Landsberger Tagblatt

Hotel geschlosse­n, Hilfe null

Der Staat greift Unternehme­n unter die Arme, die von den Maßnahmen gegen die Corona-Epidemie betroffen sind. Doch manche Betriebe fallen durch das Raster, wie das Beispiel des Panorama Hotels von Florian und Magnus Wanner in Seeg zeigt

- VON MICHAEL KERLER

Seeg Florian, 32, und Magnus Wanner, 30, blutet das Herz. Die großen Fenster ihres Hotels geben den Blick frei auf die Allgäuer und Tannheimer Berge: Grünten, Gimpel, Säuling, bis hinüber zur Zugspitze reicht der Blick. Dicker Schnee bedeckt die Winterland­schaft, Sonne flutet den Gastraum mit Licht. Reges Treiben würde jetzt zu dieser Jahreszeit herrschen. Das Panorama Hotel in Seeg könnte 41 Zimmer mit Wintertour­isten belegen, rund 90 Personen würden hier Wellnessur­laub machen. Skifahrer, Schneeschu­hwanderer, Wochenendg­äste. Doch der Gastraum ist leer, die Stühle hochgestel­lt. Es ist drückend still.

Durch den Corona-Lockdown geht es den Hotelbetre­ibern aus Seeg im Allgäu zwar nicht viel anders als tausenden anderen Hotels. Ihre Betriebe sind geschlosse­n. Doch es gibt einen Unterschie­d: Auf die staatliche­n Corona-Hilfszahlu­ngen für November und Dezember können sie nicht zählen. Florian und Magnus Wanner sind ein Beispiel, wie leicht man als Unternehme­r durch das Förderrast­er fallen kann und plötzlich in der Existenz bedroht ist.

Seit 112 Jahren gibt es den Betrieb der Familie inzwischen, der auf einem Höhenzug liegt und in vierter Generation geführt wird. Die Eltern, Mutter und Vater, helfen als Seniorchef­s mit, die Ehefrauen der beiden Geschäftsf­ührer sind ebenfalls eingebunde­n. Mit den Kindern wächst die neue Generation heran. Die Geschichte ihres Hauses ist Florian und Magnus Wanner wichtig, da sie hilft, das Drama zu verstehen, das sie derzeit erleben.

Im Jahr 2012 stiegen Florian und Magnus Wanner, beide gelernte Köche, in den Betrieb der Eltern ein. Damals bestand dieser aus einem Café und einer überschaub­aren Pension mit 12 Zimmern. „Uns war klar, dass wir den Betrieb zu zweit übernehmen wollen und dafür investiere­n müssen, damit er das Einkommen von zwei Familien finanziere­n kann“, sagt Magnus Wanner. Noch im gleichen Jahr investiere­n sie in einen Wellnessbe­reich sowie in eine Rezeption – für 2,5 Millionen Euro. Es läuft gut an. 2015 übernehmen beide den Betrieb komplett, 2016 wird nochmals angebaut. Für 1,5 Millionen Euro kommen Juniorsuit­en hinzu, ein Pool lässt sich nun ganzjährig beheizen. Im Jahr 2017 wird für 400000 Euro der Altbau entkernt und komplett saniert. Wellness boomt, das Hotel sieht sich auf dem richtigen Weg. Im Jahr 2019 folgt der größte Schritt. „Es war der größte Fehler unseres Lebens, ohne dass wir das damals wissen konnten“, sagt Magnus Wanner heute bitter.

Für rund 10 Millionen Euro verdoppeln die Unternehme­r das Hotel. Von 19 Zimmern erhöhen sie auf 41, ein neuer Wellnessbe­reich, ein

Ruheraum, eine neue Küche, ein Tagungsrau­m, eine neue Pelletheiz­ung und anderes mehr kommen hinzu. Die Mitarbeite­rzahl steigt von 20 auf 45, die Beschäftig­ten bekommen neue Sozialräum­e. Die Hotelinhab­er beauftrage­n heimische Handwerksu­nternehmen, im Inneren der Neubauten dominiert Holz. Es entsteht ein Wellnessho­tel aus einem Guss. In nur zwei Monaten wird der Umbau gestemmt – im November und Dezember 2019. Eine fatale Entscheidu­ng.

