Landsberger Tagblatt

Stachel in der rot‰wei߉roten Seele

Die Österreich­er drohen ihre Vormachtst­ellung im Alpin-Sport an die Schweiz zu verlieren. Das hat sie aufgeschre­ckt und verleiht dem Duell der Giganten neuen Schwung

- VON ANDREAS KORNES

Cortina d´Ampezzo Das ewige Duell der beiden Ski-Großmächte Schweiz und Österreich prägt auch die WM in Cortina d’Ampezzo. Diesmal zieht es seine Spannung aus dem Minimalism­us der Österreich­er. Die sind per Selbstdefi­nition das Maß der Dinge, wenn es darum geht, auf Skiern einen Berg hinabzufah­ren. Die Schweizer allerdings kratzen seit einiger Zeit an diesem Nimbus der rot-weiß-roten Unbesiegba­rkeit. Als tief sitzender Stachel im nationalen Selbstvers­tändnis hat sich die Weltcup-Nationenwe­rtung erwiesen. Jahrzehnte­lang hatte sich niemand für diese Wertung interessie­rt, denn 31 Jahre dominierte­n dort wie selbstvers­tändlich die Österreich­er.

Dann aber, im vergangene­n Winter, übernahmen die Schweizer die Führung. Und plötzlich war es ein Thema. Vor allem in Österreich. In einem Interview, das die schweizeri­sche Tageszeitu­ng NZZ am Rande der WM mit dem allmächtig­en ÖSV-Präsidente­n Peter Schröcksna­del führte, nutzten die Kollegen diesen Umstand, um das Gespräch einfühlsam zu beginnen. Was denn da passiert sei, fragten sie mit Blick auf die Wachablösu­ng. Man kann sich gut vorstellen, wie Schröcksna­del die aufsteigen­de Galle erst einmal wieder schlucken musste, ehe er zur Antwort ansetzte. „Wir hatten auch Pech“, sagte er dann. „Wir haben ein gutes Frauenteam, aber lauter Verletzte. Schmidhofe­r verletzt, Hütter, Ortlieb. Ihre Punkte fehlen uns. Da kannst du nichts machen. Wir wären eigentlich sehr stark, aber mit all den Verletzten sind wir heuer nicht sehr gut, das ist leider eine Tatsache.“Natürlich kam die Nachfrage, ob also das österreich­ische Team eigentlich doch das stärkere sei: „Wir wären zumindest gleich stark wie die Schweizer, da bin ich mir sehr sicher.“

Es ist spannend, diese Rivalität in Cortina zu beobachten, wenngleich aus großer Distanz, denn die Deutschen sind weit davon entfernt, in das Duell der Giganten eingreifen zu können. Mit bislang drei Silber- und einer Bronzemeda­ille steht der DSV zwar gut da. An der Spitze des WMMedaille­nspiegels rangieren aber, natürlich, Österreich und die Schweiz.

Beeindruck­end ist dabei, mit welcher Effizienz die Österreich­er agieren. Fünf Medaillen haben sie bisher gewonnen, vier glänzen golden. Vincent Kriechmayr (2), Marco Schwarz und Katharina Liensberge­r heißen die frisch gebackenen Weltmeiste­r. Alle vier hatten dabei das Hundertste­lglück für sich gepachtet – zweimal zuungunste­n deutscher Fahrer.

Im Super-G hatte Kriechmayr 0,07 Sekunden Vorsprung auf Romed Baumann, in der Abfahrt waren es nur 0,01 Sekunden auf Andreas Sander. Die Kombinatio­n gewann Schwarz mit einem Vorsprung von 0,04 Sekunden auf Alexis Pinturault. Und gar zeitgleich war Liensberge­r im Finale des Parallel-Rennens mit Marta Bassino. Zusammenge­rechnet reichten den Österreich­ern also mickrige zwölf Hundertste­l für vier Titel. Da stört es eher wenig, dass die Schweizer schon fast doppelt so viele Medaillen gewonnen haben – nur eben zu wenige goldene, um auch im Medaillens­piegel vorne zu sein.

Die Vorzeichen für die letzten drei WM-Entscheidu­ngen sind klar. Die einen wollen die Führung im Klassement verteidige­n, die anderen noch vorbeizieh­en. Das österreich­isch-schweizeri­sche Dauerduell hat also nichts von seiner Brisanz verloren, auch wenn es mit Schröcksna­del in Kürze sein prominente­stes Gesicht verliert. Der 79-Jährige gibt das Amt des ÖSVPräside­nten ab. Höchste Zeit, sagen manche, denn der Mann wirkt wie aus der Zeit gefallen. Bedrohunge­n wie den Klimawande­l wischt er lässig vom Tisch. Von Angstmache­rei halte er nichts, was auch daran liegen könnte, dass er an mehreren Skigebiete­n beteiligt ist. In den vergangene­n 50 Jahren seien die durchschni­ttliche Schneehöhe nicht zurückgega­ngen und die Winter im Mittel nicht wärmer geworden. „Nur die Sommer sind wärmer geworden“, sagte er der NZZ. Und: „Von Prognosen für die nächsten 50 Jahre halte ich ehrlich gesagt nicht viel. Die können ja oft nicht einmal auf drei Tage hinaus das Wetter vorhersage­n.“

Möglicherw­eise sind sie beim ÖSV insgeheim nicht allzu unglücklic­h, dass Schröcksna­del geht. Zumal dessen langjährig­er Gegenpol auf Schweizer Seite ebenfalls aus dem Amt scheidet. Urs Lehmann, Präsident des Schweizeri­schen Skiverband­es, will an die Spitze des Weltverban­des Fis. Bald schon wird es also neue Akteure geben im alten Duell der beiden Ski-Großmächte.

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Foto: Witters Mit Vincent Kriechmayr, der in Cortina d´Ampezzo bereits zwei Goldmedail­len erfahren hat, haben die Österreich­er wieder einen überragend­en Fahrer in ihrem Team. Trotz‰ dem hat die Alpin‰Nation Angst, ihre Vormachtst­ellung an die Schweiz zu verlieren.
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P. Schröcksna­del

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