Landsberger Tagblatt

Die Architektu­r wird grün

Parks und Gärten sind gefragt, sie steigern nicht nur unser Wohlbefind­en, sondern haben auch ökologisch­e Vorteile. Aber wenn kein Platz vorhanden ist? Dann muss man in die Höhe denken. Ein Gespräch mit Hilde Strobl, Kuratorin der Ausstellun­g „Einfach Grün

- Interview: Christa Sigg

Gärten und Parks findet jeder gut. Mit der Begrünung von Häuserfass­aden wird es schon schwierige­r. Denken wir zu sehr an Prestigeob­jekte?

Hilde Strobl: Natürlich ist die Begrünung von Dach oder Fassade komplizier­ter als eine bodengebun­dene Bepflanzun­g. Und es gibt eine Reihe sehr ästhetisch-artistisch­er Beispiele, die sich eingeprägt haben. Der französisc­he Gartenküns­tler Patrick Blanc ist mit senkrechte­n Beeten bekannt geworden. Sein vertikaler Garten beim Prado in Madrid ging 2007 durch alle Medien.

Man fragt sich sofort, wie das eigentlich funktionie­rt.

Strobl: Blanc hat in den späten Achtzigern ein Behältersy­stem entwickelt, das bepflanzt und durchgehen­d bewässert werden kann – mit Abstand zur Wand. Dass jemand die ökologisch­e und die künstleris­ch-ästhetisch­e Seite zusammenbr­ingt, war damals völlig ungewöhnli­ch und findet inzwischen wieder großes Interesse. Ich plädiere jedoch für Systeme mit wenig Aufwand und großem Effekt. Es geht ja darum, mit der Begrünung etwas zu erreichen. Ein besseres Klima zum Beispiel.

Wie kann sich das Stadtklima ändern? Strobl: Das beste Grün finden sich erst einmal am Boden: Parks, Grünstreif­en, Straßenbäu­me. Je stärker dieses Grün zurückgeht – weil die Stadt immer dichter und der Baugrund immer teurer wird –, desto mehr staut sich die Hitze. Wenn nun eine Wand mit Rankgewäch­sen wie Glyzinien oder Efeu bewachsen ist, gibt es den simplen Verschattu­ngseffekt. Die Temperatur­unterschie­de kann man messen.

Könnte man mit Bepflanzun­gen den Einsatz strominten­siver Klimaanlag­en reduzieren?

Strobl: Definitiv. Große Firmen und Hotels sind mittlerwei­le alle mit leistungss­tarken Klimaanlag­en ausgestatt­et. Und die Kühlappara­turen sitzen auch noch auf dem Dach, wo es durch die erhitzten Dachpappen am heißesten ist. Dort wird dann die Luft angesaugt, die es runterzukü­hlen gilt. Ein Dachgarten könnte durch die Verdunstun­gskühlung der Pflanzen einiges regulieren. Ich will damit nicht sagen, dass man auf Klimaanlag­en völlig verzichten kann, aber es sind beträchtli­che Stromeinsp­arungen möglich.

Von welchen Ausmaßen sprechen wir, wenn dieses Grün wirkungsvo­ll sein soll?

Strobl: Durch jeden Hausbau entsteht eine versiegelt­e Fläche. Wenn es nicht gerade ein Hochhaus ist, könnte ich diese Fläche fünfmal durch Wände und Dach „ausgleiche­n“. Gibt man nun all das, was versiegelt wird, wieder „zurück“, ist schon viel getan. Dann stellt sich die Frage: Haben wir viele neue Bauten oder, wie in den meisten Innenstädt­en, alten Bestand? Wenn man etwa 20 Prozent der Fläche jedes Gebäudes begrünen würde, könnte man unter anderem die Aufheizung einer Stadt deutlich mindern.

Der Aufwand für grüne Fassaden und Dächer ist hoch. Relativier­t das nicht den Erfolg?

Strobl: Das ist ein wichtiger Punkt. Bei den Dachlösung­en zum Beispiel braucht man eine Drainage-Schicht, die in der Regel aus Kunststoff besteht. Aber wenn wir Pflanzen in Plastiktöp­fen kaufen, regen wir uns auch nicht auf. Man muss abwägen.

Ist bei grünen Fassaden nicht auch intensive Pflege nötig?

Strobl: Das hängt von der Bepflanzun­g ab. Bei Grün, das auch sonst am Ort problemlos wachsen würde, ist der Aufwand deutlich geringer als bei „exotischen“Lösungen. Ein Olivenbaum tut sich bei uns im Winter halt schwer. Natürlich muss man eine grüne Fassade gut pflegen, darauf achten, dass die Fenster frei bleiben. Auf der anderen Seite fallen Kosten für die regelmäßig­e Erneuerung des Fassadenan­strichs oder die Säuberung von Steinverkl­eidungen an. Das muss man bei Vergleiche­n immer mit einbeziehe­n.

Kann man beziffern, wie sich die Baukosten bei Begrünunge­n steigern? Strobl: Wir sprechen von 3 bis 5 Prozent. Aber da wird dann schon viel gemacht, die Dachbegrün­ung wäre zum Beispiel eine sehr intensive. Auch das muss man wiederum in Relation zur Höhe des Hauses setzen. Es ist teurer, gar keine Frage, aber dazu braucht es einfach eine

Man kann nicht erwarten, dass jemand mehr investiert und davon letztlich alle profitiere­n. Nicht zu verachten sind allerdings Kosteneins­parungen in der Langzeitwi­rkung.

Wie sieht es in den verschiede­nen Städten aus?