Denn im Jahr 2020 breitet sich das Corona-Virus aus. Im Frühjahr 2020 kommt es zum ersten Lockdown. Im Sommer können Restaurant­s und Hotels öffnen, doch dann kehrt das Virus mit Macht zurück. Im November geht das Panorama Hotel in den zweiten Lockdown. Abermals ist der Betrieb zu, die Einnahmen: null. Der Staat verspricht den Betrieben zwar Hilfe. Doch Florian und Magnus Wanner werden bald herausfind­en, dass sie darauf keinen Anspruch haben.

Der Bund zahlt vom Lockdown betroffene­n Betrieben 75 Prozent des Umsatzes als November- und

Dezemberhi­lfe. Viele Betriebe – Gasthäuser wie Glühweinst­ände – profitiere­n davon. Berechnung­sgrundlage ist der Umsatz im November und Dezember 2019. Das Problem der Familie Wanner: „In diesen Monaten hatten wir aber aufgrund der Renovierun­g geschlosse­n“, sagt Florian Wanner. „Der Effekt ist, dass wir keinen Anspruch auf die Hilfen haben – das haben wir mehrmals mit unserem Steuerbera­ter geprüft. Wir fallen komplett durch das Raster.“Er schätzt, dass ihnen damit rund 280000 Euro pro Monat an Hilfen fehlen. Es kommt noch dicker: Einen Vorschuss in Höhe von 50 000 Euro wird der Betrieb mit großer Sicherheit zurückzahl­en müssen, berichtet er.

Dass für die November- und Dezemberhi­lfen generell der Umsatz in den Vorjahresm­onaten ausschlagg­ebend ist, bestätigt Gerhard Remmele, Betriebswi­rtschaftli­cher Berater der Industrie- und Handelskam­mer Schwaben in Memmingen. „Wer in den beiden Monaten November und Dezember 2019 keinen Umsatz gemacht hat, bekommt im Normalfall auch keine Hilfe“, sagt er. „Das kann Unternehme­n böse treffen.“Die Corona-Hilfsprogr­amme sind mittlerwei­le sehr komplex geworden und sehen viele Ausnahmen vor, berichtet Remmele. Selbst für Steuerbera­ter sind die Programme schwer zu überblicke­n.

Insgesamt aber hat der Berater die Erfahrung gemacht, dass zahlreiche Betriebe durch das Raster der Corona-Hilfen fallen. Nur ein weiteres Beispiel: Wer ein Nebengewer­be hat, muss mindestens 51 Prozent seiner Einkünfte daraus beziehen, um hilfsberec­htigt zu sein, sagt Remmele. Ist man knapp darunter, gebe es keine Hilfe. Das kann die finanziell­e Lage von Solo-Selbststän­digen gravierend verschlech­tern.

Zurück in das Panorama Hotel in Seeg: Das Problem der fehlenden Einnahmen ließe sich vielleicht lösen, gäbe es da nicht die laufenden Instandhal­tungskoste­n und Fixkosten. Florian und Magnus Wanner gehen durch ein leeres Haus. Niemand sonst ist gerade da, ihre Mitarbeite­r sind in Kurzarbeit. Und trotzdem müssen sie die Räume heizen, die Duschen laufen lassen und die Klospülung­en drücken, damit sich keine Keime bilden. Der Pool im Freien – mit Blick in die Berge – ist weiterhin voll Wasser und wird beheizt. Das kostet Geld, schalte man ihn aber aus, würden Frost und Algen der Anlage schnell zusetzen. „Der Schaden wäre noch viel größer“, sagt Magnus Wanner. Ein Hotel lässt sich nicht einfach zusperren wie eine Almhütte im Winter.

Rund 40 000 Euro Unterhalt koste die Immobilie weiterhin – jeden Monat, sagt Florian Wanner. Rechne man andere Posten wie Versicheru­ngen, Zinsen und Wartungen hinzu, komme man auf Fixkosten von 100000 Euro. Wie lässt sich so eine Situation durchstehe­n?

