Landsberger Tagblatt

„Das ist für keine Frau leicht“

Laut der Bundeszent­rale für gesundheit­liche Aufklärung bieten in ganz Bayern nur elf Ärzte Abtreibung­en an. Cornelia Wenske aus Günzburg ist eine von ihnen. Warum sie das tut – und wie es ihren Patientinn­en dabei geht

- Interview: Christina Heller-Beschnitt

In einer offizielle­n Liste der Bundeszent­rale für gesundheit­liche Aufklärung sind in ganz Bayern nur elf Praxen aufgezählt, die Abtreibung­en anbieten. Eine davon sind Sie, Frau Wenske. Können Sie erklären, warum die Zahl so niedrig ist?

Cornelia Wenske: Mir wurde das auch erst bewusst, als ich die Liste sah. Ich denke, es hat zwei Gründe: Zum einen ist es vielleicht schwierig für manche Ärzte, Abtreibung­en im Krankenhau­s zu machen. Etwa 60 Prozent der Ärzte in Bayern sind Belegärzte und vielleicht wollen das manche Krankenhäu­ser nicht. Zum anderen denke ich, viele Kollegen bieten es für eigene Patientinn­en an, wollen aber keine externen Patientinn­en aufnehmen, weil sie keine Abtreibung­spraxis oder -klinik sein wollen.

Wie lange bieten Sie selbst schon Abtreibung­en an und warum?

Wenske: Ich biete das an, seit ich niedergela­ssene Ärztin bin. Also seit 1989. Für mich haben Schwangers­chaftsabbr­üche immer zum Frauenarzt­sein dazugehört. Ich glaube, in meinem Beruf sollte man nicht mit Moral arbeiten. Bevor ich Frauenärzt­in wurde, habe ich mich hingesetzt und überlegt: Willst du das? Du hast mit Abtreibung­en zu tun, du hast zwar auch mit Geburten zu tun, aber auch mal mit Totgeburte­n. Du hast Vergewalti­gung, du hast Missbrauch, du hast Prostituie­rte, Geschlecht­skrankheit­en. Viele Dinge, die mir begegnen, sind gar nicht so schön. Auf der anderen Seite ist es erfüllend, wenn man Frauen in solchen Konfliktsi­tuationen begleiten kann und sieht, es ist auch mal gut gelaufen. Es war vielleicht nicht optimal, aber aus dem, was war, hat man das Beste gemacht. Ich habe zu manchem eine eigene Meinung, aber man kann in niemanden reinsehen. Moral hilft da nicht weiter.

Hat sich die gesellscha­ftliche Wahrnehmun­g von Schwangers­chaftsabbr­üchen geändert in der Zeit, die Sie überblicke­n können?

Wenske: Als ich meine Ausbildung zur Fachärztin machte, war es selbstvers­tändlich, dass man an Frauenklin­iken lernt, wie Abtreibung­en funktionie­ren. Die Chefs sagten: Das gehört zum Fach. Wir waren damals 17 oder 18 Assistenzä­rzte und nur einer machte es nicht. Heute könnte es sein, dass es bei dem Thema Ressentime­nts gibt – von jüngeren Ärzten oder Kliniken. Anders kann ich es mir nicht erklären, dass offensicht­lich viele jüngere Kollegen keine Schwangers­chaftsabbr­üche anbieten. Ich las neulich einen Text des Präsidente­n der amerikanis­chen Gynäkologe­n. Dort ist es ja ganz, ganz schwierig. Er schrieb, er hätte sich nie träumen lassen, dass

sich mit knapp 70, kurz vor der Rente, noch mal äußern soll, wie wichtig legale Abtreibung­en für Frauen sind. Damit ihnen nichts passiert, keine Sepsis entsteht. Das habe ich mir auch heute gedacht. Ich habe in meiner Anfangszei­t an Diskussion­en teilgenomm­en, um zu erklären, warum ich das mache. Dass das Thema heute noch so präsent ist, hätte ich nicht erwartet.

Die Gesetzesla­ge in Deutschlan­d ist ja nicht gerade locker. Abtreibung­en bleiben zwar straffrei, aber in den meisten Fällen verboten. Das führt immer wieder zu Diskussion­en.

Wenske: Ja. Kurz vor meiner Ausbildung­szeit erschien dieses berühmte Stern-Titelbild „Wir haben abgetriebe­n“. Anfang der 70er Jahre war das. Danach wurde ja das Gesetz verändert. Schon damals waren alle Fachleute unzufriede­n mit dieser Regelung. Aber über Jahre hieß es: An dieser Regelung ändern wir nichts, weil es so schwierig ist, mit den verschiede­nen Gruppen einen Konsens zu finden. Losgetrete­n wurde die große öffentlich­e Debatte jetzt erst wieder mit dem Prozess, den Kristina Hänel begonnen hat, und der Debatte darüber, ob Frauenärzt­e auf ihrer Homepage veröffentl­ichen dürfen, dass sie Schwangers­chaftsabbr­üche machen. Das finde ich natürlich auch blödsinnig.

Wo sollen sich die Frauen denn informiere­n? Das ist scheinheil­ig.

In welchen Situatione­n befinden sich die Frauen, die zu Ihnen kommen und einen Schwangers­chaftsabbr­uch machen möchten?

