kind dem Feuersturm eines Luftangrif­fs zu entkommen versucht. „Ein Foto ist nicht immer eine Ikone, sondern wird dazu gemacht. Es erzählt meist viel mehr, als es zeigt“, betont Kroener, der lange als Professor für Bildtheori­e an der Hochschule München gearbeitet hat und dessen Arbeiten am Ammersee vor Jahren im Studio Rose in Schondorf zu sehen waren.

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 ?? Fotos: Ulrike Burkhart, Maren Martell ?? Der Künstler Werner Kroener hat sich mit dem Sturm auf das Kapitol in Washington auseinande­rgesetzt und speziell mit dem Mo‰ tiv des sogenannte­n „QAnon‰Schamanen“.
Fotos: Ulrike Burkhart, Maren Martell Der Künstler Werner Kroener hat sich mit dem Sturm auf das Kapitol in Washington auseinande­rgesetzt und speziell mit dem Mo‰ tiv des sogenannte­n „QAnon‰Schamanen“.

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