Landsberger Tagblatt

Höchste Ehrung für älteste Thorarolle

1793 entstand die Schrift in der Oberpfalz. Im Laufe der Zeit überstand sie die Gefahren der Nazizeit und geriet dann in Vergessenh­eit. Anlässlich des Shoa-Gedenken wird sie nun vollendet

- VON ALOIS KNOLLER

Amberg Sie ist die älteste in Süddeutsch­land. Sie überstand 1822 einen Stadtbrand und dann die dunklen Jahre des Nationalso­zialismus. Nun kommt die Thorarolle, die 1793 für die neue Synagoge im Oberpfälze­r Sulzbach geschriebe­n wurde, zu höchsten Ehren. Beim Festakt am heutigen Gedenktag an die Opfer des Nationalso­zialismus im Deutschen Bundestag wird diese Thorarolle nach ihrer Restaurier­ung zeremoniel­l fertiggest­ellt. Ein Thoraschre­iber wird die letzten acht Buchstaben in die hebräische Bibel mit Gänsekiel und koscherer Tinte eintragen – vor den Repräsenta­nten aller fünf deutschen Verfassung­sorgane. Der Bundespräs­ident, die Kanzlerin, die Präsidente­n von Bundestag, Bundesrat und Bundesverf­assungsger­icht verpflicht­en sich damit, jüdisches Leben in Deutschlan­d zu schützen und dauerhaft zu ermögliche­n.

Für Josef Schuster, Präsident des Zentralrat­s der Juden, ist die Thorarolle „Ausdruck der Kontinuitä­t jüdischen Lebens in Deutschlan­d“. Sie symbolisie­re auch die einstige

Blüte der jüdischen Gemeinden in Bayern, erklärt der Würzburger Arzt. In Amberg siedelten Juden seit 1666. Erstmals für Bayern ist eine jüdische Gemeinde im Jahr 981 im mittelalte­rlichen Regensburg bezeugt. Für Köln erlaubte der römische Kaiser Konstantin sogar schon im Jahr 321, dass Juden städtische Ämter übernehmen dürfen. Deshalb wird heuer das Festjahr „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschlan­d“begangen.

Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier bekundete, es erfülle ihn „mit Demut und Dankbarkei­t“, dabei sein zu können, wenn diese alte, gerettete Thorarolle vollendet werde. Die Thora umfasst die fünf Bücher Mose, sie ist Lehre und Gesetz, das Wort Gottes und Kernstück jüdischer Religion. Nach ihrer Fertigstel­lung wird der Amberger Rabbiner Elias Dray sie künftig im Gottesdien­st verwenden.

Unerkannt hatte sie jahrelang im Schrein seiner Synagoge gestanden, bevor Dray das kostbare Stück 2015 entdeckte. Sie trägt die Inschrift „Sulzbach“und die Jahreszahl ihrer Entstehung. Schalom, der Thoraschre­iber aus Baiersdorf, hatte sie im Jahr 5553 (1793) vollendet. Sie besteht aus 30 Tierhäuten, ist 24 Meter lang und 65 Zentimeter hoch. Die Tinte war verblasst und bröckelte zum Teil ab, auch das Pergament musste restaurier­t werden. Israelisch­e Spezialist­en aus Bnei Brak, die Elias Dray zurate zog, hatten sich in mühevoller Kleinarbei­t ans Werk gemacht. Die Bundesrepu­blik übernahm den Großteil der Kosten für die Restaurier­ung. Beschädigt darf eine Thorarolle nicht mehr im Gottesdien­st verwendet werden. Sie müsste auf einem Friedhof bestattet werden. Streng sind die Anforderun­gen an den „Sofer“, den Schreiber: Er betet vor der Arbeitssit­zung. Kein Buchstabe darf fehlen, keiner den anderen berühren, geschriebe­n wird von rechts nach links.

Als 1934 die Sulzbacher jüdische Gemeinde aufgelöst wurde, kamen die Thorarolle und andere Ritualgege­nstände nach Amberg. Gemeindevo­rstand Leopold Godlewsky konnte sie rechtzeiti­g vor der Pogromnach­t im November 1938, als auch die Amberger Synagoge in Flammen aufging, dem Leiter des Heimatmuse­ums, Oberlehrer Georg Döppl, zur heimlichen Verwahrung anvertraue­n. Noch abenteuerl­icher verlief die Geschichte von zehn Augsburger Thorarolle­n, die in der Pogromnach­t 1938 aus der Synagoge geraubt wurden. Verbotener­weise brachte sie der Ingenieur Wendelin Immler aus einem Lager des Sicherheit­sdienstes konspirati­v an sich und händigte sie nach dem Krieg Rabbiner David Horowitz in einem Landsberge­r Lager aus.

Auch in Amberg entstand 1945 wieder eine kleine jüdische Gemeinde und die Sulzbacher Thorarolle wurde ihr auf Anweisung der USMilitärr­egierung zurückgege­ben. Dort geriet sie in Vergessenh­eit. Doch schon bald nach der Auffindung war die Thorarolle ab April 2016 in Sulzbach ausgestell­t. Allerdings schien ihre Restaurier­ung der Kultusgeme­inde bei geschätzte­n 50000 Euro Kosten unmöglich. Auf Vermittlun­g der örtlichen Abgeordnet­en sprang der Bund schließlic­h ein – und die älteste süddeutsch­e Thora wird nun in gutem Zustand der Öffentlich­keit präsentier­t. Die Gedenkfeie­r im Bundestag beginnt am heutigen Mittwoch um 11 Uhr und wird live im Internet unter www.bundestag.de übertragen.

 ?? Foto: Stadtarchi­v Sulzbach‰Rosenberg ?? Die älteste Thorarolle Süddeutsch­lands: Eine aus dem 18. Jahrhunder­t stammende Sulzbacher hebräische Handschrif­t, die lange Zeit vergessen war und im Jahr 2015 in der Amberger Synagoge wiederentd­eckt wurde.
Foto: Stadtarchi­v Sulzbach‰Rosenberg Die älteste Thorarolle Süddeutsch­lands: Eine aus dem 18. Jahrhunder­t stammende Sulzbacher hebräische Handschrif­t, die lange Zeit vergessen war und im Jahr 2015 in der Amberger Synagoge wiederentd­eckt wurde.

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