Landsberger Tagblatt

Ein Kontinent jagt einen Würfel

Die deutsche Netflix-Produktion „Tribes of Europa“führt ins Jahr 2074

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Wer im Brexit den Anfang vom Ende der europäisch­en Idee sieht, für den liefert die neue Netflix-Serie „Tribes of Europa“die passende Dystopie (Start 19. Februar). Allerdings haben hier im Jahre 2074 nicht nationale Eigeninter­essen die Zersplitte­rung des alten Kontinents bewirkt, sondern ein globaler Blackout, der auf ominöse Weise den gesamten technologi­schen Fortschrit­t der letzten hundert Jahre dahingeraf­ft hat. Nicht nur die EU, sondern auch die Nationalst­aaten sind zerfallen. Einzelne „Tribes“(Stämme) kämpfen mit unterschie­dlichen Ideen und Organisati­onsformen wahlweise ums eigene Überleben oder um die Vorherrsch­aft in Europa.

Die Serie von den Produzente­n Max Wiedemann und Quirin Berg, die schon den deutschen Netflix-Hit „Dark“aufs Gleis setzten, beginnt in idyllische­n Wäldern, in die sich der Stamm der Origines zurückgezo­gen hat. Die Öko-Community hält Technologi­e für den Ursprung allen Übels und lebt abgeschirm­t von der feindliche­n Außenwelt im Einklang mit der Natur. Das hat ein Ende, als ein Jet abstürzt. Der Pilot drückt dem jungen Elja (David Ali Rashed) einen Hightech-Würfel in die Hand, und mit diesem Cube hat die Serie ihren MacGuffin gefunden, hinter dem alle her sind. Vor allem die finsteren Crows, die sogleich das Dorf überfallen, den Großteil der Bewohner massakrier­en und den Rest als Sklaven ins ehemalige Berlin verschlepp­en. In einer traditione­llen Scheibchen-Dramaturgi­e folgen die sechs Episoden nun Elja, der mit dem Cube flüchtet, dessen Bruder Kiano (Emilio Sakraya), der im Harem der Crow-Fürstin Varvara (Melika Foroutan) landet, und der älteren Schwester Liv (Henriette Confurius), die versucht, ihre Familie zu befreien.

Regisseur und Drehbuchau­tor Philip Koch („Picco“) setzt in „Tribes

of Europa“weniger auf bahnbreche­nde Innovation­en als auf die Neuanordnu­ng vertrauter GenreEleme­nte. Nicht nur bei der hauseigene­n „Dark“-Serie werden Anleihen gemacht, sondern vor allem im Fundus dystopisch­er Kinovision­en wie „Die Tribute von Panem“. Unübersehb­ar ist Henriette Confurius mit der Armbrust in der Hand eine Wiedergäng­erin Katniss Everdeens. Wie viele postapokal­yptische Szenarien wird auch dieses in der blutigen Geschichte des Nationalso­zialismus verankert. Dunkle KZ-Katakomben in der Hauptstadt der Crows, brutale Unterwerfu­ngsgemetze­l und Sebastian Blomberg als furchterre­gender Diktator mit viel Kajal komplettie­ren das Bild. „German Angstmache­r“kommen bei der internatio­nalen StreamingG­emeinde schließlic­h gut an. Fürs komödianti­sche Gegengewic­ht darf durchaus erfolgreic­h Oliver Masucci als windiger Schrotthän­dler sorgen.

Getragen wird die Erzählung, die sich etwas mechanisch von einem Cliffhange­r zum nächsten hangelt, eher von den weiblichen Charaktere­n. Melika Foroutan („Die dunkle Seite“) ist als furiose Crow-Fürstin ein Ereignis für sich und verleiht ihrer Figur eine grausam-pragmatisc­he Intelligen­z. Als Sympathiet­rägerin, die sich männlichen Machtvorst­ellungen entzieht und in ihren Entscheidu­ngen dem eigenen Kompass folgt, entwickelt Henriette Confurius eine unaufdring­lich strahlende Präsenz. Die Schlussseq­uenz der letzten Folge legt nahe, dass in der zweiten Staffel noch stärker auf Frauenpowe­r gesetzt und damit vielleicht auch mehr Originalit­ät ins dystopisch­e Einer- und Allerlei einfließen wird.

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Elja (D. A. Rashed)

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