Das schwächste Glied in der Nahrungskette
Die vier größten Lebensmittelhändler in Deutschland kontrollieren 85 Prozent des Marktes. Laut einer Oxfam-Studie nutzen sie diese Macht, um Bauern weniger Geld für ihre Lebensmittel zu zahlen. Die EU will das ändern
Rott 33 Cent kriegt Milchbauer Hermann Dempfle aus Rott bei Landsberg für einen Liter Milch. Um keinen Verlust zu machen, bräuchte er mindestens 62 Cent. Überleben kann er nur, weil seine Familie ohne Bezahlung auf dem Hof mithilft: „Der Preis wird von oben gemacht“, sagt er. Die Molkerei, die er beliefere, gebe den Preisdruck aus dem Einzelhandel an ihn weiter. Mit diesem Problem ist er nicht alleine. Marita Wiggerthale hat für die Hilfsorganisation Oxfam eine sogenannte „Knebelliste“erstellt, auf der die Tricks stehen, mit denen der Einzelhandel seine Einkaufspreise reduziert. Laut ihrer Untersuchung kommen dabei auch unlautere Methoden zum Einsatz.
„Es gibt bei diesen Verhandlungen ein massives Machtungleichgewicht“, sagt sie. Aus Angst vor Vergeltungsmaßnahmen der Einzelhandelskonzerne komme es häufig vor, dass Bauern ihr nur auf anonyme Weise berichten würden, wie der Preis unfair gedrückt werde. Der Verlust eines großen Supermarktes oder Discounters als Abnehmer wäre verheerend für die Landwirte. Laut Bundeskartellamt kontrollieren die vier größten Lebensmittelhändler Edeka, die Schwarz-Gruppe (Lidl und Kaufland), Rewe und Aldi rund 85 Prozent des Marktes in
Deutschland. Eine Zahl, die durch die jüngst genehmigte Übernahme von 71 Real-Filialen durch Edeka und Kaufland noch weiter steigen dürfte. Das ist keine Seltenheit in der Lebensmittelbranche: Laut Wiggerthales Zahlen kontrollieren die vier größten Hühnerschlachtereien (rund 80 Prozent), Schweineschlachtereien (rund 65 Prozent) und Molkereien (rund 55 Prozent) ebenfalls mehr als die Hälfte ihres jeweiligen Marktes.
„Die Bauern sind das schwächste Glied in der Nahrungskette“, analysiert sie. Und das würde von ihren Geschäftspartnern ausgenutzt. Es komme beispielsweise häufig vor, dass Milchbauern erst einen Monat nach der Lieferung ihrer Milch erfahren, wie viel Geld sie dafür erhalten, erklärt die Agrarexpertin. Besonders problematisch seien sogenannte „Open-Book-Forderungen“. Das bedeutet, dass der Lieferant einseitig seine Kalkulation offenlegen muss. Der Einkäufer nutzt die Informationen, um den Preis zu drücken, während er seine eigene Kalkulation für sich behält. Laut
Wiggerthale ebenfalls ein beliebter Trick: Wenn die Abverkaufszahlen oder die Erträge hinter den Erwartungen des Handels zurückbleiben, muss der Lieferant Ausgleichszahlungen leisten. „Damit wird das unternehmerische Risiko auf ihn abgewälzt“, beschwert sich Wiggerthale. Insgesamt 40 solcher Klauseln hat sie in ihrer Studie zusammengestellt.
Edeka kann die Vorwürfe von Oxfam nicht nachvollziehen. Man lege hohen Wert auf „faire und partnerschaftliche Beziehungen“mit den Partnern in der Landwirtschaft. Auch die Schwarz-Gruppe weist die Vorwürfe von sich: „Sowohl Lidl als auch Kaufland sind für die Landwirtschaft faire und verlässliche Partner auf Augenhöhe. Mit unseren Lieferanten vereinbaren wir marktübliche Preise und nehmen beispielsweise die im Vorjahr bestellten Mengen komplett ab“, teilt eine Konzernsprecherin auf Anfrage mit. Rewe und Aldi hatten bei Redaktionsschluss nicht auf unsere Anfrage geantwortet. Laut der Sprecherin trage die Schwarz-Gruppe auch die EU-Verordnung gegen sogenannte „Unfair-Trade-Practices“(auf Deutsch: unfaire Handelspraktiken) mit.
Diese Richtlinie muss von den Mitgliedstaaten bis Anfang Mai umgesetzt werden. Die Bundesregierung tut das, indem sie das Agrarmarktstrukturgesetz
ändert. Ein entsprechender Entwurf aus dem Agrarministerium soll am kommenden Montag durch den Landwirtschaftsausschuss. Demnach soll es künftig eine graue und eine schwarze Liste geben. Praktiken auf der schwarzen Liste sollen ganz verboten werden, Einträge auf der grauen Liste nur erlaubt werden, wenn sie vertraglich abgesprochen sind. In beiden Kategorien finden sich Praktiken, die Wiggerthale angeprangert hat. Den Schutz des Gesetzes sollen alle Unternehmen in der Branche
Die EU will unfairen Handels praktiken ein Ende machen
mit einem Umsatz unter 350 Millionen Euro genießen, die mit Unternehmen Handel treiben, die diese Grenze überschreiten.
Thomas Roeb lehrt Handelsbetriebslehre an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Er sieht die Situation etwas gelassener als Wiggerthale. „Durch den Druck entfallen schwache Marktteilnehmer“, erklärt er. Die Übrigen seien größer und hätten deswegen niedrigere Produktionskosten. Kleinere Zulieferer aus der Region könnten zudem oft bessere Preise erzielen: „Die sehen die Kunden gerne im Sortiment, daher gewährt ihnen der Handel Welpenschutz“, so Roeb.