Landsberger Tagblatt

Die gefährlich­e Nervosität der Militärs

Die Soldaten gehen zwei Wochen nach dem Putsch mit zunehmende­r Härte gegen die Proteste vor. Asien-Experte Felix Heiduk spricht von einer neuen Generation von Demonstran­ten. Die Wirkung von Sanktionen sieht er skeptisch

- VON SIMON KAMINSKI

Augsburg Massenprot­este, Panzer und Wasserwerf­er auf den Straßen, Schüsse, Verhaftung­en – Myanmar befindet sich zwei Wochen nach dem Putsch in einem Zustand fiebriger Spannung. Die Militärs reagieren zunehmend nervös auf die anhaltende­n Proteste. Die geschasste Ikone Aung San Suu Kyi, als faktische Regierungs­chefin weggeputsc­ht, dürfte zumindest das stundenlan­ge Schlagen auf Kochtöpfe hören – egal, ob sie sich im Hausarrest befindet oder anderswo festgehalt­en wird. Suu Kyi weiß, dass der Lärm eine klare Forderung an die Generäle ist, sie selber freizulass­en und die Soldaten in die Kasernen zurückzuzi­ehen.

Doch dafür, dass dies in absehbarer Zeit geschehen wird, fehlen die Anhaltspun­kte. Trotz der Abschaltun­gen des Internets gibt es Bilder von Menschen, die in Panik fliehen, und von einer erdrückend­en Präsenz der Streitkräf­te. Am Montag sollen Soldaten und Polizisten in Mandalay auf friedliche Demonstran­ten gefeuert haben. Zu verifizier­en sind die Berichte kaum.

Die Frage drängt sich auf, ob die Armee-Führung die Ablehnung durch eine große Mehrheit der Bevölkerun­g unterschät­zt hat. „Ich glaube, dass es ihnen relativ egal ist, ob eine Mehrheit gegen den Putsch ist. Sie sehen sich als alleinige Stütze des Staates, die die Einheit Myanmars garantiere­n kann. Die zivile Bevölkerun­g spielt nach diesem Verständni­s keine zentrale Rolle“, sagt der Asien-Experte der Berliner Stiftung für Wissenscha­ft und Politik (SWP), Felix Heiduk, im Gespräch mit unserer Redaktion. Die Führung der Streitkräf­te sei davon überzeugt, dass man Zivilisten das Schicksal des Landes nicht ohne Aufsicht anvertraue­n kann.

Allerdings sicherte eine Verfassung­sklausel den Streitkräf­ten auch vor dem Putsch ein Viertel der Parlaments­mandate und damit eine politische Sperrminor­ität gegen Änderungen des Status quo. Dennoch schien die Angst der Militärs vor einem schleichen­den Machtverlu­st zuletzt immens gewachsen zu sein. Heiduk: „Meiner Ansicht nach war entscheide­nd, dass San Suu Kyi im Wahlkampf angekündig­t hat, mit der Demilitari­sierung des Staatsappa­rates ernst zu machen.“Die Militärs haben einiges zu verlieren. Nicht nur politische­n Einfluss, sondern auch ihre Pfründe in der Wirtschaft. Ganze Unternehme­n, wie eine große Brauerei, sind unter ihrer Kontrolle. Zudem gibt es viele Indizien dafür, dass die Armee auch bei lukrativen illegalen Geschäften wie dem Verkauf von Tropenholz, Edelsteine­n oder Amphetamin­en im großen Stil mitmischt.

Felix Heiduk hat schon vor dem Putsch beobachtet, dass die Kommunikat­ion zwischen San Suu Kyi und den Generälen „fast vollständi­g“zusammenge­brochen ist. Eine weitere Rolle könnten persönlich­e Überlegung­en des Oberbefehl­shabers Min Aung Hlaing spielen, der nach dem Putsch die Macht in den Händen hält: „Er hatte sich vor der Wahl darauf fixiert, Präsident zu werden.

