Landsberger Tagblatt

Athletenfl­üsterer vor dem Härtetest

Andreas Bauer steht vor seiner dritten Heim-WM in Oberstdorf. Warum die Wettkämpfe für den 57-jährigen Frauen-Bundestrai­ner eine besondere Herausford­erung werden – und welche Störfeuer er ausblendet

- VON RONALD MAIOR

Oberstdorf Es wird der Hattrick für Andreas Bauer. Mit 23 Jahren segelte der Oberstdorf­er 1987 als aktiver Skispringe­r von der Schanze. 2005 zog er als Sprungtrai­ner der Nordischen Kombiniere­r die Strippen im Hintergrun­d. Nun, 2021, soll für den Bundestrai­ner der Frauen-Skisprung-Nationalma­nnschaft der Höhepunkt folgen: Als Architekt eines Medaillent­raums für die in den vergangene­n Jahren so erfolgsver­wöhnte Skisprung-Nation. Und obwohl in diesem Jahr für den 57-jährigen Oberstdorf­er alles anders sein wird, haben die deutschen Skispringe­rinnen bei der Nordischen SkiWM in Oberstdorf ab dem 23. Februar eine Mission. „Wir haben immer das Ziel, in ein Leistungsv­ermögen zu kommen, aus dem wir um eine Medaille mitspringe­n. Ob es am Tag X auch so kommt, kann niemand sagen“, sagt Bauer, ergänzt aber: „Aber wir stecken mitten in einer schwierige­n Saison und müssen eine Menge bewältigen.“

Allem voran kämpft Bauer mit seiner Mannschaft gegen eine nunmehr zwei Jahre andauernde Verletzten­misere. Die fünffache Weltmeiste­rin und Olympiasie­gerin Carina Vogt beispielsw­eise hat erst vor Weihnachte­n nach einem Kreuzbandr­iss und einer elend langen Leidensges­chichte wieder ihr Comeback gefeiert. Anna Rupprecht war ab Sommer 2019 mit Meniskusri­ss und Knorpelsch­aden außer Gefecht, Ramona Straub hat seit fast zwei Jahren keinen Wettkampf mehr bestritten und verpasst die WM – die Oberstdorf­erin Gianina Ernst ist im Oktober mit nur 21 Jahren zurückgetr­eten. „Wir hinken ein wenig hinterher, weil es lange galt, die Verletzten zu integriere­n, die Mannschaft im Ganzen WM-tauglich zu machen“, sagt Bauer. Dabei legt der Bundestrai­ner großen Wert darauf, zu differenzi­eren. Während Vorzeigesp­ringerin Katharina Althaus mit konstanten Platzierun­gen im einstellig­en Bereich „nah dran ist am Podest“und nur noch am Feintuning beim Material arbeiten müsse, sehe er Vogt auf stetig gutem Weg, Rupprecht sogar in ihrer besten Saison der Karriere.

„Unser großes Sorgenkind ist nach wie vor Juliane Seyfarth“, gesteht Bauer. Dabei spielen die umstritten­en Aufnahmen der 31-jährigen Seyfarth im Playboy für ihren Bundestrai­ner keineswegs die größRolle. „Ich nehme mir eine strikte Trennung von Privatpers­on und Bundestrai­ner vor. Und so handhabe ich das in der Arbeit“, sagt Bauer. „Wenn eine Athletin mit Fragen privater Art auf mich zukommt – beispielsw­eise zur berufliche­n Perspektiv­e – bin ich als Trainer immer bereit, zu helfen. Aber wenn jemand Entscheidu­ngen trifft, ohne andere einzubinde­n, habe ich da auch keine Befindlich­keiten. Aber gut, dass es abgehakt ist.“Allein sportlich sei Seyfarth, obwohl sie in der laufenden Saison noch nicht über einen 17. Rang hinausgeko­mmen ist, „wichtig in ihrer Rolle, um eine starke Mannschaft für die WM zu stellen.“

Das WM-Quartett um Althaus, Vogt, Rupprecht und Seyfarth steht. Am kommenden Wochenende, dem letzten vor dem WM-Start, ist die Mannschaft aufgeteilt. Selina Freitag, Luisa Göhrlich und Agnes Reisch springen im rumänische­n Rasnov den fünften WM-Rang aus – Rupprecht ist bei der Generalpro­be ebenso dabei. Zum Auftakt landete Letztere als 16. aber als einzige DSV-Athletin im Soll. Selina Freitag enttäuscht­e als 26. ebenso wie Luisa Göhrlich, die als 29. gerade noch zwei Weltcup-Punkte ergatterte. Die Allgäuerin Agnes Reisch verpasste als 35. gar den Finaldurch­gang.

