Landsberger Tagblatt

Der erste Corona‰Fall

Vor einem Jahr wird ein Mann aus Kaufering positiv auf Corona getestet. Er gilt als Corona-Patient eins in Deutschlan­d. Im Gespräch mit unserer Zeitung blicken er und die stellvertr­etende Leiterin des Gesundheit­samts zurück

- VON THOMAS WUNDER

Vor einem Jahr wurde der erste Corona-Fall Deutschlan­ds bekannt. Ein 33-Jähriger aus Kaufering hatte sich mit dem Virus infiziert. Unsere Zeitung blickt zurück.

Landkreis Das Coronaviru­s und die Lungenkran­kheit Covid-19 haben unser Leben verändert. Nichts ist mehr, wie es einmal war. Heute vor einem Jahr erreichte das Virus Deutschlan­d – und den Landkreis Landsberg. Ein damals 33 Jahre alter Mann, der bei einem Automobilz­ulieferer im Landkreis Starnberg arbeitet, war erkrankt. Der bundesweit erste bekannte Corona-Fall löste ein riesiges Medienecho aus. Jetzt, ein Jahr später, sprechen „Patient eins“und Dr. Birgit Brünesholz, die stellvertr­etende Leiterin des Gesundheit­samts, über ihre Erlebnisse in den Tagen und Wochen nach Bekanntwer­den der Infektion.

Am Morgen des 27. Januar 2020 teilte ein Vorgesetzt­er dem heute 34-jährigen mit, dass eine chinesisch­e Kollegin positiv auf das Virus getestet worden war. Die Kollegin hatte der Mann, der namentlich nicht genannt werden möchte, wenige Tage zuvor bei einer einstündig­en Besprechun­g in der Firmenzent­rale

im Landkreis Starnberg getroffen. Er habe direkt neben ihr gesessen. Als er von seiner infizierte­n Kollegin erfahren hatte, ging der Familienva­ter zu seinem Hausarzt, der ihn ins Tropeninst­itut nach München schickte. Dort wurde er am Nachmittag getestet. „Ich bin danach wieder nach Hause gefahren und habe dort auf den Anruf gewartet“, erinnert er sich. An diesem Abend habe er seiner Tochter zum ersten Mal keinen Gute-NachtKuss gegeben. Kurz nach 20 Uhr kam dann der Anruf, bei dem ihm das positive Testergebn­is mitgeteilt wurde. „Mir wurde gesagt, dass ich mich sofort ins Schwabinge­r Krankenhau­s begeben soll.“

Birgit Brünesholz erfuhr am späten Nachmittag des 27. Januars von dem positiven Fall der chinesisch­en Mitarbeite­rin. Sie habe in dem Moment an ihren Kollegen Dr. Lorenz Schröfl gedacht, der das Gesundheit­samt in Starnberg leitet und zuvor in dieser Position in Landsberg tätig war. Doch am Morgen des 28. Januars war klar, dass sie selbst den ersten Corona-Fall Deutschlan­ds zu behandeln hatte. Denn der erste Laborbefun­d, den sie frühmorgen­s abzeichnet­e, sei der des 33-Jährigen aus Kaufering gewesen. „Ich habe gedacht, ich sehe nicht recht“, sagt die 52-Jährige heute.

Über das weitere Vorgehen stimmte sich Birgit Brünesholz mit der Taskforce des Landesamts für Gesundheit in München ab. „Es gab ja damals noch keine Richtlinie­n, wer Kontaktper­son ersten oder zweiten Grades ist.“Als Erstes seien die Ehefrau und die Tochter des Mannes getestet worden. Doch der heute 34-Jährige steckte weder Familienmi­tglieder noch Freunde oder Arbeitskol­legen an. „Das ist für mich bis heute nicht nachvollzi­ehbar, da ich eine volle Woche unbewusst dieses Virus in mir hatte und ich normal mit meiner Familie und Freunden zusammen war“, sagt er.

Dennoch waren vor allem die Eltern der anderen Kinder besorgt, die den Kindergart­en der Tochter in Kaufering besuchten. Am Nachmittag des 28. Januars war die Kindergart­enleitung über den Fall informiert worden. Einen Anlass, die Einrichtun­g zu schließen, sah Birgit Brünesholz damals nicht. „Ich habe Anrufe von richtig aggressive­n Eltern erhalten“, erinnert sie sich. Erst eine Pressekonf­erenz mit Landrat Thomas Eichinger habe die Situation in Kaufering beruhigt.

