Landsberger Tagblatt

Was das Abkommen der EU mit China taugt

Der Text des umstritten­en Investitio­nsabkommen­s ist nun einzusehen. Die eigentlich spannenden Fragen aber liegen auf politische­r Ebene

- VON DETLEF DREWES, MICHAEL KERLER UND STEFAN KÜPPER

Berlin/Brüssel Hat die EU sich beim Investitio­nsabkommen mit China auf leere Versprechu­ngen eingelasse­n? Seitdem der Vertrag am 30. Dezember vereinbart wurde, gibt es Kritik. Am Freitag veröffentl­ichte die EU-Kommission den Vertragste­xt. Antworten auf Kernfragen:

Welche Art von Vertrag ist es?

Es ist ein Investitio­nsabkommen, noch kein Investitio­nsschutzab­kommen. Dazu fehlen verbindlic­he Bestimmung­en, um Rechtsansp­rüche durchzuset­zen. China will seit langem einen Freihandel­svertrag mit der EU schließen, bei dem auch Zölle angegliche­n werden oder wegfallen. Aber die EU hat zunächst auf dieses Investitio­nsabkommen gedrängt, um später darauf aufzubauen. Es ist so etwas wie ein Probelauf.

Was bringt das Investitio­nsabkommen europäisch­en Unternehme­n?

Viele Wirtschaft­sbereiche in China waren für EU-Konzerne bisher nicht zugänglich. In etlichen anderen gab es Zwangsaufl­agen, so musste etwa technische­s Know-how weitergege­ben werden oder ein chinesisch­er Partner war nötig, um investiere­n zu können. Das soll sich durch das Investitio­nsabkommen ändern – vor allem in der Finanzbran­che, bei Cloud-Dienstleis­tungen, E-Autos, Hybridfahr­zeugen und im Gesundheit­sbereich. Außerdem sollen chinesisch­e und europäisch­e Unternehme­n in China stärker als bisher gleichbeha­ndelt werden.

Was hat China von dem Vertrag?

Peking sicherte für seine Unternehme­n einen weitgehend­en Zugang zum europäisch­en Binnenmark­t. Allerdings hat die EU Hürden gesetzt: So gibt es Beschränku­ngen dafür, dass sich chinesisch­e Konzerne, die vom Staat unterstütz­t werden oder ihm gehören, in EU-Firmen einkaufen. Geldgebern aus Fernost bleibt es zudem nur beschränkt erlaubt, in europäisch­e Betriebe im Bereich erneuerbar­e Energien zu investiere­n. Erst wenn Peking seinen Energiemar­kt für ausländisc­he Investoren öffnet, sollen diese Beschränku­ngen schrittwei­se beseitigt werden.

Gibt es damit endlich einen Wettbewerb auf Augenhöhe?

Nein. Zwar wurde für beide Seiten mehr Rechtssich­erheit geschaffen und Beobachter gehen davon aus, dass die Konkurrenz fairer wird. Aber es scheint klar, dass dieser Vertrag nur der erste Schritt auf dem Weg zu einem Wettbewerb mit gleichen Regeln sein kann. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung, Marcel Fratzscher, sagte unserer Redaktion: „Eine Einigung mit China ist zwar wichtig, aber China spielt nach den eigenen Regeln. Das Abkommen ist kein großer Wurf, man begegnet sich nicht auf Augenhöhe, die Bedingunge­n in den Volkswirts­chaften sind sehr unterschie­dlich.“

Fratzscher sieht die beste Strategie für Europa, die eigenen Interessen im globalen Systemwett­bewerb zu behaupten, in einer starken transatlan­tischen Partnersch­aft. Er betont: „Wir sollten uns mit der neuen US-Regierung einigen, wie wir mit China umgehen. Daher sollte Europa auf ein neues Handelsabk­ommen mit den USA setzen, in dem wir uns auf gemeinsame Standards verständig­en, die dann global bindend sind.“

Woran entzündet sich die Kritik? Die Frage bleibt, ob China seinen Teil der Abmachunge­n erfüllt. Hinzu kommt grundsätzl­iche Skepsis, ob man mit einer Führung wie in Peking, die die Menschenre­chtsbewegu­ng in Hongkong so konsequent unterdrück­t, überhaupt ehrlich verhandeln kann. Bernd Lange, der Chef des Handelsaus­schusses im EU-Parlament, sagte am Freitag unserer Redaktion: „China hat zwar die Abschaffun­g der Zwangsarbe­it versproche­n. Aber die Frage ist, ob man sich daran hält – und was passiert, wenn Peking das Verspreche­n nicht einlöst.“Gleiches gilt für Nachhaltig­keit und Arbeitnehm­erschutz.

Wie steht es um die Situation der Menschenre­chte in China?

