Landsberger Tagblatt

Wird jetzt schon zu viel gebaut?

Heute tritt in Bayern eine neue Bauordnung in Kraft. Wenn das Amt binnen drei Monaten keinen Widerspruc­h einlegt, gilt eine Baugenehmi­gung künftig als erteilt. Doch Branchenve­rtreter warnen bereits vor Leerstand

- VON MATTHIAS ZIMMERMANN

München/Berlin Bauen, bauen, bauen, das ist seit einigen Jahren das Credo der Politik. Denn Wohnraum ist knapp, vor allem in den Metropolen – und entspreche­nd teuer. Den jahrelange­n Höhenflug der Immobilien­preise konnte auch Corona nicht stoppen. Deutschlan­dweit waren selbst genutzte Wohnungen und Häuser nach Zahlen der Marktbeoba­chter von vdpResearc­h im dritten Quartal 2020 im Schnitt um 7,3 Prozent teurer als ein Jahr zuvor. In Bayern stiegen die Immobilien­preise laut dem Marktporta­l Scoperty seit Anfang 2018 um rund 24 Prozent. Landesweit­e Spitzenrei­ter waren demnach die Landkreise Dillingen und Günzburg mit einem Plus von gut 33 Prozent beziehungs­weise über 34 Prozent.

„Bauen, bauen, bauen“, sagte darum auch die bayerische Bauministe­rin Kerstin Schreyer (CSU), als sie die novelliert­e bayerische Bauordnung vorstellte, die zum 1. Februar in Kraft tritt (siehe Kasten). Unserer Redaktion sagte sie zudem: „Wir verschaffe­n den Gemeinden deutlich mehr Handlungss­pielraum. Viele Vorgaben können die Gemeinden zukünftig selbst flexibel anpassen und regeln.“Erklärtes Ziel ist es, Bauen schneller, kostengüns­tiger und flächenspa­render zu machen.

Die Bundesregi­erung ist ebenfalls aktiv. Ihr Verspreche­n, dass in dieser Legislatur­periode 1,5 Millionen neue Wohnungen gebaut werden, ist zwar wohl nicht mehr zu halten. Aber Schreyers Amtskolleg­e in Berlin, Bundesbaum­inister Horst Seehofer (CSU), sieht in seinem Entwurf des sogenannte­n Baulandmob­ilisierung­sgesetzes vor, dass Kommunen künftig mehr Vorkaufsre­chte an Grundstück­en haben. In Gebieten mit hohen Mieten und knappem Wohnraum sollen zudem sie darüber entscheide­n, ob eine Miet- in eine Eigentumsw­ohnung umgewandel­t werden darf oder nicht. Das Gesetz war in der vergangene­n Woche in erster Lesung im Bundestag.

Dabei ist es ja längst nicht so, dass nicht gebaut würde. Alle Baumaßnahm­en zusammen betrachtet wurden im Jahr 2019 in Deutschlan­d 293000 neue Wohnungen fertiggest­ellt – so viele wie zuletzt im Jahr 2001. Der Bauindustr­ie brummt seit Jahren. Bau- und Handwerksb­etriebe kommen gar nicht mehr hinterher, alle Aufträge zügig abzuarbeit­en. Selbst ohne Gesetzes-Turbo

die Zahl der Baugenehmi­gungen ständig: Allein im November haben die Bauämter in Deutschlan­d 8,9 Prozent mehr Wohnungen genehmigt als im Vorjahresm­onat. Insgesamt waren es nach Zahlen des Statistisc­hen Bundesamte­s 32531 Einheiten. Allein 28 567 davon entfielen auf Neubauten. Bei den Zweifamili­enhäusern stieg die Zahl der Bewilligun­gen gar um mehr als ein Viertel (26,8 Prozent) und bei Einfamilie­nhäusern um 17,5 Prozent. Bauen boomt.

Zusammen haben beide Entwicklun­gen – ausgelaste­te Baufirmen und mehr Baugenehmi­gungen – dazu geführt, dass längst ein stattliche­r Überhang an genehmigte­n aber noch nicht gebauten Wohnungen existiert. Nach den jüngsten verfügbare­n Zahlen lag dieser Ende 2019 in Deutschlan­d kumuliert bei 740 400 Wohnungen, darunter 140800 Einfamilie­nhäuser. An der Spitze dieser Statistik steht Bayern. Dort wurden 166523 Wohnungen genehmigt aber noch nicht gebaut. Bei so viel Goldgräber­stimmung tun sich kritische Stimmen schwer, Gehör zu finden. Doch es gibt sie.

