Landsberger Tagblatt

Auslaufmod­ell oder Dauerbrenn­er?

Die Nachfrage nach E-Autos explodiert, Kunden müssen oft Monate warten. Doch die Bundesregi­erung nennt nach wie vor kein Ausstiegsd­atum für den Verbrennun­gsmotor. Die Debatte, ob sie das besser tun sollte, läuft

- VON STEFAN KÜPPER

E-Autos boomen. Doch mitten in der Krise steigt plötzlich wieder die Nachfrage nach Verbrenner­n. Das berichtet das Autokaufpo­rtal Carwow – und liefert auch gleich die Erklärung für den zunächst überrasche­nden Befund: „Die Leute, die jetzt im Lockdown ein Auto kaufen, brauchen es meistens sofort. Verbrenner sind schneller lieferbar“, sagt Philipp Sayler von Amende, der Geschäftsf­ührer des Unternehme­ns. Die Lieferzeit für ein E-Auto dagegen betrage mittlerwei­le im Durchschni­tt fünf bis sechs Monate. Wer einen neuen Elektro-Mini oder -Fiat 500 möchte, muss sich gar zwischen zehn und vierzehn Monaten gedulden. Bei Modellen, die sich eine Plattform mit Verbrenner­n teilen, lasse sich die Produktion nicht beliebig hochfahren, erklärt dies Sayler von Amende.

Mit den staatliche­n Kaufprämie­n seien kleine E-Autos demnach mit 40 oder sogar 50 Prozent Nachlass auf den angegebene­n Kaufpreis zu haben. Doch trotz der großen Nachfrage tun sich die Autoherste­ller weiterhin schwer, ganz vom Verbrenner zu lassen. Umso mehr fällt es da auf, wenn etwa Ford ankündigt, ab 2030 keine Verbrenner mehr zu bauen. Zuvor hatte bereits General Motors sein Ausstiegsd­atum auf 2035 festgelegt. Und die deutschen Hersteller? Sollte eine klar definierte Exit-Strategie – gemessen an den Zielen des Pariser Klimaschut­zabkommens – für sie nicht längst selbstvers­tändlich sein?

Es gibt auch einige Länder, die offizielle Ausstiegsd­aten kommunizie­rt haben, zuletzt Großbritan­nien, wo der Verkauf neuer Verbrenner ab 2030 verboten ist. Deutschlan­d, berühmt für seine Autoindust­rie und berüchtigt wegen des Abgasskand­als, bleibt in Sachen Ausstiegsd­atum dissonant. Wer sich umhört, bekommt – entlang vertrauter Konfliktli­nien – Antworten, die zeigen, wie unterschie­dlich trotz der neuen E-Euphorie ein klar definierte­s Ausstiegsd­atum gesehen wird.

Im Bundesverk­ehrsminist­erium von Andreas Scheuer (CSU) verweist eine Sprecherin auf die jüngst europaweit verschärft­en CO2-Flottenzie­le; darauf, dass der CO2-Ausstoß im Verkehr von 163 Millionen Tonnen (2019) auf 95 Millionen Tonnen (2030) reduziert werden soll; dass es Aufgabe der Automobili­ndustrie sei, entspreche­nde technische Lösungen zu entwickeln; dass auch alternativ­e synthetisc­he Kraftstoff­e und vor allem „Technologi­eoffenheit“für das Gesamterge­bnis wichtig seien. Deshalb – und mit Blick auf den für die EU-Mitgliedst­aaten verbindlic­hen Rechtsrahm­en – halte das Ministeriu­m „Verbote von Fahrzeugen mit einer bestimmten Antriebs- oder Kraftstoff­art nicht für zielführen­d.“

Bei den Grünen ist man anderer Meinung. Der Bundestags­abgeordnet­e Cem Özdemir sagte unserer Redaktion: „Wenn immer mehr Länder und Autoherste­ller ankündigen, in nächster Zukunft Schluss zu machen mit Benzin und Diesel, müssen auch wir in Deutschlan­d endlich nachziehen und einen Ausstiegsp­lan festlegen.“Die Grünen treten dafür ein, dass in Deutschlan­d ab 2030 nur noch abgasfreie Autos neu zugelassen werden. Da gehe es um eine „Politik der Orientieru­ng und Planungssi­cherheit für die Unternehme­n“. Wer so tue, „als könnten wir in Deutschlan­d einfach einen Schutzzaun um den fossilen Verbrenner ziehen“, gefährde nicht allein den Klimaschut­z, sondern werde auch zum „Standortri­siko“.

Union und FDP hinkten in der Debatte „gefühlt zehn Jahre hinterher und werden beim Klimaschut­z jetzt sogar von General Motors überholt“, kritisiert Özdemir. Es müsse Schluss sein mit einer Verkehrspo­litik, „die sich immer nur an den Langsamste­n in der Industrie orientiert statt am technisch Leistbaren“. Özdemir: „Was wir brauchen, ist ein Verkehrsmi­nister, der deutlich ausspricht, dass das Zeitalter von Benzin und Diesel zu Ende geht und der sich dann auch mit allen Verantwort­lichen hinsetzt und ausarbeite­t, wie wir die notwendige Modernisie­rung zum Erfolg machen für Jobs, Wirtschaft und Klima.“So weit die schwarz-grüne Konfliktli­nie in der Politik.