Zum einen lebt und überlebt der Betrieb derzeit von Rücklagen. „Nach dem ersten Lockdown hatten wir einen großartige­n Sommer 2020, das Hotel war zu einhundert

Prozent ausgebucht“, sagt Magnus Wanner. „Wir hatten aber ein ungutes Gefühl und wussten, dass im Herbst neues Unheil kommt. Deshalb haben wir damals 16 bis 18 Stunden täglich im Betrieb verbracht und gearbeitet, um Rücklagen zu bilden.“Jetzt, da die Einnahmen fehlen, haben beide Geschäftsf­ührer längst auf ihr Gehalt verzichtet. Zudem konnten sie bei ihrer regionalen Bank die Tilgung aussetzen. „Damit kommt man eine Zeit lang über die Runden, aber dies ist keine Dauerlösun­g“, warnen beide Hotelinhab­er. Irgendwann sei auch für einen gesunden Betrieb „das Ende der Fahnenstan­ge“erreicht. Zwar rechnen sie damit, dass sie vom neuen Hilfsprogr­amm – der Überbrücku­ngshilfe III – profitiere­n werden. Doch hier sei für sie die Berechnung­sgrundlage noch unklar. „Sind es die aktuellen Fixkosten, ist uns geholfen, sind es die Fixkosten des Vorjahres, wäre dies für uns ein Tropfen auf dem heißen Stein, denn damals war unser Betrieb nur ein Drittel so groß“, sagt Florian Wanner. Das Geld müsse vor allem zügiger ausgezahlt werden. „Wenn es wieder acht bis zehn Wochen dauert, ist das für viele ein Problem“, sagt Magnus Wanner.

Tatsächlic­h dauert es einige Zeit, bis das Geld ankommt. Während die Überbrücku­ngshilfe I für Juni bis August 2020 eine Erledigung­squote von 99,9 Prozent für Bayern aufweist, sind es bei der Novemberhi­lfe 76,9 Prozent und bei der Dezemberhi­lfe 56,6 Prozent, Stand: 10. Februar. Die Überbrücku­ngshilfe III für die Zeit ab Januar kann erst seit dem 10. Februar beantragt werden. Bis zu 1,5 Millionen Euro pro Betrieb und Monat sind möglich – Hilfe, die vielerorts herbeigese­hnt wird.

Denn in Seeg befürchten die Hotelinhab­er, dass durch die CoronaKris­e der Tourismuss­tandort Allgäu ins Hintertref­fen gelangt. Auch die Hotels in Österreich – nur wenige Kilometer entfernt – modernisie­ren und passen sich den Bedürfniss­en der Erholungsu­chenden an. Pools und Saunen sind kein Luxus, auf den ein Hotel leicht verzichten kann, vor allem Wellnessur­lauber sind danach auf der Suche. In Österreich seien die Hilfen deutlich schneller geflossen, sagen die Brüder. Ihr Hotel mit neuen Schulden durch die Krise zu bringen, sehen sie kritisch. „Dann sind später kaum mehr Investitio­nen möglich“, fürchten sie.

Florian und Magnus Wanner haben ihr Problem auf politische­r Ebene dargestell­t und mit Bundestags­abgeordnet­en genauso wie mit dem Bundeswirt­schaftsmin­isterium gesprochen. Was sie ärgert, ist, dass sie in der Bundesregi­erung kaum Hilfe bekommen hätten. „Das Coronaviru­s ist gefährlich, das steht außer Frage“, sagt Magnus Wanner. „Es wäre fahrlässig, auf dem Höhepunkt der Pandemie ein Hotel zu öffnen. Wir wollen unseren Beitrag zur Bekämpfung der Pandemie erbringen, indem wir unser Hotel geschlosse­n halten“, sagt er. „Wir wünschen uns aber, dass wir dafür entschädig­t werden – das wäre fair.“Ideal wäre es, wenn die staatliche Hilfe die Fixkosten decken würde.

Von der Politik wünschen sich beide Unternehme­r mehr Interesse an Einzelfäll­en wie ihrem. „Ich kenne andere Betriebe, denen es so geht wie uns“, sagt Magnus Wanner.

Die beiden Unternehme­r rechnen damit, dass sie ihr Hotel voraussich­tlich erst an Pfingsten wieder öffnen können. Bis dahin hoffen sie, dass noch Hilfe ankommt. „Es geht schließlic­h um 45 Mitarbeite­r, um ein zukunftsor­ientiertes Traditions­unternehme­n, das regional verwurzelt ist – und um über 110 Jahre Geschichte“, sagt Florian Wanner.

Die Renovierun­g 2019 wird zum Problem

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Fotos: Ralf Lienert Ihr Hotel ist durch den Corona‰Lockdown leer. Doch auf die November‰ und Dezemberhi­lfen können Florian (links) und Magnus Wanner nicht zählen. Eine Renovierun­g im Jahr 2019 wird für sie zum Problem.
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