„Das war die schönste WM“
Hermann Weinbuch, Bundestrainer der Nordischen Kombinierer, redet über seine Erinnerungen an die bisherigen Titelkämpfe in Oberstdorf, deutsche Medaillenchancen bei der Weltmeisterschaft und den Lokalmatador Vinzenz Geiger
Herr Weinbuch, es sind nur noch wenige Tage bis zur WM in Oberstdorf. Worauf kommt es jetzt noch an? Hermann Weinbuch: Nach dem letzten Weltcup in Klingenthal waren wir zwei, drei Tage zu Hause. Danach haben wir intensiv an der Sprungtechnik gearbeitet. Wir springen gut, es geht aber noch ein bisschen besser. Es fehlt noch der letzte Schritt. Eine Steigerung wäre sehr wichtig, um um einen Sieg mitkämpfen zu können.
Sie haben mal gesagt, drei, vier Meter mehr beim Springen wären schön. Wo können die herkommen?
Weinbuch: Es liegt an der Technik. Wir müssen mehr Druck vom Schanzentisch bekommen. Das heißt nicht einen höheren, sondern einen längeren Impuls, damit wir mehr Drehung im ersten Flugdrittel bekommen. Dadurch erreicht man eine höhere Geschwindigkeit.
Ist der Norweger Jarl Magnus Riiber nach wie vor der Mann, an dem man sich beim Springen orientieren muss? Weinbuch: Ja, er hat vom Absprung einen längeren Impuls, nimmt mehr Drehmoment mit und steht dadurch höher. Vor allem hat er mehr Geschwindigkeit im Sprung und dadurch die Möglichkeit, im Landeanflug noch länger zu gleiten. Das kommt vom Absprung und den ersten 30 Metern. Da haben wir noch Reserven.
Sie haben aber dennoch den Abstand auf ihn verkürzt.
Weinbuch: Die gesamte Weltspitze hat sich verbessert und gerade im Springen konzentriert gearbeitet. Jetzt sind alle Nationen näher an Riiber dran. Da wurde erfolgreich gearbeitet und es gibt die Möglichkeit, ihn zu schlagen.
Wie wichtig war bei der Entwicklung im Springen der Wechsel im Trainerbereich von Ronny Ackermann zu Heinz Kuttin?
Weinbuch: Das war entscheidend. Mit Heinz kam ein Mann mit hoher Autorität, der schon Weltmeister im Spezialspringen trainiert hat. Da waren Respekt und Anerkennung sehr hoch. Das ist auch wichtig, wenn man eine neue Technik erlernen soll. Man muss ja etwas Bewährtes aufgeben und sich auf etwas Neues einlassen. Da ist es wichtig, wenn man einen kompetenten Mann hat, der das mit viel Wissen, aber auch Gefühl vermittelt. Und mit einer neuen Ansprache. Da sind wir schnell vorangekommen.
Wie sind Sie mit den Leistungen in diesem Winter bisher zufrieden? Weinbuch: Wir hatten im Vorfeld viel am Springen gearbeitet und im Laufen ein bisschen reduziert. Wir waren aus der Erfahrung heraus überzeugt, dass wir uns entwickelt haben. Wegen Corona hatten wir aber im Sommer keine Vergleichsmöglichkeiten, den Sommer-GrandPrix gab es nicht. Zu Beginn des
Winters haben wir gesehen, dass wir näher rangekommen sind, dass aber auch Riiber noch sehr stark ist. Uns war aber klar, dass wir noch Steigerungsmöglichkeiten haben. Wir waren erst mitten auf dem Weg, unsere Sprungform zu verbessern. Gerade auf Kleinschanzen waren wir schon gut, Vinzenz Geiger ist es gelungen, Riiber zu schlagen. Wir konnten unsere Leistung aber nicht konstant halten. Der letzte Schritt hat oft gefehlt. Da sind wir ein bisschen vom Weg abgekommen. In Klingenthal konnten wir das wieder drehen und verlorenes Terrain zurückholen.