„Patient eins“blieb 19 Tage im Krankenhau­s in Schwabing. Zum Zeitpunkt seiner Aufnahme hatte er, außer leichtem Durchfall, keine Beschwerde­n mehr. Doch auch der Durchfall sei nach wenigen Tagen weggewesen. „In der dritten Woche hatte ich an einem Tag eine leichte Panikattac­ke, da ich keine Perspektiv­e auf eine Entlassung sah und mir eingebilde­t habe, ich würde auf ungewisse Zeit festsitzen“, sagt er. Nach der Entlassung hatte er die Auflagen des Gesundheit­samts einzuhalte­n. Erst nachdem auch die letzte tote Virus-DNA aus seinem Körper ausgeschie­den war, durfte er wieder zurück an seine Arbeitsstä­tte, erinnert sich der 34-Jährige. Und heute? „Mir geht es bestens. Ich wurde öfter von Kopf bis Fuß untersucht, und es wurden keine Spätfolgen festgestel­lt.“Seit April schützen ihn keine Antikörper vor einer neuerliche­n Infektion. „Ich habe stets Abstand gehalten, habe eine Maske getragen und die Handhygien­e beachtet, und dies tue ich bis heute genauso und rate es jedem eindringli­ch“, sagt der Kauferinge­r.

Während „Patient eins“im Krankenhau­s in Schwabing auf seine Entlassung wartete, mussten seine Familie und sechs weitere Personen in häusliche Quarantäne. Birgit Brünesholz hatte entschiede­n, dass die Personen, mit denen der Mann näheren Kontakt hatte, ihre Wohnungen nicht verlassen sollten. Alle wurden während der etwa zweiwöchig­en Inkubation­szeit mehrfach negativ auf das Coronaviru­s getestet und blieben symptomfre­i.

Doch der Fall des heute 34-Jährigen sollte nicht der einzige im Landkreis bleiben. Ein Praktikant der Firma, der positiv auf das Virus getestet worden war, hatte mit einem 26-Jährigen aus dem Landkreis Landsberg Kontakt und infizierte ihn. Das Verhängnis­volle dabei: Der 26-Jährige flog am 28. Januar auf die Kanarenins­el La Gomera – zusammen

Zum ersten Mal kein Gute‰Nacht‰Kuss

Mit Schutzanzü­gen vor der Ferienwohn­ung

mit fünf Arbeitskol­legen, darunter zwei aus dem Landkreis.

Wenige Tage später standen Mitarbeite­r der spanischen Gesundheit­sbehörden mit Schutzanzü­gen vor der Tür des Ferienhaus­es. Fünf aus der Gruppe mussten ins Klinikum, weil deren Körpertemp­eratur über 37 Grad lag. Weil seine Temperatur darunter war, durfte ein 50-Jähriger aus Landsberg im Ferienhaus bleiben. Das Grundstück zu verlassen, war aber auch ihm untersagt. Birgit Brünesholz telefonier­te täglich mit den Betroffene­n und den Ärzten. Über den deutschen Botschafte­r gelang es ihr, einen Übersetzer aufzutreib­en, damit sie mit dem Leiter der Klinik das weitere Vorgehen besprechen konnte. Denn die Untersuchu­ngen auf La Gomera hätten sich von denen in Deutschlan­d doch sehr unterschie­den.

Ein Jahr Corona: „Patient eins“hätte nie gedacht, dass das Virus so gefährlich ist und es zu einer Pandemie kommt. „Im Nachhinein ist mir klar geworden, dass ich ein Riesenglüc­k hatte, dass das Virus meinen Körper nicht so stark angegriffe­n hat und ich das Ganze glimpflich überstande­n habe.“

Mit den Ereignisse­n vor einem Jahr und den Folgen der Corona-Krise beschäftig­t sich unsere Zeitung auch in der Samstagsau­sgabe.

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Fotos/Montage: Leitenstor­fer/Jordan/Kaya Heute vor einem Jahr erreichte das Coronaviru­s den Landkreis Landsberg, nachdem ein 33‰Jähriger aus Kaufering positiv getestet worden war. Dr. Birgit Brünesholz vom Gesundheit­samt blickt auf diese Zeit zurück.
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