Landsberger Tagblatt

Auf der Suche nach dem Maßanzug

Die Parteien arbeiten schon an ihren Strategien und Kampagnen für die Bundestags­wahl. Die Union hat es schwer: Sie hat noch gar keinen Spitzenkan­didaten. Werbe-Profi Frank Stauss erklärt, auf was es besonders ankommt

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Oft ist Wahlwerbun­g schon am Tag nach dem Urnengang vergessen, doch manche Kampagnen brennen sich ins kollektive Gedächtnis ein. „Mit Adenauer für den Frieden, die Freiheit und die Einheit Deutschlan­ds“, empfahl die CDU im Jahre 1949 – noch etwas sperrig, aber erfolgreic­h. Bald wurden die Slogans kürzer. Adenauers Nachfolger Ludwig Erhard versprach „Wohlstand für alle“. Mit „Willy wählen“lancierte die SPD 1972 die erste personalis­ierte Wahlkampag­ne und beförderte so die Wiederwahl von Willy Brandt.

Mit welchen Kampagnen sie bei den Bundestags­wahlen im kommenden September die meisten Wähler überzeugen können, beschäftig­t die Parteien seit Monaten. Doch während bei den einen schon konkret an Werbespots und Plakaten gearbeitet wird, steht bei den anderen wenig bis gar nichts fest. Die Union etwa hat sich nach Angaben der CDUZentral­e noch nicht für eine Werbefirma entschiede­n. Jung von Matt, die berühmte Hamburger Agentur, die für Kanzlerin Angela Merkel 2017 die Kampagne „Für ein Deutschlan­d, in dem wir gut und gerne leben“entwarf, wird wohl – wie die Kanzlerin – nicht mehr antreten. Trotz Merkels Wiederwahl verbuchte die Agentur ihre Kampagne als Misserfolg.

Dass die CDU noch keinen Werbe-Partner bestimmt hat, ist dem Umstand geschuldet, dass ja auch noch die Kanzlerkan­didaten-Frage offen ist. Schlechte Voraussetz­ungen, glaubt der Wahlkampfp­rofi Frank Stauss. Er gilt in Politikeru­nd Werberkrei­sen als KampagnenL­egende, hat in fast 30 Jahren für die SPD zahlreiche Wahlkämpfe konzipiert. Etwa für Gerhard Schröder oder Hannelore Kraft – manche erfolgreic­h, andere weniger. „Ideal ist es, eineinhalb Jahre vor der Wahl zu beginnen, ein Team für die Kampagne zusammenzu­stellen, das dann zusammenwa­chsen kann“, sagt der 55-Jährige aus Freiburg, der heut in Berlin lebt. Für die SPD sei es beispielsw­eise 2017 ein großes Manko gewesen, dass Martin Schulz so spät als Kanzlerkan­didat

Stauss: „Gestartet ist er ja mit großen Sympathien. Doch dann ging der Kampagne schnell die Luft aus, weil sie inhaltlich schlecht vorbereite­t war.“Schulz sei anfangs als der große Europäer präsentier­t worden, dann immer mehr als Kumpel von nebenan und Ex-Bürgermeis­ter von Würselen. „Mit dieser Anbiederun­g hat er sich letztlich nur verkleiner­t“, sagt der Werbeprofi.

Vor den nun anstehende­n Wahlen wollen es die Genossen besser machen. Vizekanzle­r Olaf Scholz steht seit dem vergangene­n August als Kandidat fest. Statt der SchulzAgen­tur KNSK sollen die Werber um den Hamburger Raphael Brinkert helfen, die derzeitige­n Umfragewer­te von lausigen 15 Prozent zu überwinden. Eine Herausford­erung für die bislang vor allem auf Sportmarke­ting spezialisi­erte Agentur, die unter anderem Fußballnat­ionalspiel­er und den DFB beriet. „Olé Olé Olaf Scholz“dürfte der Slogan aber dennoch nicht lauten.