Sie haben Vinzenz Geiger schon angesprochen, er hat in diesem Winter schon mehrfach gewonnen. Ist er auch für Oberstdorf Ihr heißes Eisen im Kampf um Medaillen?
Weinbuch: Er hat gezeigt, dass er gewinnen kann. Vinz läuft sehr stark und hat ein sehr gutes, breites Finish. Er kann auch einen Kilometer lang ein hohes Tempo gehen, ohne dass er zu schnell übersäuert. Und er ist auch im Zielsprint sehr schnell. Riiber ist sehr clever und auf der Zielgerade schnell, aber Vinzenz hat mehr Möglichkeiten, das Finish zu gestalten. In diese Position muss er aber auch erst mal durch einen guten Sprung kommen. Das ist ihm erst in letzter Zeit gelungen. Er tut sich oft im Springen noch schwer, gerade in Oberstdorf auf der großen Schanze. Aber auch ein Frenzel, Rießle oder Rydzek haben gezeigt, dass sie aufs Treppchen kommen können. Es ist schön, zu sehen, dass ich vier Leute an den Start bringen kann, die Chancen auf Medaillen haben.
Vinzenz Geiger konnte sich in Ruhe entwickeln, da Frenzel und Rydzek zuletzt oft erfolgreich waren. Hat er davon profitiert und sind Sie von seiner Entwicklung überrascht?
Weinbuch: Er konnte sich in Ruhe entwickeln, das stimmt. Überrascht aber hat er mich nicht. Ich habe schon sehr lange sein Talent gesehen und nur darauf gewartet, dass er es nutzt. Er war ein schlafender Riese.
Der nun bei der Heim-Weltmeisterschaft in Oberstdorf in einer Woche glänzen möchte. Der Druck aber könnte auch zu groß sein.
Weinbuch: Da weiß ich noch nicht, ob er das alles schon hinbringt. Ich hoffe, dass wir die Verantwortung auf mehrere Schultern verteilen können, ich möchte ihm den Rucksack nicht zu voll laden.
Neben Vinzenz Geiger sind wie Sie schon sagten Eric Frenzel, Johannes Rydzek und Fabian Rießle gefragt. Können Sie die drei kurz beschreiben? Weinbuch: Wir haben nicht nur vier Athleten, die Hoffnungen verbreiten. Ein Manuel Faißt hat auch schon Podestplätze erzielt. Auch Terence Weber ist nicht so weit weg. Aber die vier haben natürlich die besten Möglichkeiten. Eric Frenzel arbeitet wieder sehr hart und fleißig, das ist bewundernswert. Ihn hatte ich 2007 erstmals bei einer WM dabei, seitdem liefert er jedes Jahr ab. Wie er immer wieder diese Motivation findet, ist unglaublich. Wenn er im Springen den letzten Schritt noch machen kann, kann er Gold gewinnen. Fabian Rießle ist unser beständigster Athlet. Er hat aber noch nicht sein volles Leistungsvermögen gezeigt. Sowohl im Springen als auch im Laufen schlummern noch ein paar Prozent. Wenn er die rauskitzelt, hat er die Möglichkeit auf eine Medaille, sogar auf Gold. Johannes Rydzek hatte vergangenes Jahr ein Tief, jetzt hat er sich zurückgekämpft. Vor allem mental hat er hart an sich gearbeitet.
Er ist jetzt wieder in sehr guter
Form. Ich hoffe, dass er sich bei der Heim-WM mental frei machen kann und voll angreift. Er ist mehrfacher Weltmeister, warum soll er das nicht wieder schaffen.
Drei Medaillen sind Ihr WM-Ziel. Weinbuch: Ja, die sind realistisch.
Wie erleben Sie die Corona-Bedingungen in diesem Winter?
