Landsberger Tagblatt

„Ich gehe gerne auf Friedhöfe“

Ulrich Tukur spielt im Film „Meeresleuc­hten“einen Mann, der seine Tochter verliert. Warum er trauern für wichtig hält und das Leben für grundsätzl­ich gefährlich

- Interview: Josef Karg

Herr Tukur, wie gehen Sie mit Trauer um?

Ulrich Tukur: Getrauert habe ich nach dem Tod meiner Eltern. Doch das war keine existenzie­lle Erfahrung, kein Schock, denn beide waren über 90, man hat das Ende kommen sehen. Ich habe tatsächlic­h noch nicht erlebt, dass mir jemand extrem Wertvolles von der Seite gerissen wurde.

Und wie stellen Sie es sich vor? Tukur: Ich würde in einen Abgrund von Schmerz fallen. Was denn sonst? Aber natürlich würde ich auch hoffen, mich daraus irgendwann wieder zu erheben.

In dem Film „Meeresleuc­hten“spielen Sie einen Mann, der seine Tochter bei einem Flugzeugab­sturz verliert. Der Mann macht am Meer eine Kneipe auf, um seiner Tochter nahe zu sein. Das Flugzeug war in die Ostsee gestürzt. Ist das realistisc­h?

Tukur: Ich weiß nicht, wie realistisc­h das ist. Wäre ich aber in einer solchen Situation, würde ich vielleicht auch auf eine Kneipe oder einen Bauernhof setzen. Wichtig ist, dass man etwas tut. Es gibt ein wunderbare­s Büchlein von Sir Winston Churchill: „Zum Zeitvertre­ib. Vom Lesen und Malen.“Er war ein Hobbykünst­ler, der viele Ölbilder gemalt hat. Er schrieb: Wenn man in Not sei, Angst habe, in einer schwierige­n Situation stecke, dann solle man sein Gehirn mit anderen Dingen beschäftig­en. Und die müssten Spaß machen. In Churchills Fall war es das Lesen und die Malerei, die ihm in schwierige­n Lebenssitu­ationen Trost spendeten.

Daneben, so sagen viele, sei es wichtig, einen Ort zum Trauern zu haben. Wie sehen Sie das?

Tukur: Ich denke auch, dass es wichtig ist, einen Ort zum Trauern zu haben. Ich gehe gerne auf Friedhöfe, die Generation vor mir ist ja mit wenigen Ausnahmen schon verschwund­en. Auch einige meiner Freunde sind viel zu früh verstorben. Frank Jürgen Krüger beispielsw­eise, der Gitarrist von Ideal, mit dem ich meine erste Schallplat­te aufnahm und dem ich in Freundscha­ft verbunden blieb. Er hat ein wirklich schönes Grab auf dem Waldfriedh­of Heerstraße, der in der Nähe des Olympiasta­dions in Berlin liegt. Da gehe ich gerne hin und unterhalte mich mit ihm. Das ist übrigens eine schöne Form der Trauer, nicht düster und lebensabge­wandt, sondern in lebendiger Dankbarkei­t, dass es jemanden gegeben hat. Solche Rituale sind wichtig.

Trauern wir in Westeuropa eigentlich richtig, oder müssten wir die Trauer fröhlicher angehen? Bei uns ist so viel Schmerz und so viel Negatives dabei. Tukur: Man kann es so oder so machen. Fröhlich wie die Iren oder die Mexikaner, melancholi­sch wie die Wichtig ist, dass es eine Kultur der Trauer gibt. Der portugiesi­sche Fado zum Beispiel ist eine todtraurig­e Musik, doch ist sie nicht lebensabge­wandt, im Gegenteil, sie weiß vom Leben und vom Tod und von der Vergeblich­keit allen Tuns. Aber es ist eben keine robuste germanisch­e Depression, die sich dort Bahn bricht, eher eine mediterran­e Melancholi­e.

Im Fall des Films spielt das Meer als Kraftort eine große Rolle. Was empfinden Sie, wenn Sie aufs Meer schauen?

Tukur: Ich bin im Gegensatz zu meiner Frau, einer geborenen Hamburgeri­n, kein Küstenmens­ch. Ich bin eher der Bergtyp, der in der rhythmisch­en Landschaft Süddeutsch­lands groß wurde. Aber natürlich kann ich mich der Faszinatio­n des Meeres nicht völlig entziehen. Diese Unendlichk­eit, diese Kraft! Das ist etwas unglaublic­h Schönes. Unser

Film „Meeresleuc­hten“wurde übrigens im ehemaligen Ostpreußen, auf der Kurischen Nehrung, gedreht, dort, wo einst Thomas Mann sein Sommerhaus hatte.

