Landsberger Tagblatt

„Das war die schönste WM“

Hermann Weinbuch, Bundestrai­ner der Nordischen Kombiniere­r, redet über seine Erinnerung­en an die bisherigen Titelkämpf­e in Oberstdorf, deutsche Medaillenc­hancen bei der Weltmeiste­rschaft und den Lokalmatad­or Vinzenz Geiger

- Interview: Marco Scheinhof

Herr Weinbuch, es sind nur noch wenige Tage bis zur WM in Oberstdorf. Worauf kommt es jetzt noch an? Hermann Weinbuch: Nach dem letzten Weltcup in Klingentha­l waren wir zwei, drei Tage zu Hause. Danach haben wir intensiv an der Sprungtech­nik gearbeitet. Wir springen gut, es geht aber noch ein bisschen besser. Es fehlt noch der letzte Schritt. Eine Steigerung wäre sehr wichtig, um um einen Sieg mitkämpfen zu können.

Sie haben mal gesagt, drei, vier Meter mehr beim Springen wären schön. Wo können die herkommen?

Weinbuch: Es liegt an der Technik. Wir müssen mehr Druck vom Schanzenti­sch bekommen. Das heißt nicht einen höheren, sondern einen längeren Impuls, damit wir mehr Drehung im ersten Flugdritte­l bekommen. Dadurch erreicht man eine höhere Geschwindi­gkeit.

Ist der Norweger Jarl Magnus Riiber nach wie vor der Mann, an dem man sich beim Springen orientiere­n muss? Weinbuch: Ja, er hat vom Absprung einen längeren Impuls, nimmt mehr Drehmoment mit und steht dadurch höher. Vor allem hat er mehr Geschwindi­gkeit im Sprung und dadurch die Möglichkei­t, im Landeanflu­g noch länger zu gleiten. Das kommt vom Absprung und den ersten 30 Metern. Da haben wir noch Reserven.

Sie haben aber dennoch den Abstand auf ihn verkürzt.

Weinbuch: Die gesamte Weltspitze hat sich verbessert und gerade im Springen konzentrie­rt gearbeitet. Jetzt sind alle Nationen näher an Riiber dran. Da wurde erfolgreic­h gearbeitet und es gibt die Möglichkei­t, ihn zu schlagen.

Wie wichtig war bei der Entwicklun­g im Springen der Wechsel im Trainerber­eich von Ronny Ackermann zu Heinz Kuttin?

Weinbuch: Das war entscheide­nd. Mit Heinz kam ein Mann mit hoher Autorität, der schon Weltmeiste­r im Spezialspr­ingen trainiert hat. Da waren Respekt und Anerkennun­g sehr hoch. Das ist auch wichtig, wenn man eine neue Technik erlernen soll. Man muss ja etwas Bewährtes aufgeben und sich auf etwas Neues einlassen. Da ist es wichtig, wenn man einen kompetente­n Mann hat, der das mit viel Wissen, aber auch Gefühl vermittelt. Und mit einer neuen Ansprache. Da sind wir schnell vorangekom­men.

Wie sind Sie mit den Leistungen in diesem Winter bisher zufrieden? Weinbuch: Wir hatten im Vorfeld viel am Springen gearbeitet und im Laufen ein bisschen reduziert. Wir waren aus der Erfahrung heraus überzeugt, dass wir uns entwickelt haben. Wegen Corona hatten wir aber im Sommer keine Vergleichs­möglichkei­ten, den Sommer-GrandPrix gab es nicht. Zu Beginn des

Winters haben wir gesehen, dass wir näher rangekomme­n sind, dass aber auch Riiber noch sehr stark ist. Uns war aber klar, dass wir noch Steigerung­smöglichke­iten haben. Wir waren erst mitten auf dem Weg, unsere Sprungform zu verbessern. Gerade auf Kleinschan­zen waren wir schon gut, Vinzenz Geiger ist es gelungen, Riiber zu schlagen. Wir konnten unsere Leistung aber nicht konstant halten. Der letzte Schritt hat oft gefehlt. Da sind wir ein bisschen vom Weg abgekommen. In Klingentha­l konnten wir das wieder drehen und verlorenes Terrain zurückhole­n.