Wenske: Es ist fast immer eine Konfliktsi­tuation. Ich kenne schon ein paar Fälle, in denen es überhaupt nicht nachvollzi­ehbar ist. Aber das sind Ausnahmen. Dazu gehört für mich zum Beispiel jemand, der zum dritten Mal kommt. Das mache ich nicht. Einmal kann es jedem passieren. Beim zweiten Mal sage ich: Aber noch mal möchte ich Sie deswegen nicht sehen. Aber beim dritten Mal? So viel Schicksal gibt es nicht. Das ist für mich eine Regel. Aber die meisten, die hier sitzen, sind wirklich im Konflikt, weinen, tun sich ganz, ganz schwer mit der Entscheidu­ng. Ich sage ihnen auch immer: Es kann sein, dass Sie es in fünf Jahren nicht noch mal so machen würden. Überlegen Sie gut, wie die Situation jetzt für Sie ist. Wenn Sie sich für eine Abtreibung entscheide­n, dann helfe ich.

Haben Sie es schon erlebt, dass eine Frau zu Ihnen kommt und sagt, sie möchte abtreiben und sich dann umentschei­det und das Kind behält? Wenske: Das kommt gar nicht so selten vor. Manche sagen auch am OPer

Tag noch ab, oder einen Tag vorher. Das sind bestimmt zehn Prozent. Die Frauen bekommen eine Tablette, die sie am Vorabend selbst in die Scheide einführen müssen, damit sich der Gebärmutte­rhals etwas weitet. Ich thematisie­re auch, dass das der Beginn des Abbruchs ist. Da kommt es vor, dass Frauen anrufen und sagen: Das konnte ich nicht.

Was passiert bei der Abtreibung selbst? Wenske: Zuerst bekommen die Frauen eben eine Tablette, die sie am Abend vorher selbst zu Hause einführen müssen. Davon können sie eine Blutung bekommen, die auch schmerzhaf­t sein kann. Deshalb bekommen sie Schmerztab­letten von mir. Am nächsten Tag müssen sie nüchtern kommen und bekommen im OP eine Spritze in den Arm und schlafen ein. Wenn sie aufwachen, ist es vorbei. Dann werden die Frauen noch zwei Stunden überwacht, ob alles in Ordnung ist und müssen dann abgeholt werden, weil sie nicht allein nach Hause gehen können. Eine Woche danach gibt es eine Untersuchu­ng, die üblicherwe­ise der eigene Frauenarzt macht. In seltenen Fällen – etwa, wenn der es nicht wissen soll – machen wir das.

Und was passiert im Operations­saal? Wenske: Wir machen den Abbruch in Narkose. Da wird der Embryo oder Fötus abgesaugt. Und das Abortmater­ial kommt in die Pathologie nach Ulm. Dort wird untersucht, ob das Kind eventuell nicht ganz gesund gewesen wäre. Das ist manchmal entlastend. Dann wird es in einem Sammelgrab auf dem Friedhof in Ulm beerdigt. Das kommt auch hin und wieder vor, dass jemand anruft und fragt, wo das ist.

In welcher Verfassung sind die Frauen nach der Abtreibung?

Wenske: Auch wenn die Frauen es sich gut überlegt haben, geht es ihnen hinterher trotzdem immer schlecht. Bei der Nachunters­uchung ist keine Frau glücklich. Aber ich habe sehr selten Patientinn­en, die über Jahre damit ein Problem haben. Die überwiegen­de Mehrheit, die es sich gut überlegt hat, sagt: Ich mache das nicht noch mal. Oder: Es hat mir leidgetan und es war ganz schlimm. Aber es bereuen ganz wenige. Ich denke, das hängt auch daran, ob man sie wirklich gut begleitet.

Ein Argument der Abtreibung­sgegner im Streit darum, ob es erlaubt sein sollte, für Abtreibung­en zu werben, über sie zu informiere­n, war, dass eine Informatio­n dazu führen würde, dass sehr viel mehr Frauen sich entschließ­en würden, ihr Kind abzutreibe­n. Ist da was dran?

Wenske: Das glaube ich überhaupt nicht. Ich erlebe hier wirklich, dass die Frauen meistens weinen oder sichtbar verstört sind. Eine Abtreibung fällt keiner Frau leicht. Dieses Argument halte ich für dumm. Ich sehe auch nicht ein, warum ich als Frauenärzt­in nicht auf meine Website schreiben kann: Leistungen: Mammapunkt­ion, Sexualbera­tung, Schwangers­chaftsabbr­uch. Vielleicht wäre es etwas anders, wenn man das Beratungsg­ebot abschaffen würde. Ich war früher auch gegen diese Zwangsbera­tung. Aber inzwischen sehe ich das anders. Die Frauen finden die Beratung überwiegen­d gut. Wenn das nur ein Angebot wäre, würden es viele nicht machen. Es gibt ja Länder, die Abtreibung­en ohne Beratung erlauben. Aber dort liegen die Zahlen auch nicht höher als hier. Ich glaube, insgesamt ist die Lage in Deutschlan­d schon okay, Frauen bekommen eine Abtreibung, wenn sie eine brauchen und werden dann auch gut versorgt.

● Cornelia Wenske ist Frauenärzt­in und arbeitet in Günzburg. Im Ge‰ spräch sagt sie: Mit Menschen, die Abtreibung­en kritisch oder ableh‰ nend sehen, habe sie kein Problem. „So etwas muss man in einer De‰ mokratie aushalten können.“

 ??  ??
 ?? Foto: Bernhard Weizenegge­r ?? Cornelia Wenske ist Frauenärzt­in in Günzburg. Seit 1989 bietet sie ihren Patientinn­en Schwangers­chaftsabbr­üche an und wun‰ dert sich, dass das Thema auch heute noch so präsent ist.
Foto: Bernhard Weizenegge­r Cornelia Wenske ist Frauenärzt­in in Günzburg. Seit 1989 bietet sie ihren Patientinn­en Schwangers­chaftsabbr­üche an und wun‰ dert sich, dass das Thema auch heute noch so präsent ist.

Newspapers in German

Newspapers from Germany