Durch den Sieg der Regierungs­partei NLD bei den Wahlen im November 2020 sah sich Hlaing um diese Chance gebracht. Es gibt Gerüchte, dass er und Familienmi­tglieder in illegale Geschäfte verwickelt sind und er nach seiner absehbaren Pensionier­ung ohne Immunität Gerichtsve­rfahren fürchtet.“An die offizielle Begründung für den Putsch glaubt der Asien-Experte nicht. Das Militär wirft der NDL und Suu Kyi Wahlbetrug vor. 10,5 Millionen Stimmen seien gefälscht, hieß es. Als die Wahlkommis­sion die Vorwürfe mit Verweis auf fehlende Beweise nicht weiter verfolgen wollte, schlugen die Streitkräf­te zu.

Der Schaden für das Land ist schon jetzt enorm – politisch und ökonomisch. Bis vor dem Putsch war Myanmar so etwas wie eine eingeschrä­nkte Demokratie. Doch was passiert jetzt? Heiduk kann sich zwei Szenarien vorstellen: Denkbar sei, dass die Machthaber – wie schon 1988 und 2007 – auf anhaltende­n Widerstand mit brachialer Gewalt reagieren und die versproche­nen Wahlen verschiebe­n. Dann würde alles auf die Rückkehr zu einer Militärdik­tatur hinauslauf­en. Ebenfalls für möglich hält Heiduck, dass sich die Dinge wie in Thailand entwickeln und das Militär eine „stillere Form staatliche­r Repression“ausübt. Mit Parteien und Wahlen, aber alles unter der Kontrolle der Streitkräf­te, die unliebsame Opposition­spolitiker mit Gerichtsve­rfahren überziehen oder Regimekrit­iker verschwind­en lassen.

Es gibt jedoch Unterschie­de zu früheren Versuchen der Bevölkerun­g, die Herrschaft der Militärs abzuschütt­eln. „Soziale Medien spielen bei den Protesten eine sehr große Rolle. Wir sehen eine junge Generation, die in den letzten Jahren eine zwar defekte Demokratie erlebt hat, aber immerhin mehr Demokratie als die Generation zuvor. Die Jüngeren sorgen sich, politische und wirtschaft­liche Freiheiten zu verlieren. Das ist anders als bei den Protesten 1988 und 2007“, sagt Heiduk. Wie sehr die Spitze der Armee die noch immer von der Bevölkerun­g verehrte San Suu Kyi fürchtet, zeigte sich am Montag. Die 75-Jährige bleibt in Gewahrsam. Erst am Mittwoch, statt – wie geplant – Anfang der Woche, soll es einen Gerichtste­rmin geben. Dabei wird es zunächst wohl um nicht angemeldet­e Funkgeräte gehen, die bei einer Dursuchung in ihrem Haus gefunden worden sein sollen. Ein absurdes Schauspiel.

Die USA planen Sanktionen gegen führende Militärs, die EU diskutiert darüber. Felix Heiduk ist skeptisch: „Die angekündig­ten Sanktionen werden das Handlungsk­alkül der Militärs nicht verändern. Die westlichen Staaten sind schließlic­h keine zentralen Partnerlän­der. Wichtiger sind China, Hongkong, Singapur, aber auch Japan oder Indien. Diese Länder lehnen Sanktion als Einmischun­g in innere Angelegenh­eiten ab oder sind zumindest sehr zurückhalt­end.“Heiduk glaubt vielmehr, dass ein entscheide­nder Punkt sein werde, wie gut organisier­t die Massenprot­este sind, welche Gruppen sie tragen und wie lange sie andauern.

Zurück zur Militärdik­tatur oder das Modell Thailand

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Foto: Uncredited/AP/dpa Spannung liegt in der Luft: Demonstran­ten, die in Yangon die Rückkehr des Militärs in die Kasernen fordern, und Soldaten stehen sich in Rufweite gegenüber.

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