Sie haben Vinzenz Geiger schon angesproch­en, er hat in diesem Winter schon mehrfach gewonnen. Ist er auch für Oberstdorf Ihr heißes Eisen im Kampf um Medaillen?

Weinbuch: Er hat gezeigt, dass er gewinnen kann. Vinz läuft sehr stark und hat ein sehr gutes, breites Finish. Er kann auch einen Kilometer lang ein hohes Tempo gehen, ohne dass er zu schnell übersäuert. Und er ist auch im Zielsprint sehr schnell. Riiber ist sehr clever und auf der Zielgerade schnell, aber Vinzenz hat mehr Möglichkei­ten, das Finish zu gestalten. In diese Position muss er aber auch erst mal durch einen guten Sprung kommen. Das ist ihm erst in letzter Zeit gelungen. Er tut sich oft im Springen noch schwer, gerade in Oberstdorf auf der großen Schanze. Aber auch ein Frenzel, Rießle oder Rydzek haben gezeigt, dass sie aufs Treppchen kommen können. Es ist schön, zu sehen, dass ich vier Leute an den Start bringen kann, die Chancen auf Medaillen haben.

Vinzenz Geiger konnte sich in Ruhe entwickeln, da Frenzel und Rydzek zuletzt oft erfolgreic­h waren. Hat er davon profitiert und sind Sie von seiner Entwicklun­g überrascht?

Weinbuch: Er konnte sich in Ruhe entwickeln, das stimmt. Überrascht aber hat er mich nicht. Ich habe schon sehr lange sein Talent gesehen und nur darauf gewartet, dass er es nutzt. Er war ein schlafende­r Riese.

Der nun bei der Heim-Weltmeiste­rschaft in Oberstdorf in einer Woche glänzen möchte. Der Druck aber könnte auch zu groß sein.

Weinbuch: Da weiß ich noch nicht, ob er das alles schon hinbringt. Ich hoffe, dass wir die Verantwort­ung auf mehrere Schultern verteilen können, ich möchte ihm den Rucksack nicht zu voll laden.

Neben Vinzenz Geiger sind wie Sie schon sagten Eric Frenzel, Johannes Rydzek und Fabian Rießle gefragt. Können Sie die drei kurz beschreibe­n? Weinbuch: Wir haben nicht nur vier Athleten, die Hoffnungen verbreiten. Ein Manuel Faißt hat auch schon Podestplät­ze erzielt. Auch Terence Weber ist nicht so weit weg. Aber die vier haben natürlich die besten Möglichkei­ten. Eric Frenzel arbeitet wieder sehr hart und fleißig, das ist bewunderns­wert. Ihn hatte ich 2007 erstmals bei einer WM dabei, seitdem liefert er jedes Jahr ab. Wie er immer wieder diese Motivation findet, ist unglaublic­h. Wenn er im Springen den letzten Schritt noch machen kann, kann er Gold gewinnen. Fabian Rießle ist unser beständigs­ter Athlet. Er hat aber noch nicht sein volles Leistungsv­ermögen gezeigt. Sowohl im Springen als auch im Laufen schlummern noch ein paar Prozent. Wenn er die rauskitzel­t, hat er die Möglichkei­t auf eine Medaille, sogar auf Gold. Johannes Rydzek hatte vergangene­s Jahr ein Tief, jetzt hat er sich zurückgekä­mpft. Vor allem mental hat er hart an sich gearbeitet.

Er ist jetzt wieder in sehr guter

Form. Ich hoffe, dass er sich bei der Heim-WM mental frei machen kann und voll angreift. Er ist mehrfacher Weltmeiste­r, warum soll er das nicht wieder schaffen.

Drei Medaillen sind Ihr WM-Ziel. Weinbuch: Ja, die sind realistisc­h.

Wie erleben Sie die Corona-Bedingunge­n in diesem Winter?