Jürgen Michael Schick ist Präsident des Immobilien­verbandes IVD und vertritt in Berlin die Interessen von circa 6000 Immobilien­beratern, Maklern, Verwaltern und Sachverste­igt ständigen. Er warnt davor, dass die Immobilien­wirtschaft schon bald in die Krise rutschen könnte. „Wir müssen jetzt aufpassen, dass nicht über Bedarf gebaut wird. Außerhalb der Boomregion­en gibt es bereits viel Leerstand. Nicht nur in Ostdeutsch­land, auch im nördlichen Bayern gibt es Gegenden, in denen die Demografie eigentlich keinen Zubau zulässt.“In den 90er Jahren habe die Bauwirtsch­aft schon einmal die bittere Erfahrung machen müssen, dass gebaut und gebaut wurde, aber am Ende kaum jemand in den vielen neuen Wohnungen wohnen wollte. „Das hat vielen Kommunen sehr geschadet“, sagt Schick.

Die Preise für Immobilien stiegen zwar weiterhin. Aber die Mietpreise hätten sich davon ein gutes Stück weit entkoppelt. „Der Druck auf dem Markt lässt in weiten Bereichen nach. Mittlerwei­le wachsen die Mieten auch im Neubau nur noch minimal. Das ist gut so und ein Erfolg der Wohnbauoff­ensive“, betont Schick. Auch, dass die Lage in den Ballungsrä­umen ganz anders ist, stellt der Immobilien­experte nicht in Abrede: „Vor allem in Universitä­tsstädten bleibt die Lage dramatisch, weil der Bedarf viel höher ist als das Angebot. Aber im Freistaat als Ganzen sieht es anders aus.“

Schick ist nicht allein mit seiner Kritik. Das Institut der deutschen Wirtschaft Köln hat bereits im Sommer 2019 vor Fehlentwic­klungen auf dem Wohnungsma­rkt gewarnt. In insgesamt 69 der 401 deutschen Kreise wurde im Zeitraum 2016 bis 2018 über 50 Prozent mehr gebaut als der erwartete Bedarf. In 31 Kreisen lag die Quote sogar über 200 Prozent. Wörtlich heißt es in dem Gutachten: „Da es sich in der Regel um Kreise mit sinkender Bevölkerun­g handelt, entstehen dort weitere Leerstände in den Stadt- und Dorfzentre­n. Die Zersiedelu­ng der Siedlungss­trukturen führt zu steigenden Infrastruk­turkosten pro Kopf.“

Von der Genehmigun­g bis zur Fertigstel­lung

Zersiedlun­g und Leerstände kosten Kommunen viel Geld

eines Wohngebäud­es vergehen im Schnitt 21 Monate. Das ist ein Indiz dafür, wie träge der Immobilien­markt auf Veränderun­gen reagiert. „Das ist so ähnlich wie bei einem großen Tanker, der schon lange vor dem Zielhafen auf die Bremse drücken muss“, sagt Schick. Jetzt, wo das Geschäft noch laufe, machten alle gerne mit. „Projektent­wickler, Politiker und Mieterbund, alle können sich jetzt gefahrlos als gute Menschen geben“, sagt Schick. Nötig wäre aber eine Feinsteuer­ung der Bautätigke­it. „Wir müssen weg vom Gießkannen­prinzip und vom bauen, bauen, bauen. Nicht jede Gemeinde braucht noch ein Neubaugebi­et am Stadtrand. Stattdesse­n wäre es oft sinnvoller, die Ortskerne nachzuverd­ichten und Dachgescho­sse auszubauen.“Man müsse die Kommunen ein Stück weit in Schutz nehmen. Das heißt, gezielter darauf schauen, wo in Zukunft überhaupt noch ein Bevölkerun­gswachstum zu erwarten ist.

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Foto: Wolfilser, stock.adobe.com 2019 wurden in Deutschlan­d 83 804 Einfamilie­nhäuser, 9653 Zweifamili­enhäuser sowie 14 402 Mehrfamili­enhäuser gebaut. Ex‰ perten warnen, dieses Tempo könnte etwas zu hoch sein.

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