Der erste CoronaFall
Vor einem Jahr wird ein Mann aus Kaufering positiv auf Corona getestet. Er gilt als Corona-Patient eins in Deutschland. Im Gespräch mit unserer Zeitung blicken er und die stellvertretende Leiterin des Gesundheitsamts zurück
Vor einem Jahr wurde der erste Corona-Fall Deutschlands bekannt. Ein 33-Jähriger aus Kaufering hatte sich mit dem Virus infiziert. Unsere Zeitung blickt zurück.
Landkreis Das Coronavirus und die Lungenkrankheit Covid-19 haben unser Leben verändert. Nichts ist mehr, wie es einmal war. Heute vor einem Jahr erreichte das Virus Deutschland – und den Landkreis Landsberg. Ein damals 33 Jahre alter Mann, der bei einem Automobilzulieferer im Landkreis Starnberg arbeitet, war erkrankt. Der bundesweit erste bekannte Corona-Fall löste ein riesiges Medienecho aus. Jetzt, ein Jahr später, sprechen „Patient eins“und Dr. Birgit Brünesholz, die stellvertretende Leiterin des Gesundheitsamts, über ihre Erlebnisse in den Tagen und Wochen nach Bekanntwerden der Infektion.
Am Morgen des 27. Januar 2020 teilte ein Vorgesetzter dem heute 34-jährigen mit, dass eine chinesische Kollegin positiv auf das Virus getestet worden war. Die Kollegin hatte der Mann, der namentlich nicht genannt werden möchte, wenige Tage zuvor bei einer einstündigen Besprechung in der Firmenzentrale
im Landkreis Starnberg getroffen. Er habe direkt neben ihr gesessen. Als er von seiner infizierten Kollegin erfahren hatte, ging der Familienvater zu seinem Hausarzt, der ihn ins Tropeninstitut nach München schickte. Dort wurde er am Nachmittag getestet. „Ich bin danach wieder nach Hause gefahren und habe dort auf den Anruf gewartet“, erinnert er sich. An diesem Abend habe er seiner Tochter zum ersten Mal keinen Gute-NachtKuss gegeben. Kurz nach 20 Uhr kam dann der Anruf, bei dem ihm das positive Testergebnis mitgeteilt wurde. „Mir wurde gesagt, dass ich mich sofort ins Schwabinger Krankenhaus begeben soll.“
Birgit Brünesholz erfuhr am späten Nachmittag des 27. Januars von dem positiven Fall der chinesischen Mitarbeiterin. Sie habe in dem Moment an ihren Kollegen Dr. Lorenz Schröfl gedacht, der das Gesundheitsamt in Starnberg leitet und zuvor in dieser Position in Landsberg tätig war. Doch am Morgen des 28. Januars war klar, dass sie selbst den ersten Corona-Fall Deutschlands zu behandeln hatte. Denn der erste Laborbefund, den sie frühmorgens abzeichnete, sei der des 33-Jährigen aus Kaufering gewesen. „Ich habe gedacht, ich sehe nicht recht“, sagt die 52-Jährige heute.
Über das weitere Vorgehen stimmte sich Birgit Brünesholz mit der Taskforce des Landesamts für Gesundheit in München ab. „Es gab ja damals noch keine Richtlinien, wer Kontaktperson ersten oder zweiten Grades ist.“Als Erstes seien die Ehefrau und die Tochter des Mannes getestet worden. Doch der heute 34-Jährige steckte weder Familienmitglieder noch Freunde oder Arbeitskollegen an. „Das ist für mich bis heute nicht nachvollziehbar, da ich eine volle Woche unbewusst dieses Virus in mir hatte und ich normal mit meiner Familie und Freunden zusammen war“, sagt er.