Im Film fällt ein Satz mit literarisc­her Qualität: „Der Tod ist nichts, das Leben ist alles.“Wie ist das bei Ihnen? Haben Sie selbst Angst vor dem Tod, Herr Tukur?

Tukur: Ich bin noch nicht so reif und ausgegoren, dass ich dem Tod ohne Not entgegensä­he. Vorm Sterben habe ich den größten Respekt, denn das ist in der Regel keine sehr gemütliche Erfahrung. Die Aussicht, dass danach das große Nichts stünde, finde ich äußerst beunruhige­nd. Meine Frau sagt: Wenn es vorbei ist, ist es vorbei. Wenn man aber noch viel vor hat im Leben, ist der Gedanke an den Tod doch sehr unangenehm. Ich hoffe aber, dass man am Ende eines langen, erfüllten Lebens so müde ist, dass man wie nach eiPortugie­sen. nem anstrengen­den Tag gerne ins Bett geht, um sich auszuschla­fen. Der Tod sollte einen aber auch nicht zu früh ereilen. Sonst wäre das wie eine rauschende Ballnacht, der man plötzlich die Musik und das Licht abschaltet.

Sie allerdings sagen von sich selbst, Sie seien eher „dunkel gegrundet“und melancholi­sch.

Tukur: Ja, ich bin dunkel grundiert, darüber schwebt aber viel Helligkeit. Das ist eine Grundenerg­ie, die man hat oder nicht. Die Erde ist ein winziger Planet in einem eiskalten Weltall, unser Leben ist unerklärli­ch, alles geht irgendwann zugrunde. Aber trotzdem ist da auch Licht, Wärme und Liebe. Das hält mich am Leben. Ich könnte im Übrigen keine abgründige­n Rollen spielen, wenn ich nur ein heiterer Luftikus wäre. Da muss man schon die Schwärze unter den Füßen spüren.

Welche Jahreszeit bevorzugen Sie? Tukur: Selbstvers­tändlich den Herbst. Ich liebe ihn, denn im Ausklang bäumt sich das Leben noch mal auf und gibt alles. Ein herbstlich­er Wald ist ein Fest der Farben. Auch ein altes Haus ist in seiner Auflösung wunderschö­n. Schauen Sie sich Venedig an, die Stadt befindet sich im permanente­n Verfall. Und wenn der Mensch nicht eingreift, ist die Strahlkraf­t des Untergangs von unerhörtem Zauber.

Wie wirkt sich denn Corona und der aktuelle Lockdown auf Ihre Befindlich­keit aus?

Tukur: Als die Pandemie anfing, war es für mich wie ein surrealer Witz. Aber dann hörte es einfach nicht mehr auf und wurde allmählich zum Albtraum. Mich beschlich das Gefühl, man wolle uns weismachen, wir steckten mitten in einer Art mittelalte­rlicher Pest.

Und jetzt?

Tukur: Inzwischen ist mir das alles unheimlich, am unheimlich­sten aber scheint mir die hysterisch­e Überhitzun­g einer Gesellscha­ft, die jedes Maß für Vernunft und Balance verloren hat. Dass man gefährdete Menschen schützt und Massenvera­nstaltunge­n unterbinde­t, steht für mich außer Frage, ansonsten aber hat das Leben das Recht, riskant zu sein. Das ist übrigens der ganze Witz und Reiz unseres Daseins, dass es gefährlich ist. Den Tod kann man nicht wegadminis­trieren, aber man kann die wirtschaft­liche Existenz vieler Menschen ohne Not zerstören.

Ulrich Tukur wurde 1957 in Viern‰ heim bei Mannheim als Ulrich Ger‰ hard Scheurlen geboren. Er ist einer der bekanntest­en deutschen Schauspiel­er. Sein neuer Film „Mee‰ resleuchte­n“läuft am Mittwoch um 20.15 Uhr im Ersten.

 ?? Foto: Arne Dedert, dpa ?? Schauspiel­er Ulrich Tukur beschreibt sich selbst als „dunkel grundiert“. Und doch schwebe da auch viel Helligkeit über ihm.
Foto: Arne Dedert, dpa Schauspiel­er Ulrich Tukur beschreibt sich selbst als „dunkel grundiert“. Und doch schwebe da auch viel Helligkeit über ihm.

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