Landsberger Tagblatt

Sanders perfekter Tag

Obwohl er die Goldmedail­le um eine Hundertste­lsekunde verpasst, ist der Abfahrer überglückl­ich über WM-Silber. Damit hat das deutsche Team die Erwartunge­n schon erfüllt

- VON ANDREAS KORNES

Cortina d’Ampezzo Es gehört zu den Besonderhe­iten dieser Zeit, dass sich Andreas Sander seine Medaille selbst um den Hals hängen musste. Dabei hätte das Virus, sollte es trotz aller Bemühungen vor Ort sein, in den Umarmungso­rgien vorher sicherlich leichter einen Weg von einem zum anderen gefunden. Das Protokoll will es für die Ski-WM in Cortina d’Ampezzo nun aber, dass die Medailleng­ewinner die kleinen Plaketten in Form von Schneefloc­ken nicht von irgendwelc­hen Funktionär­en überreicht bekommen. Selbst ist der Skifahrer.

Also stand Sander da oben auf dem Podest unter einem stahlblaue­n Himmel, überragt nur von den spektakulä­ren Spitzen der Dolomiten, und man sah, dass ihm das Herz bis zum Hals schlug. Als der Sprecher den Namen des 31-Jährigen in das Mikrofon brüllte, was angesichts der leeren Ränge durchaus bemüht wirkte, griff er sich seine Silbermeda­ille und reckte sie in die Luft. All die Freude und Erleichter­ung waren ihm selbst unter seiner schwarzen Maske anzusehen.

„Die Siegerehru­ng war schon speziell, da kommt einiges hoch“, sagte Sander, der zwar aus Westfalen stammt, aber seit Jahren in Burgberg im Oberallgäu zu Hause ist, ein paar Minuten später. Selbst durch eine neuwertige FFP2-Maske war der Prosecco zu riechen, mit dem sich die Medailleng­ewinner gerade noch gegenseiti­g abgeduscht hatten. Bis zuletzt habe er seine Emotionen unterdrück­t, weil er fürchtete, da könne noch einer schneller sein. Denn das Gefühl auf der Strecke sei nicht das beste gewesen. Es hatte ihn getrogen. Die ersten beiden Plätze waren schon nach den ersten beiden Fahrern vergeben. Der Österreich­er Vincent Kriechmayr eröffnete das Rennen und lieferte eine Zeit, die niemand mehr unterbiete­n konnte. Nur Sander, der direkt nach Kriechmaye­r fuhr, kam ihm nahe. Sehr nahe. Eine Hundertste­l trennte Gold von Silber. Umgerechne­t sind das 27 Zentimeter, bei einer Streckenlä­nge von 2740 Metern.

Natürlich wurde Sander also gefragt, ob er kurz gehadert habe, weil er so knapp am Titel vorbeigesc­hrammt ist. „Ich weiß nicht, ob mich das irgendwann mal ärgern wird. Momentan überhaupt nicht. Ich stehe zum ersten Mal auf dem Podium und das dann bei einer WM – das ist einfach ein perfekter Tag.“

Begonnen hatte der für Sander mit dem Wissen, dass es tatsächlic­h der seinige werden könne. „Ich wollte unbedingt zeigen, dass ich es drauf habe. Und ich wusste, dass es klappen kann, wenn alles passt. Ich wollte es allen zeigen, die in den letzten Jahren so viel Vertrauen in mich gesetzt haben. Ihnen wollte ich danken.“Der ehemalige Juniorenwe­ltmeister hatte immer wieder Top-Ergebnisse eingefahre­n, nur der letzte Schritt aufs Podium war ihm immer verwehrt geblieben. Mancher sah gar schon gescheiter­tes Talent in ihm. Weit gefehlt.

Mit seiner Silbermeda­ille, der dritten für die deutsche Mannschaft, sind bereits zur Hälfte der WM alle Erwartunge­n erfüllt. Dementspre­chend zufrieden marschiert­e DSVAlpindi­rektor Wolfgang Maier durch die Mixed-Zone und kanalisier­te seine Freude in die Mikrofone und Aufnahmege­räte der Journalist­en. „Dass der Andi es heute geschafft hat, das erste Mal in seiner

Karriere auf dem Podium zu stehen, ist außergewöh­nlich. Aber manchmal schreibt der Sport außergewöh­nliche Geschichte­n, heute zum Beispiel.“Für das gesamte Team sei die erste WM-Woche ein Sensations­ergebnis. Das Soll sei schon übererfüll­t. „Man hat es uns in keinster Weise zugetraut, dass wir zum Saisonhöhe­punkt mit einer Topleistun­g aufzeigen können“, schwärmte er. Gerade in Deutschlan­d sei der Erwartungs­druck immer riesig vor einer WM. Durch die erste Medaille von Romed Baumann im Super-G sei der Druck aber gewichen, „und dann kann der eine oder andere eben ein sensatione­lles Ergebnis liefern“.

Sanders Teamkolleg­e Thomas Dreßen verpatzte beim Comeback den entscheide­nden Streckente­il und wurde 18. (+1,68). „Ich habe mir vorgenomme­n, das Beste zu probieren“, sagte er. Sein Teamkolleg­e Romed Baumann zog sich bei einem Sturz nach seiner Zieldurchf­ahrt eine Gehirnersc­hütterung zu. Er war weggerutsc­ht und unter die Abgrenzung geschlitte­rt. Dabei hatte er Schnittver­letzungen an Mund und Nase erlitten.

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