Dennoch waren vor allem die Eltern der anderen Kinder besorgt, die den Kindergarten der Tochter in Kaufering besuchten. Am Nachmittag des 28. Januars war die Kindergartenleitung über den Fall informiert worden. Einen Anlass, die Einrichtung zu schließen, sah Birgit Brünesholz damals nicht. „Ich habe Anrufe von richtig aggressiven Eltern erhalten“, erinnert sie sich. Erst eine Pressekonferenz mit Landrat Thomas Eichinger habe die Situation in Kaufering beruhigt.
„Patient eins“blieb 19 Tage im Krankenhaus in Schwabing. Zum Zeitpunkt seiner Aufnahme hatte er, außer leichtem Durchfall, keine Beschwerden mehr. Doch auch der Durchfall sei nach wenigen Tagen weggewesen. „In der dritten Woche hatte ich an einem Tag eine leichte Panikattacke, da ich keine Perspektive auf eine Entlassung sah und mir eingebildet habe, ich würde auf ungewisse Zeit festsitzen“, sagt er. Nach der Entlassung hatte er die Auflagen des Gesundheitsamts einzuhalten. Erst nachdem auch die letzte tote Virus-DNA aus seinem Körper ausgeschieden war, durfte er wieder zurück an seine Arbeitsstätte, erinnert sich der 34-Jährige. Und heute? „Mir geht es bestens. Ich wurde öfter von Kopf bis Fuß untersucht, und es wurden keine Spätfolgen festgestellt.“Seit April schützen ihn keine Antikörper vor einer neuerlichen Infektion. „Ich habe stets Abstand gehalten, habe eine Maske getragen und die Handhygiene beachtet, und dies tue ich bis heute genauso und rate es jedem eindringlich“, sagt der Kauferinger.
Während „Patient eins“im Krankenhaus in Schwabing auf seine Entlassung wartete, mussten seine Familie und sechs weitere Personen in häusliche Quarantäne. Birgit Brünesholz hatte entschieden, dass die Personen, mit denen der Mann näheren Kontakt hatte, ihre Wohnungen nicht verlassen sollten. Alle wurden während der etwa zweiwöchigen Inkubationszeit mehrfach negativ auf das Coronavirus getestet und blieben symptomfrei.
Doch der Fall des heute 34-Jährigen sollte nicht der einzige im Landkreis bleiben. Ein Praktikant der Firma, der positiv auf das Virus getestet worden war, hatte mit einem 26-Jährigen aus dem Landkreis Landsberg Kontakt und infizierte ihn. Das Verhängnisvolle dabei: Der 26-Jährige flog am 28. Januar auf die Kanareninsel La Gomera – zusammen
Zum ersten Mal kein GuteNachtKuss
Mit Schutzanzügen vor der Ferienwohnung
mit fünf Arbeitskollegen, darunter zwei aus dem Landkreis.
Wenige Tage später standen Mitarbeiter der spanischen Gesundheitsbehörden mit Schutzanzügen vor der Tür des Ferienhauses. Fünf aus der Gruppe mussten ins Klinikum, weil deren Körpertemperatur über 37 Grad lag. Weil seine Temperatur darunter war, durfte ein 50-Jähriger aus Landsberg im Ferienhaus bleiben. Das Grundstück zu verlassen, war aber auch ihm untersagt. Birgit Brünesholz telefonierte täglich mit den Betroffenen und den Ärzten. Über den deutschen Botschafter gelang es ihr, einen Übersetzer aufzutreiben, damit sie mit dem Leiter der Klinik das weitere Vorgehen besprechen konnte. Denn die Untersuchungen auf La Gomera hätten sich von denen in Deutschland doch sehr unterschieden.
Ein Jahr Corona: „Patient eins“hätte nie gedacht, dass das Virus so gefährlich ist und es zu einer Pandemie kommt. „Im Nachhinein ist mir klar geworden, dass ich ein Riesenglück hatte, dass das Virus meinen Körper nicht so stark angegriffen hat und ich das Ganze glimpflich überstanden habe.“
Mit den Ereignissen vor einem Jahr und den Folgen der Corona-Krise beschäftigt sich unsere Zeitung auch in der Samstagsausgabe.