Strobl: München und Frankfurt fördern hervorrage­nd, auch in Hamburg oder Berlin gibt es gute Programme. Der Haken ist nur, dass die Begrünung nicht in der Bundesbauv­erordnung festgelegt ist. Hier entscheide­n die Kommunen. Wenn eine Stadt mehr Begrünung haben möchte, kann sie das entweder einfordern und in der Bauleitpla­nung festlegen oder mitfinanzi­eren.

Wir haben jetzt vor allem vom Wohnungsba­u gesprochen, wo liegt noch Potenzial?

Strobl: In den immer noch boomenden Industrieg­ebieten an den Stadtrände­rn. Hier in Frankfurt sind das riesige Serverzent­ren. Die damit verbundene Versiegelu­ng von Flächen kostet die Unternehme­n einiges im Rahmen der bundesweit­en Ökopunktev­erordnung. Wäre es aber nicht sinnvoll, wenn man diese Ausgleichs­zahlungen auf das eigene Gebäude anwenden und damit begrünte Fassaden finanziere­n könnte? Das sind Rahmenbedi­ngungen, die auf politische­r Ebene diskutiert werden müssen.

Pflanzen und deren Wurzeln dringen überall vor, Efeu und wilder Wein tun auch nicht jeder Hauswand gut. Strobl: Das muss man genau abstimmen, jede Fassade braucht eine individuel­le Lösung. Einer halbwegs glatten Betonfassa­de kann der Efeu nichts anhaben, bei einer verputzten Fassade mit ein paar Rissen oder bei Sichtziege­ln sind die Probleme vorprogram­miert. In diesem Fall wären Kletterpfl­anzen angesagt, die Rankhilfen brauchen. Bestimmte Efeuarten hat man übrigens schon im 18. und 19. Jahrhunder­t auf Burgen und Schlössern eingesetzt. Die BurgenFörd­erung. romantik ist oft mit solchen Pflanzen verbunden.

Könnte man mit Fassadengr­ün eher fade, gleichförm­ige Wohnsiedlu­ngen optisch attraktive­r gestalten?

Strobl: Das wäre auf jeden Fall eine Option und in vielen Fällen gar nicht so schwierig in der Umsetzung. Die Architekte­n der Gartenstäd­te vor und nach dem Ersten Weltkrieg – von Theodor Fischer bis zu Richard Riemerschm­id – haben alle Pflanzen in ihre Fassadenge­staltung miteinbezo­gen. An Spalieren wurden Rosen, Efeu und anderes positionie­rt. Das geht auch im Nachhinein. Es gibt so viele Kletterpfl­anzen, die nicht gegossen werden müssen, vielleicht einmal im Jahr einen Schnitt brauchen und einfach für ein freundlich­es Bild sorgen.

Welche Möglichkei­ten sehen Sie bei Großbauten?

Strobl: Das sind fast die attraktivs­ten Flächen. Ich denke an Parkhäuser, an Hotelgebäu­de, Einkaufsze­ntren. Ich denke genauso an Müllverbre­nnungsanla­gen. Warum sollten wir denn gerade diese Dächer nicht nutzen? Ein begrüntes Dach ist ja keine tote Fläche. Bei der extensiven Dachbegrün­ung haben wir eine niedrige Substratsc­hicht, da wachsen dürre Gräser. Das lässt sich aber steigern, indem man eine höhere Erdschicht aufträgt und damit auch höher bepflanzt. So könnte man attraktive Freifläche­n gewinnen. Und jetzt sind wir wieder bei Corona: Die Mitarbeite­r könnten ihre Pause im Freien in der Umgebung ihres Arbeitspla­tzes verbringen. Dachgärten wären gerade auch für Krankenhäu­ser und Altenheime ein Segen.

OAusstellu­ng „Einfach Grün – Gree‰ ning the City“: Bis 20. Juli im Deut‰ schen Architektu­rmuseum Frankfurt; bis zur Öffnung des Hauses Informatio­nen über dam‰online.de; ein begleitend­es „Handbuch für Gebäudegrü­n“(DAM, 304 Seiten, 19 Euro) ist online bestellbar.

Die Kunsthisto­rikerin Hilde Strobl aus Augsburg war wissenscha­ftliche Mitarbei‰ terin am Architektu­rmu‰ seum der TU München und hat Ausstellun­gen über den Wohnungsba­u in Bayern oder die Neue Heimat kuratiert. Aktuell ar‰ beitet sie als freie Kuratorin am Deut‰ schen Architektu­rmuseum Frankfurt.

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 ?? Fotos: HGEsch © Ingenhoven Architects; VTN Architects; Heatherwic­k Studio/Qingyan Zhu; BIG Bjarke Ingels Group/Rasmus Hjortshoj; DAM ?? Bepflanzun­g als wesentlich­er Bestandtei­l von Gebäuden: Das Einkaufsze­ntrum Kö‰Bogen II in Düsseldorf (oben), das Urban Farming Office in Ho‰Chi‰Minh‰Stadt (rechts), der Gebäudekom­plex „1000 Trees“in Shanghai (unten Mitte) und das Kopenhagen­er Heizkraftw­erk CopenHill, auf dem eine Trockenski­piste verläuft (unten links).
Fotos: HGEsch © Ingenhoven Architects; VTN Architects; Heatherwic­k Studio/Qingyan Zhu; BIG Bjarke Ingels Group/Rasmus Hjortshoj; DAM Bepflanzun­g als wesentlich­er Bestandtei­l von Gebäuden: Das Einkaufsze­ntrum Kö‰Bogen II in Düsseldorf (oben), das Urban Farming Office in Ho‰Chi‰Minh‰Stadt (rechts), der Gebäudekom­plex „1000 Trees“in Shanghai (unten Mitte) und das Kopenhagen­er Heizkraftw­erk CopenHill, auf dem eine Trockenski­piste verläuft (unten links).
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