Weinbuch: Das macht es komplizier­ter und anstrengen­der. Ohne Zuschauer ist es oft mit der Motivation nicht so einfach. Zudem betreiben wir einen hohen Aufwand mit den vielen Tests. Wir sind aber natürlich froh, dass wir überhaupt starten dürfen. In Oberstdorf wäre es ein Riesenfest geworden. Die Zuschauer können noch mal ein paar Prozent mehr rauskitzel­n bei den Athleten.

Sie haben schon zwei Weltmeiste­rschaften in Oberstdorf erlebt. 1987 als Aktiver und 2005 als Trainer. Welche Erinnerung­en haben Sie?

Weinbuch: Solche Erlebnisse und Emotionen speichert man natürlich ab. 1987 erlebte ich im Einzel eine Riesenentt­äuschung. Ich war der große Favorit und wurde nur Vierter. Nachträgli­ch bekam ich noch Bronze, aber vor Ort hat es sich natürlich wie eine Niederlage angefühlt. Da war es eine große Freude, ein paar Tage später mit dem Team Gold zu gewinnen. Mit den vielen Zuschauern, das war eine Riesenstim­mung. 2005 war es ähnlich. Da hatten wir im Vorfeld große Schwierigk­eiten,

Ronny Ackermann hatte eine Formkrise. Wir haben wie verrückt gearbeitet, um seine Sprungform zu finden. Am Ende war es ein echtes Wintermärc­hen. Wir Kombiniere­r waren durch unsere Medaillen und Siege ein bisschen die Wegbereite­r. Ich erinnere mich noch an die WM-Bar mitten im Ort, die war 200 oder 300 Meter lang. Da haben sich alle getroffen. Ich habe das als die schönste WM empfunden.

Jetzt wird alles ganz anders. Wie wird der WM-Alltag aussehen? Weinbuch: Wir werden nur im Hotel und an den Wettkampfs­tätten sein. Wir haben uns ein gutes Hotel ausgesucht, was jetzt sehr entscheide­nd ist. Das wird helfen, das beste aus der Situation zu machen.

Wie werden Sie den Tag Ihrer Athleten gestalten, um Lagerkolle­r zu vermeiden?

Weinbuch: Wir können in eine Halle gehen, um Fußball zu spielen. Im Hotel haben wir Krafträume, ein Spielzimme­r, in dem man Darts, Tischtenni­s oder Billard spielen kann. Sehr gutes Essen ist auch wichtig. Auch untereinan­der können wir uns in der deutschen Mannschaft diesmal kaum sehen. Wir werden mit den Langläufer­n oder Springern nicht in Kontakt sein, wie es sonst bei einer WM war. Das war immer ein schöner Nebeneffek­t, das ist leider nicht möglich. Jede Mannschaft ist in ihrer eigenen Blase.

Noch 7 Tage bis zur WM

Sie wurden im vergangene­n Jahr 60, sind aber noch immer mit Herzblut dabei. Wie lange noch?

Weinbuch: Nach so langer Zeit könnte man schon mal sagen, der da vorne muss jetzt mal weg.

Aber es funktionie­rt ja noch. Weinbuch: Ja, so lange das so ist, hat man auch ein Argument, weiter zu machen. Es ist wichtig, dass es mit Heinz Kuttin so gut funktionie­rt. Er hat frischen Wind gebracht. Ich habe noch einen Vertrag als Bundestrai­ner bis nächstes Jahr nach den Olympische­n Spielen. Ehrlich gesagt, war ich aber im Frühjahr 2020 nahe dran, aufzuhören. Das war zu der Zeit, als Ronny Ackermann ging. Letztlich habe ich mich aber noch einmal überzeugen lassen, von den Athleten, aber auch von der Verbandssp­itze. Jetzt will ich versuchen, meinen Vertrag zu erfüllen.

Hermann Weinbuch wurde am 22. März 1960 in Bischofswi­esen bei Berchtesga­den geboren. Er ist seit 1996 Bundes‰ trainer der Kombi‰ nierer. Zuvor hatte er als Aktiver vier WM‰Me‰ daillen geholt. Weinbuch ist verheirate­t, er hat zwei Kinder.

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Foto: Horstmülle­r, Imago
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