Was das Abkommen der EU mit China taugt
Der Text des umstrittenen Investitionsabkommens ist nun einzusehen. Die eigentlich spannenden Fragen aber liegen auf politischer Ebene
Berlin/Brüssel Hat die EU sich beim Investitionsabkommen mit China auf leere Versprechungen eingelassen? Seitdem der Vertrag am 30. Dezember vereinbart wurde, gibt es Kritik. Am Freitag veröffentlichte die EU-Kommission den Vertragstext. Antworten auf Kernfragen:
Welche Art von Vertrag ist es?
Es ist ein Investitionsabkommen, noch kein Investitionsschutzabkommen. Dazu fehlen verbindliche Bestimmungen, um Rechtsansprüche durchzusetzen. China will seit langem einen Freihandelsvertrag mit der EU schließen, bei dem auch Zölle angeglichen werden oder wegfallen. Aber die EU hat zunächst auf dieses Investitionsabkommen gedrängt, um später darauf aufzubauen. Es ist so etwas wie ein Probelauf.
Was bringt das Investitionsabkommen europäischen Unternehmen?
Viele Wirtschaftsbereiche in China waren für EU-Konzerne bisher nicht zugänglich. In etlichen anderen gab es Zwangsauflagen, so musste etwa technisches Know-how weitergegeben werden oder ein chinesischer Partner war nötig, um investieren zu können. Das soll sich durch das Investitionsabkommen ändern – vor allem in der Finanzbranche, bei Cloud-Dienstleistungen, E-Autos, Hybridfahrzeugen und im Gesundheitsbereich. Außerdem sollen chinesische und europäische Unternehmen in China stärker als bisher gleichbehandelt werden.
Was hat China von dem Vertrag?
Peking sicherte für seine Unternehmen einen weitgehenden Zugang zum europäischen Binnenmarkt. Allerdings hat die EU Hürden gesetzt: So gibt es Beschränkungen dafür, dass sich chinesische Konzerne, die vom Staat unterstützt werden oder ihm gehören, in EU-Firmen einkaufen. Geldgebern aus Fernost bleibt es zudem nur beschränkt erlaubt, in europäische Betriebe im Bereich erneuerbare Energien zu investieren. Erst wenn Peking seinen Energiemarkt für ausländische Investoren öffnet, sollen diese Beschränkungen schrittweise beseitigt werden.
Gibt es damit endlich einen Wettbewerb auf Augenhöhe?
Nein. Zwar wurde für beide Seiten mehr Rechtssicherheit geschaffen und Beobachter gehen davon aus, dass die Konkurrenz fairer wird. Aber es scheint klar, dass dieser Vertrag nur der erste Schritt auf dem Weg zu einem Wettbewerb mit gleichen Regeln sein kann. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, sagte unserer Redaktion: „Eine Einigung mit China ist zwar wichtig, aber China spielt nach den eigenen Regeln. Das Abkommen ist kein großer Wurf, man begegnet sich nicht auf Augenhöhe, die Bedingungen in den Volkswirtschaften sind sehr unterschiedlich.“
Fratzscher sieht die beste Strategie für Europa, die eigenen Interessen im globalen Systemwettbewerb zu behaupten, in einer starken transatlantischen Partnerschaft. Er betont: „Wir sollten uns mit der neuen US-Regierung einigen, wie wir mit China umgehen. Daher sollte Europa auf ein neues Handelsabkommen mit den USA setzen, in dem wir uns auf gemeinsame Standards verständigen, die dann global bindend sind.“
Woran entzündet sich die Kritik? Die Frage bleibt, ob China seinen Teil der Abmachungen erfüllt. Hinzu kommt grundsätzliche Skepsis, ob man mit einer Führung wie in Peking, die die Menschenrechtsbewegung in Hongkong so konsequent unterdrückt, überhaupt ehrlich verhandeln kann. Bernd Lange, der Chef des Handelsausschusses im EU-Parlament, sagte am Freitag unserer Redaktion: „China hat zwar die Abschaffung der Zwangsarbeit versprochen. Aber die Frage ist, ob man sich daran hält – und was passiert, wenn Peking das Versprechen nicht einlöst.“Gleiches gilt für Nachhaltigkeit und Arbeitnehmerschutz.
Wie steht es um die Situation der Menschenrechte in China?