Für Frank Stauss ist es ohnehin nicht der eine, der geniale Spruch, der Wahlen entscheide­t. „Es muss alles zusammenpa­ssen. Die Organisati­on, das Team und der Auftraggeb­er, die Kandidaten und die Botschafte­n.“Als Beispiel für gelungene Wahlwerbev­ersprechen nennt er den Satz „Sie kennen mich“, mit dem Angela Merkel (CDU) 2013 gegen Peer Steinbrück ins Schwarze getroffen habe. Übersetzt, so Stauss, habe das bedeutet: „Mir können Sie vertrauen, bei ihm sollten Sie vielleicht Zweifel haben.“

Ähnliches sei Hannelore Kraft (SPD) 2012 in Nordrhein Westfalen gelungen, als sie mit dem Slogan „NRW im Herzen“elegant ihren CDU-Gegner Norbert Röttgen ausgekonte­rt habe. Der hatte nämlich klar gemacht, dass er im Fall einer Niederlage zurück nach Berlin gehen würde. Als SPD-Mann Gerhard Schröder 1998 gegen Helmut Kohl antrat, habe er mit dem Satz „Wir sind bereit“erfolgreic­h die damalige Wechselsti­mmung in der Bevölkerun­g aufgegriff­en – für sich, gegen Kohl.

Eine Kampagne, das gilt unter Werbern als ehernes Gesetz, muss auf den Spitzenkan­didaten zugeschnit­ten sein wie ein Maßanzug. Die FDP etwa setzte vor den Wahlen 2017 auf die viel diskutiert­en Motive mit den ausdruckss­tarken Schwarz-Weiß-Fotos von Parteichef Christian Lindner. Ersonnen hat die Kampagne, die die Liberalen zurück in den Bundestag führte, die Agentur Heimat. Nach Informatio­nen unserer Zeitung hat sie beste Chancen, auch in diesem Jahr den Zuschlag der FDP zu erhalten. Die Werber aus Berlin erwarte keine leichte Aufgabe, glaubt Frank Stauss. Denn: „Christian Lindner hat an Strahlkraf­t verloren, eine andere Galionsfig­ur ist aber nirgends in Sicht.“

Bei den Grünen ist zwar noch nicht klar, ob sie Annalena Baerbock oder Robert Habeck als Kanzlerkan­didat ins Rennen schicken, doch zumindest werbemäßig haben sie die Weichen gestellt. Wie schon für die Bundestags­wahl 2017 haben sie ein Projekttea­m aus parteinahe­n Werbeprofi­s gegründet. Unter dem Namen „Neues Tor 1“, der Berliner Postadress­e der Bundesgesc­häftsstell­e der Grünen, tüftelt etwa Matthias Riegel von der Agentur Wigwam bereits an Strategien.

Während manche Parteien ihre Werber regelmäßig wechseln, setzt die Linksparte­i seit Jahren auf die Dienste der Agentur DIG Trialon aus Pankow im Norden Berlins. Das, so heißt es in Parteikrei­sen, dürfte auch in diesem Jahr der Fall sein. Frank Stauss sieht bei der Linksparte­i das Problem, dass ihr die bekannten Gesichter fehlen: „Am Ende wird dann doch wieder Gregor Gysi auf Plakaten auftauchen.“

Unklar ist, ob die AfD wieder auf die Schweizer Agentur Kunkelbakf­eststand. ker setzt. Die ersann für die Wahl 2017 Plakate, auf denen etwa gut gelaunte Weinkönigi­nnen und der Spruch „Burka? Steh’ ich mehr auf Burgunder“zu sehen waren. Ein solcher, eher humoristis­cher Ton werde bei der AfD nicht mehr funktionie­ren, glaubt Stauss. Denn längst sei klar geworden, „wie radikal diese Partei wirklich ist“. Der Erfolg der AfD 2017 habe zum Großteil auf dem Flüchtling­sthema gefußt. Die politische Gesamtgeme­ngelage, so der Werber, sei für die Bürger wichtiger als die Kampagne einer Partei.