Weinbuch: Das macht es komplizierter und anstrengender. Ohne Zuschauer ist es oft mit der Motivation nicht so einfach. Zudem betreiben wir einen hohen Aufwand mit den vielen Tests. Wir sind aber natürlich froh, dass wir überhaupt starten dürfen. In Oberstdorf wäre es ein Riesenfest geworden. Die Zuschauer können noch mal ein paar Prozent mehr rauskitzeln bei den Athleten.
Sie haben schon zwei Weltmeisterschaften in Oberstdorf erlebt. 1987 als Aktiver und 2005 als Trainer. Welche Erinnerungen haben Sie?
Weinbuch: Solche Erlebnisse und Emotionen speichert man natürlich ab. 1987 erlebte ich im Einzel eine Riesenenttäuschung. Ich war der große Favorit und wurde nur Vierter. Nachträglich bekam ich noch Bronze, aber vor Ort hat es sich natürlich wie eine Niederlage angefühlt. Da war es eine große Freude, ein paar Tage später mit dem Team Gold zu gewinnen. Mit den vielen Zuschauern, das war eine Riesenstimmung. 2005 war es ähnlich. Da hatten wir im Vorfeld große Schwierigkeiten,
Ronny Ackermann hatte eine Formkrise. Wir haben wie verrückt gearbeitet, um seine Sprungform zu finden. Am Ende war es ein echtes Wintermärchen. Wir Kombinierer waren durch unsere Medaillen und Siege ein bisschen die Wegbereiter. Ich erinnere mich noch an die WM-Bar mitten im Ort, die war 200 oder 300 Meter lang. Da haben sich alle getroffen. Ich habe das als die schönste WM empfunden.
Jetzt wird alles ganz anders. Wie wird der WM-Alltag aussehen? Weinbuch: Wir werden nur im Hotel und an den Wettkampfstätten sein. Wir haben uns ein gutes Hotel ausgesucht, was jetzt sehr entscheidend ist. Das wird helfen, das beste aus der Situation zu machen.
Wie werden Sie den Tag Ihrer Athleten gestalten, um Lagerkoller zu vermeiden?
Weinbuch: Wir können in eine Halle gehen, um Fußball zu spielen. Im Hotel haben wir Krafträume, ein Spielzimmer, in dem man Darts, Tischtennis oder Billard spielen kann. Sehr gutes Essen ist auch wichtig. Auch untereinander können wir uns in der deutschen Mannschaft diesmal kaum sehen. Wir werden mit den Langläufern oder Springern nicht in Kontakt sein, wie es sonst bei einer WM war. Das war immer ein schöner Nebeneffekt, das ist leider nicht möglich. Jede Mannschaft ist in ihrer eigenen Blase.
Noch 7 Tage bis zur WM
Sie wurden im vergangenen Jahr 60, sind aber noch immer mit Herzblut dabei. Wie lange noch?
Weinbuch: Nach so langer Zeit könnte man schon mal sagen, der da vorne muss jetzt mal weg.
Aber es funktioniert ja noch. Weinbuch: Ja, so lange das so ist, hat man auch ein Argument, weiter zu machen. Es ist wichtig, dass es mit Heinz Kuttin so gut funktioniert. Er hat frischen Wind gebracht. Ich habe noch einen Vertrag als Bundestrainer bis nächstes Jahr nach den Olympischen Spielen. Ehrlich gesagt, war ich aber im Frühjahr 2020 nahe dran, aufzuhören. Das war zu der Zeit, als Ronny Ackermann ging. Letztlich habe ich mich aber noch einmal überzeugen lassen, von den Athleten, aber auch von der Verbandsspitze. Jetzt will ich versuchen, meinen Vertrag zu erfüllen.
Hermann Weinbuch wurde am 22. März 1960 in Bischofswiesen bei Berchtesgaden geboren. Er ist seit 1996 Bundes trainer der Kombi nierer. Zuvor hatte er als Aktiver vier WMMe daillen geholt. Weinbuch ist verheiratet, er hat zwei Kinder.