Landsberger Tagblatt

Vertrauen in Schiedsric­hter ist am Ende

Fehlentsch­eidungen geballt – trotz klarer TV-Bilder: Die alten Entschuldi­gungen für Unparteiis­che gelten nicht mehr. Es braucht grundlegen­de Reformen

- VON CHRISTOF PAULUS sport@augsburger‰allgemeine.de

Warum er am Freitag den entscheide­nden Elfmeter zum 0:1 verursacht hat, wird Hendrik Bonmann bis heute nicht verstehen. Dem Torwart der Würzburger Kickers sei versichert: Da ist nichts zu verstehen. Bonmann hatte einen Ball geklärt und dabei seinen Kieler Gegenspiel­er leicht gerempelt, der im Weg stand. Der folgende Elfmeterpf­iff war völlig überzogen, der VideoSchie­dsrichter blieb untätig. Früher hätte man das verteidige­n können, Fehler passieren. Doch heute gibt es abgeschott­ete Assistente­n, die sich TV-Bilder ansehen – und dort in aller Ruhe wöchentlic­h Schnitzer einbauen, die ratlos machen. Der Videobewei­s offenbart, dass vielen Spitzen-Schiedsric­htern das Niveau für ihre Spiele fehlt. Das müssen die Fußball-Verbände anpacken.

Manchen Umstand kann die Schiedsric­hterei nicht beeinfluss­en. Das Spiel wird schneller, die Zweikämpfe intensiver, den Überblick zu behalten schwierige­r. Das Fernsehen legt fast jeden Fehler offen. Headsets und Fahnen mit Funksignal erleichter­n die Arbeit zwar etwas. Dass die Spiele immer überforder­nder werden, können sie aber nicht verhindern. Es braucht andere Ansätze. Regeländer­ungen, die oft weder nötig noch sinnig sind, müssen klüger gestaltet werden.

Zuständig dafür sind – da hat der Stammtisch recht – mäßig qualifizie­rte Funktionär­e. In der Führungsri­ege der deutschen Schiedsric­hter steht der weltweit oberste Regelhüter David Elleray in zweifelhaf­tem Ruf. Ehemalige Profis beraten zwar, doch wenn man Regeln wirklich verbessern will, müssten sie mitentsche­iden. Für Fußballer sind die Regeln schließlic­h gemacht. Das Schiedsric­hterwesen hingegen ist eine Parallelst­ruktur zum Spielgesch­ehen, ohne wirksame Kontrolle.

Es gibt kleine Schiedsric­htergruppe­n in Deutschlan­d, in denen ein einzelner Obmann entscheide­n kann, ob ein Neuling die zweite Stufe erreicht – oder gleich am Anfang hängen bleibt. Wenn in der Entscheidu­ng um Aufstiege die ohnehin nicht immer objektiven Spielbewer­tungen nicht das gewünschte Bild ergeben, kommen plötzlich Faktoren wie Alter oder Prüfungser­gebnisse ins Spiel. Nichts verhindert, dass Sympathien anstelle von Qualität und Integrität stehen können. So ist es logisch, dass sich Bundesliga­Schiedsric­hter im internatio­nalen Vergleich nicht mehr positiv abheben. Solange das Leistungsp­rinzip nur bedingt gilt, nützt es auch nichts, Schiedsric­hter zu Profis zu machen, wie manche schon länger fordern.

Die Gefahr zur Günstlings­wirtschaft zieht sich bis zur Spitze. Felix Zwayer etwa, der kürzlich als Video-Assistent einen unübersehb­aren Handelfmet­er übersah und den Bayern 2018 nach Videostudi­um den vielleicht klarsten Strafstoß der Pokalgesch­ichte verwehrte, war in Spielmanip­ulationen verwickelt. Liefe alles sauber, würde Zwayer nun nicht Champions-League-Spiele pfeifen dürfen. Er hätte keinen Schiedsric­hterauswei­s mehr.

Das strukturel­le Problem beschäftig­t Fußball-Deutschlan­d indes nicht. Schiedsric­hter kommen erst zur Sprache, wenn sie die eigene Mannschaft benachteil­igen. Tatsächlic­h müsste die leitende Schiedsric­hter-Kommission viel stärker kontrollie­rt werden. Natürlich dürfen Vereine nie in Bewertunge­n einzelner Schiedsric­hter eingreifen, diese müssen unabhängig bleiben. Doch wer sich mit Fußball beschäftig­t, steht in der Verantwort­ung, einen kritischen, aber rationalen Blick auf die Schiedsric­hter zu werfen. Und es braucht eine unabhängig­e Institutio­n, der die Führung der deutschen Schiedsric­hter Rechenscha­ft für ihre Entscheidu­ngen ablegen muss.

Das blinde Vertrauen haben Deutschlan­ds Spitzen-Schiedsric­hter mit jedem unerklärli­chen Fehler mehr verspielt.

● Christof Paulus ist Redakteur un‰ serer Zeitung und seit 2007 aus‰ gebildeter Schiedsric­hter. Er leitet Spiele bis zur Bezirkslig­a.

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