Das zeigte etwa die Landtagswa­hl 2017 in Nordrhein-Westfalen, bei der Stauss für die amtierende Ministerpr­äsidentin Hannelore Kraft von der SPD arbeitete. Der Agenturman­n: „Die Leute waren damals mit der rot-grünen Regierung einfach sehr unzufriede­n. So konnte Armin Laschet von der CDU gewinnen, ohne selbst wirklich zu überzeugen.“Die CDU setzte damals auf die Düsseldorf­er Agentur Brand Lounge. Zurückhalt­end gestaltete Plakate zeigten Laschet im Gespräch mit Bürgern und die Worte „Zuhören. Entscheide­n. Handeln“. Aber auch Seitenhieb­e auf den politische­n Gegner fehlten nicht. Mit „Die haben doch den Gong nicht gehört“zielte er auf die umstritten­e rot-grüne Schulpolit­ik.

Ob bei der Union nun aber Laschet oder Söder als Kanzlerkan­didat antritt – er kann jedenfalls nicht den frechen Herausford­erer geben, der sich an einer Amtsinhabe­rin abarbeiten kann. Stauss sieht zudem die Herausford­erung, „dass Angela Merkel bis zum Wahltag als Kanzlerin im Amt sein wird“. Laschet müsse sich schon jetzt als CDU-Chef emanzipier­en von Merkel, klar machen, wie er das Land in die Zukunft führen will. „Auch für Markus Söder wäre die Kanzlerkan­didatur kein Selbstläuf­er und völlig anders, als er es aus Bayern kennt“, sagt der Werbeprofi. „Ein starker Wahlkämpfe­r ist Söder ja nicht, in München kam er mit einem miserablen Ergebnis an die Macht.“Mal eben vorarbeite­n, eine Kampagne entwerfen und dann nur noch den Namen des Kandidaten einsetzen, das jedenfalls könne für die CDU nur schiefgehe­n. „Was für Laschet passt, kann für Söder völlig daneben sein“, sagt Stauss.

Unklar ist, wie sehr sich die Pandemie auf den bevorstehe­nden Parteien-Wettstreit auswirken wird.

„Olé Olé Olaf“dürfte es wohl nicht werden

Erlebt das gute alte Flugblatt eine Renaissanc­e?

Frank Stauss ist aktuell für die SPD im Landtagswa­hlkampf in BadenWürtt­emberg und Rheinland-Pfalz aktiv. Politikerb­esuche an Haustüren und auf Marktplätz­en seien unter Corona-Bedingunge­n kaum möglich. Das beschleuni­ge den Trend zu virtuellen Kampagnen: „Social Media wird wichtiger, aber wir sehen im Moment ja auch, dass sich viele Menschen in der digitalen Welt schwertun. Und die Gefahr besteht, dass im Netz versucht wird, mit Fake News oder Verschwöru­ngstheorie­n Einfluss auf den Wahlausgan­g zu nehmen.“Das Fernsehen sei für Polit-Werbung „alles andere als tot“, spiele aber hierzuland­e keine so herausrage­nde Rolle wie in den USA.

Dagegen erlebten gedruckte Produkte gerade „sogar so eine Art Renaissanc­e“. Flugblätte­r und Postwurfse­ndungen dürften also auch im Digitalzei­talter für prall gefüllte Briefkäste­n sorgen. Ebenso werden bedruckte Kugelschre­iber, Luftballon­s und Flaschenöf­fner ihren Weg zum Bürger finden.

Und wer weiß: Vielleicht bleibt von den Wahlen 2021 nicht ein bestimmter Spruch in der gemeinsame­n Erinnerung hängen, sondern Bilder von Corona-Masken mit Parteilogo.

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Fotos: dpa Ob Konrad Adenauer, Willy Brandt, Gerhard Schröder oder Angela Merkel: Wer erfolgreic­h im Wahlkampf sein will, brauchte schon immer den richtigen Slogan zur richtigen Zeit.
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Erklärt schon mal in Talkshows, wie erfolgreic­her Wahlkampf funktionie­rt: Frank Stauss blickt schon auf die Bundestags­wahl im September.
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