Dem fixen Trio wolle der Trainersta­b ebenfalls am letzten Wochenende vor der WM beim Lehrgang in Garmisch den letzten Schliff verpassen. Denn die Saison begann für die DSV-Auswahl pandemiebe­dingt bereits mit Unwägbarke­iten im Sommer, in dem man sich „normalerwe­ise eine Standortbe­stimmung mit den anderen Nationen holt“, wie Bauer erte klärt. „Und dann ist zu Beginn so viel ausgefalle­n, dass wir bis Ende Januar ein großes Loch im Kalender hatten. Da ist es gerade in unserer Lage nicht leicht, einen Rhythmus aufzunehme­n.“

Wegen all dieser Knicke im WMFahrplan der deutschen Skispringe­rinnen scheint auch das Abonnement des Damen-Teams auf WMMedaille­n ausgerechn­et bei der Heim-WM gefährdet. Dabei ist die Bilanz imposant: 2015 gab es im schwedisch­en Falun den Einzeltite­l für Carina Vogt und Mixed-Gold, 2017 in Lahti die identische Ausbeute für Vogt und die Mixed-Auswahl. Und zuletzt, 2019 in Seefeld, sprang die Oberstdorf­erin Althaus zu Silber, im ersten Teamwettbe­werb segelte das Quartett zu Gold und den beinahe vorprogram­mierten MixedTitel gab es für den DSV das dritte Mal in Folge.

Und so ist der 2019 vom Deutschen Olympische­n-Sportbund zum Trainer des Jahres gewählte Bauer nun mehr denn je gefordert. Als Coach, als Moderator, als Athletenfl­üsterer. „Man muss sich als Trainer ein dickes Fell anlegen. Und nur diese Dinge bewegen, die man bewegen kann. Für alles andere muss ich den Schalter umlegen und pragmatisc­h denken“, sagt Bauer.

So handhabt es der Oberstdorf­er aufgrund der veränderte­n sportliche­n Rahmenbedi­ngungen 2021 auch mit Blick auf die Zielsetzun­g bei der WM. „Ich finde es ganz angenehm, dass uns niemand für ganz vorne auf dem Zettel hat. Es wird in jeder Hinsicht eine andere WM. Und Carina Vogt kann beispielsw­eise gnadenlos sein, wenn sie Lunte riecht. Da kann immer alles passieren“, sagt Andreas Bauer. „Wir Trainer lassen die Athleten irgendwann los, wenn sie vor dem entscheide­nden Sprung nach oben gehen. Bis dahin sind wir dafür da, sie bestmöglic­h vorzuberei­ten.“In diesem Jahr wird das für Bauer ein außergewöh­nlicher Härtetest.

Noch 4 Tage bis zur WM

 ?? Foto: imago images ?? Der Meistertra­iner und seine Musterschü­lerinnen: Seit Andreas Bauer 2011 als Bundestrai­ner die deutschen Skispringe­rinnen übernommen hat, geht es mit dem Team berg‰ auf. Die Oberstdorf­erin Katharina Althaus (links) und vor allen Dingen die fünffache Weltmeiste­rin Carina Vogt (rechts) zählen zur Elite des Weltcups.
Foto: imago images Der Meistertra­iner und seine Musterschü­lerinnen: Seit Andreas Bauer 2011 als Bundestrai­ner die deutschen Skispringe­rinnen übernommen hat, geht es mit dem Team berg‰ auf. Die Oberstdorf­erin Katharina Althaus (links) und vor allen Dingen die fünffache Weltmeiste­rin Carina Vogt (rechts) zählen zur Elite des Weltcups.
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