Dirk Pleiter, China-Experte bei Amnesty International (AI), sagte unserer Redaktion: „In der Zeit des aktuellen Präsidenten Xi Jinping beobachten wir eine weitgehende Verschlechterung der Menschenrechtssituation, insbesondere im Bereich der politischen Rechte. Besonders dramatisch verändert hat sich die Situation in der Autonomen Uigurischen Region Xinjiang und in Hongkong.“In Xinjiang seien in den letzten Jahren mutmaßlich mehr als eine Million Angehörige ethnischer Minderheiten inhaftiert und meist in sogenannten Berufsausbildungszentren festgehalten worden – viele von ihnen verschwanden.
Mathias John, AI-Experte für Rüstung, Wirtschaft und Menschenrechte, ergänzte: „Die Firmen müssen bei allen ihren Geschäften in
China zwingend menschenrechtliche Sorgfaltspflichten gemäß den Leitprinzipien der Vereinten Nationen einhalten.“Es brauche daher endlich ein Lieferkettengesetz. Und: „Über die konkrete Sorgfalt hinaus erwarten wir von Unternehmen gerade auch in China, dass sie sich in ihren Gastländern gegenüber dortigen Regierungen generell für eine Verbesserung der Menschenrechtssituation einsetzen.“
Will Peking verhindern, dass es sich demnächst einer Allianz der USA und Europas gegenübersieht?
Davon ist auszugehen. Deshalb stieß das Investitionsabkommen auch in der US-Administration des neuen Präsidenten Joe Biden auf Ablehnung. Peter Clever, Vizepräsident der Arbeitgebergruppe im Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, warnte vor einer „Äquidistanz der EU zu den USA und China“. Die Nähe zu Washington müsse immer größer sein als die zu Peking.
Wie wichtig ist China für die deutschen Autobauer wirklich?
Fast vier von zehn Autos deutscher Hersteller werden in China verkauft. Im Corona-Krisen-Jahr 2020 hat die Bedeutung des China-Geschäfts für die deutschen Autobauer VW mit der Tochter Audi, BMW und Mercedes-Benz nochmals zugelegt, zeigt eine neue Studie des Center Automotive Research von Ferdinand Dudenhöffer. Im Jahr 2020 haben die drei deutschen Autobauer weltweit 14,16 Millionen Fahrzeuge verkauft. Davon fanden 38,2 Prozent in China ihren Besitzer. Ein Jahr davor betrug der Anteil erst 34,8 Prozent. „So hoch war der China-Anteil der deutschen Autobauer noch nie – und er wird weiter steigen“, sagt er.
Welche Rolle spielt die Autoindustrie für die Handelspolitik?
Angesichts der Bedeutung des chinesischen Marktes plädiert Dudenhöffer für stabile Handelsbeziehungen. Er warnt davor, angesichts des neuen US-Präsidenten Joe Biden sich einseitig den USA zuzuwenden. „Der Erfolg und das Wachstum der deutschen Autoindustrie wird ebenso wie das Wirtschaftswachstum in Deutschland von China mit geprägt“, sagt er. VW und Audi seien ohne das China-Geschäft nicht vorstellbar, für BMW steige seine Bedeutung. „Man muss nicht alles gut finden, was in China passiert, aber in der Handelspolitik ist eine rationale, neutrale Haltung nötig, wie sie die Schweiz vormacht“, fordert er.
Was sagt die regionale Wirtschaft?
China ist der zweitwichtigste Außenhandelspartner der bayerischen Wirtschaft. Mehr als 500 bayerischschwäbische Unternehmen handeln derzeit mit China. Markus Anselment, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der IHK Schwaben, sagt: „Mit dem europäisch-chinesischen Investitionsabkommen wurde der Zugang bayerisch-schwäbischer Unternehmen zum chinesischen Markt deutlich verbessert. Es wurde für faire Wettbewerbsbedingungen und mehr Transparenz gesorgt.“Große Hürden im Handel mit China würden nun geregelt, von ungleichen Marktzugangsbedingungen über Defizite beim Rechtsschutz bis hin zu wettbewerbsverzerrenden staatlichen Subventionen. Anselment: „Bayerisch-Schwaben ist ein Produktionsstandort, der Fahrzeugbau zählt zu den wichtigsten Säulen der Produktion. Gerade für die heimischen Fahrzeugbauer und -zulieferer ist das Investitionsabkommen eine gute Nachricht.“