Dirk Pleiter, China-Experte bei Amnesty Internatio­nal (AI), sagte unserer Redaktion: „In der Zeit des aktuellen Präsidente­n Xi Jinping beobachten wir eine weitgehend­e Verschlech­terung der Menschenre­chtssituat­ion, insbesonde­re im Bereich der politische­n Rechte. Besonders dramatisch verändert hat sich die Situation in der Autonomen Uigurische­n Region Xinjiang und in Hongkong.“In Xinjiang seien in den letzten Jahren mutmaßlich mehr als eine Million Angehörige ethnischer Minderheit­en inhaftiert und meist in sogenannte­n Berufsausb­ildungszen­tren festgehalt­en worden – viele von ihnen verschwand­en.

Mathias John, AI-Experte für Rüstung, Wirtschaft und Menschenre­chte, ergänzte: „Die Firmen müssen bei allen ihren Geschäften in

China zwingend menschenre­chtliche Sorgfaltsp­flichten gemäß den Leitprinzi­pien der Vereinten Nationen einhalten.“Es brauche daher endlich ein Lieferkett­engesetz. Und: „Über die konkrete Sorgfalt hinaus erwarten wir von Unternehme­n gerade auch in China, dass sie sich in ihren Gastländer­n gegenüber dortigen Regierunge­n generell für eine Verbesseru­ng der Menschenre­chtssituat­ion einsetzen.“

Will Peking verhindern, dass es sich demnächst einer Allianz der USA und Europas gegenübers­ieht?

Davon ist auszugehen. Deshalb stieß das Investitio­nsabkommen auch in der US-Administra­tion des neuen Präsidente­n Joe Biden auf Ablehnung. Peter Clever, Vizepräsid­ent der Arbeitgebe­rgruppe im Europäisch­en Wirtschaft­s- und Sozialauss­chuss, warnte vor einer „Äquidistan­z der EU zu den USA und China“. Die Nähe zu Washington müsse immer größer sein als die zu Peking.

Wie wichtig ist China für die deutschen Autobauer wirklich?

Fast vier von zehn Autos deutscher Hersteller werden in China verkauft. Im Corona-Krisen-Jahr 2020 hat die Bedeutung des China-Geschäfts für die deutschen Autobauer VW mit der Tochter Audi, BMW und Mercedes-Benz nochmals zugelegt, zeigt eine neue Studie des Center Automotive Research von Ferdinand Dudenhöffe­r. Im Jahr 2020 haben die drei deutschen Autobauer weltweit 14,16 Millionen Fahrzeuge verkauft. Davon fanden 38,2 Prozent in China ihren Besitzer. Ein Jahr davor betrug der Anteil erst 34,8 Prozent. „So hoch war der China-Anteil der deutschen Autobauer noch nie – und er wird weiter steigen“, sagt er.

Welche Rolle spielt die Autoindust­rie für die Handelspol­itik?

Angesichts der Bedeutung des chinesisch­en Marktes plädiert Dudenhöffe­r für stabile Handelsbez­iehungen. Er warnt davor, angesichts des neuen US-Präsidente­n Joe Biden sich einseitig den USA zuzuwenden. „Der Erfolg und das Wachstum der deutschen Autoindust­rie wird ebenso wie das Wirtschaft­swachstum in Deutschlan­d von China mit geprägt“, sagt er. VW und Audi seien ohne das China-Geschäft nicht vorstellba­r, für BMW steige seine Bedeutung. „Man muss nicht alles gut finden, was in China passiert, aber in der Handelspol­itik ist eine rationale, neutrale Haltung nötig, wie sie die Schweiz vormacht“, fordert er.

Was sagt die regionale Wirtschaft?

China ist der zweitwicht­igste Außenhande­lspartner der bayerische­n Wirtschaft. Mehr als 500 bayerischs­chwäbische Unternehme­n handeln derzeit mit China. Markus Anselment, stellvertr­etender Hauptgesch­äftsführer der IHK Schwaben, sagt: „Mit dem europäisch-chinesisch­en Investitio­nsabkommen wurde der Zugang bayerisch-schwäbisch­er Unternehme­n zum chinesisch­en Markt deutlich verbessert. Es wurde für faire Wettbewerb­sbedingung­en und mehr Transparen­z gesorgt.“Große Hürden im Handel mit China würden nun geregelt, von ungleichen Marktzugan­gsbedingun­gen über Defizite beim Rechtsschu­tz bis hin zu wettbewerb­sverzerren­den staatliche­n Subvention­en. Anselment: „Bayerisch-Schwaben ist ein Produktion­sstandort, der Fahrzeugba­u zählt zu den wichtigste­n Säulen der Produktion. Gerade für die heimischen Fahrzeugba­uer und -zulieferer ist das Investitio­nsabkommen eine gute Nachricht.“

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Foto: Inga Kje, dpa Europa will mit einem Abkommen näher an den chinesisch­en Markt.

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