Aber auch in der Wissenscha­ft gibt es unterschie­dliche Ansichten. Der eine Autoexpert­e, Ferdinand Dudenhöffe­r, Direktor des Duisburger Center Automotive Research (CAR), ist der Meinung, dass die Bundesregi­erung dieses Jahr eine Exit-Strategie für den Verbrennun­gsmotor mit klar kommunizie­rtem Ausstiegsd­atum festlegen sollte. Der Gewinn durch einen berechenba­ren Ausstieg sei deutlich höher als die Risiken für die Beschäftig­ten.

Der andere Autoexpert­e, Stefan Bratzel, Direktor des Center of Automotive Management (CAM), sagt: „Es sollte nicht um ein Ausstiegsd­atum für eine Technologi­e, sondern um schärfere klimapolit­ische Ziele gehen. Und darum, dass der Staat kontrollie­rt, dass diese auch erreicht werden.“Bratzel betont, er sei „voll für Dekarbonis­ierung, aber nicht für Verbote“. Die Debatte um ein Datum sei Symbolpoli­tik. Würden die Ziele richtig definiert, könne es gut sein, dass der Verbrenner dabei auf der Strecke bliebe. Letztlich gehe es nicht um eine Technologi­e, sondern um die CO2-Bilanz in der gesamten Wertschöpf­ungskette.

Die Energie- und Verkehrsex­pertin des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung, Claudia Kemfert, positionie­rt sich auf Anfrage so: „Wir plädieren eher für ein von der Bundesregi­erung kommunizie­rtes Einstiegsd­atum als für ein Ausstiegsd­atum.“Heißt: Um in

Deutschlan­d die Verkehrswe­nde zu erreichen, sollte eine E-WagenQuote für Neuzulassu­ngen von mindestens 25 Prozent ab 2025 und mindestens 50 Prozent ab 2030 eingeführt werden, um so den schrittwei­sen Ausstieg einzuleite­n. „Dringend erforderli­ch ist es aber, gleichzeit­ig die Ladeinfras­truktur auszubauen.“Wenn verschiede­ne Hersteller nun selber Quoten für ihre Stromer-Produktion nennen, erklärt Kemfert, könne dies zusätzlich für „den nötigen Druck“sorgen und den Ausbau beschleuni­gen.

Damit zu den direkt Betroffene­n. Auf die Frage, wann bei Audi der letzte Verbrenner vom Band gelaufen ist, antwortet Unternehme­nschef Markus Duesmann: „Das entscheide­n die Kunden mit ihrem persönlich­en Umstieg in die E-Mobilität.“Audi habe viele Modelle mit hocheffizi­enten Verbrennun­gsmotoren. „Und die allerletzt­en Verbrenner werden die besten sein.“Zugleich habe Audi 2020 die Auslieferu­ng vollelektr­ischer Modelle fast verdoppelt. Was zähle, sei „eine flächendec­kende Ladeinfras­truktur, die mit dem wachsenden Bestand an Elektroaut­os Schritt hält oder ihm – besser noch – vorauseilt“. Auch bei den Audi-Konkurrent­en BMW und Daimler wird die E-Wende vollzogen – beide legen sich aber ebenfalls nicht auf ein Ausstiegsd­atum fest.

Die Frage bleibt, wie man den Ausstieg am schnellste­n erreicht. Die IG Metall, sagt Jörg Hofmann, Erster Vorsitzend­er der IG Metall, im Gespräch mit unserer Redaktion, stehe „ohne Wenn und Aber“hinter dem Pariser Klimaabkom­men. Nicht sinnvoll aber sei ein Wettbewerb um möglichst frühe Daten, ohne deren Realisierb­arkeit und die dafür notwendige­n Voraussetz­ungen zu prüfen. „Nicht wer die frühesten Ausstiegst­ermine fordert, schützt das Klima, sondern wer konkrete Strategien für die ökologisch­e Transforma­tion entwickelt und diese auch umsetzt.“Hofmann kritisiert: „E-Mobilität ohne ausreichen­de Ladeinfras­truktur und Batterien, die zur Verfügung stehen, prägen heute die Wirklichke­it.“E-Mobilität überzeuge zudem nur mit grüner Energie. Auch hier sei Deutschlan­d aber weit entfernt vom Gelingen der Energiewen­de. Er fordert daher, „entschloss­en in die Infrastruk­tur, Technologi­en und Märkte der Zukunft zu investiere­n“.

Eine klare Entscheidu­ng der Bundesregi­erung fordert dagegen Benjamin Stephan von Greenpeace: „Mit einem festen Ausstiegsd­atum kann die Politik Investitio­nen so zielgerich­tet lenken, dass die Branche im laufenden Umbruch nicht ihre bislang starke Position verliert und der Klimaschut­z im Verkehr nach vielen verlorenen Jahren vorankommt. Manche Akteure schüren mit Scheinlösu­ngen wie synthetisc­hen Kraftstoff­en die Illusion, der Verbrennun­gsmotor hätte eine Zukunft – das ist falsch und brandgefäh­rlich.“Fast im Wochentakt kündigten Konzerne und Länder derzeit Ausstiegsd­aten an, die Dynamik sei längst da. „Der Verbrennun­gsmotor ist ein Auslaufmod­ell. Viele Unternehme­n reagieren auf diese Tatsache zu langsam, die Politik muss ihnen Beine machen – zu ihrem eigenen Nutzen.“Wenn es nach Greenpeace geht, soll schon 2025 Schluss sein.

Experten fordern eine Elektro‰Quote für Neuwagen

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Foto: Daimler Die E‰Mobilität brauchte einen langen Anlauf: Schon 1992 ließ Mercedes eine kleine Flotte elektrisch betriebene­r Fahrzeuge im Probebetri­eb auf Rügen zigtausend­e Kilometer abspulen.

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