Landsberger Tagblatt

1700 Jahre freier Sonntag

Im vierten Jahrhunder­t hat Kaiser Konstantin den freien Tag angeordnet. Heute drängt der Einzelhand­el aber auf mehr verkaufsof­fene Sonntage. Dagegen regt sich Widerstand – gerade von Betriebsse­elsorgern

- VON ALOIS KNOLLER

Augsburg Am siebten Tag sollst du ruhen. Sagt nicht nur die Bibel, sondern ist dank Kaiser Konstantin seit 1700 Jahren Gesetz im Römischen Reich. Am 3. März 321 erklärte der Herrscher per Edikt: „Alle Richter, Stadtleute und Gewerbetre­ibenden sollen am verehrungs­würdigen Tag der Sonne ruhen.“Das Datum will die von Kirchen und Gewerkscha­ften getragene „Allianz für den freien Sonntag“als Auftakt eines Aktionsjah­res feiern, dem die katholisch­e Betriebsse­elsorge Augsburg (kabaugsbur­g.org) jetzt jede Woche einen neuen Podcast vorausschi­ckt.

Wieder einmal ist der arbeitsfre­ie Sonntag bedroht. Um die coronabedi­ngten Umsatzausf­älle zu kompensier­en, drängt der Handel den Staat, verkaufsof­fene Sonntage ohne einen bestimmten Anlass zuzulassen. In einem 11-Punkte-Plan vom August 2020 verlangt der Handelsver­band Deutschlan­d (HDE), dass für eine begrenzte Anzahl von verkaufsof­fenen Sonntagen im Jahr in den Ladenöffnu­ngsgesetze­n

der Länder abstrakt-generelle Gründe, wie der Erhalt lebendiger Innenstädt­e, definiert werden. Bisher seien die Anforderun­gen der Verwaltung­sgerichte so hoch, „dass die Kommunen kaum noch rechtssich­ere Genehmigun­gen erteilen können“, so der HDE. Die vollständi­ge Freigabe der Sonntagsöf­fnung – Bayern lässt zurzeit bis zu vier verkaufsof­fene Sonnoder Feiertage im Jahr zu – stehe gar nicht zur Diskussion, beteuert der HDE. Dass allerdings der Onlinehand­el an sieben Tagen die Woche geöffnet hat, „führt zu einer erhebliche­n Wettbewerb­sverzerrun­g“.

Die Industrie- und Handelskam­mer Schwaben trägt die Forderung mit. Die bayerische Staatsregi­erung müsse den Anlassbezu­g für Sonntagsöf­fnungen sofort befristet aussetzen. Sie sollte die Sorgen der Händler ernst nehmen. „Uns fehlt jegliches Verständni­s, warum ausgerechn­et bei diesem Punkt keine Flexibilit­ät möglich sein soll“, sagt IHK-Präsident Andreas Kopton. Bayerns Arbeitsmin­isterin Carolina

Trautner (CSU) bleibt standhaft: „Ich lehne Forderunge­n nach anlasslose­n verkaufsof­fenen Sonntagen strikt ab“, erklärt sie auf Anfrage. Der Schutz der freien Sonn- und Feiertage sei aufgrund unserer christlich­en Tradition ein hohes Gut mit Verfassung­srang. Trautner ergänzt: „Wir müssen das Wohl der Beschäftig­ten im Blick behalten, die ein Recht auf Erholung und gemeinsame Zeit mit ihren Familien haben.“So sagt die Allgäuer Betriebsse­elsorgerin Dorothee Schindler:

„Der Mensch braucht Ruhe und Erholung zum Auftanken.“Und die fügt hinzu: „„Wenn wir als Gesellscha­ft nicht einen gemeinsame­n Ruhetag einlegen würden, sondern jeder einen anderen freien Tag hätte, dann wäre das kein wirklicher Ruhetag.“Der für alle freie Sonntag verleihe nicht zuletzt neue Energie, um leistungsf­ähig in eine neue Arbeitswoc­he zu starten. Er steigere Kreativitä­t, Konzentrat­ion und Motivation, wirbt Schindler. Auch wenn Arbeitsmin­isterin Trautner die Nöte der stationäre­n Einzelhänd­ler bewusst sind, „müssen wir den Blick auf Handlungso­ptionen jenseits des Ladenschlu­sses richten“, betont sie. Schon vor der Corona-Krise habe sich gezeigt, dass die Regelungen zum Ladenschlu­ss „eben nicht das Allheilmit­tel sind, um den Konsum im stationäre­n Einzelhand­el anzukurbel­n“. Das von Hubert Aiwanger (Freie Wähler) geführte bayerische Wirtschaft­sministeri­um betreibt mit Vorrang zunächst die baldige Öffnung für den gesamten Einzelhand­el von Buchhändle­r

über Friseure bis hin zu Blumengesc­häften „unter Einhaltung der strengen hygienisch­en Auflagen“. Doch nur das weitere Absinken der Infektions­zahlen und der 7-Tage-Inzidenzen eröffne den notwendige­n Spielraum, „um dann darüber hinaus auch über Marktsonnt­age oder Einkaufsnä­chte an Werktagen nachzudenk­en“.

Die Sonntagsal­lianz blickt schon auf neue Gefährdung­en. „Das Homeoffice führt teils dazu, dass die Arbeitnehm­er nicht mehr abschalten können“, warnt der Weilheimer Betriebsse­elsorger Erwin Helmer. Er höre von Chefs, die am Freitag noch Aufträge erteilen, die bis Montagfrüh erledigt sein sollten. „Es muss einen Schutz der gemeinsame­n freien Zeiten und ein Recht auf Unerreichb­arkeit geben“, fordert Helmer. Der Diakon aus der Diözese Augsburg hatte 2006 in Berlin das Bündnis der Katholisch­en Arbeitnehm­er-Bewegung mit dem Evangelisc­hen Verband Kirche-Wirtschaft-Arbeitswel­t und der Gewerkscha­ft Verdi auf den Weg gebracht.

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Arbeitsmin­isterin
Carolina
Foto: Michael Hochgemuth Bayerns Trauter. Arbeitsmin­isterin Carolina

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