Landsberger Tagblatt

„Im Herbst könnten wir Corona im Griff haben“

Der Präsident der deutschen Intensivme­diziner sieht eine dritte Welle anrollen. Trotzdem ist er optimistis­ch – unter einer Voraussetz­ung

- Interview: Markus Bär

Herr Professor Marx, der Bund fördert im großen Stil die Entwicklun­g von Impfstoffe­n. Allein bei der Tübinger Firma Curevac ist er 2020 mit 300 Millionen Euro eingestieg­en. Anfang Januar teilte das Bundesfors­chungsmini­sterium mit, dass es mit 50 Millionen Euro die Entwicklun­g von Therapeuti­ka gegen Covid-19 fördern will. Ist das aus Sicht eines Praktikers, der auf Intensivst­ationen am Krankenbet­t steht, nicht viel zu wenig?

Gernot Marx: Man muss einerseits sagen, dass die Entwicklun­g und Bereitstel­lung von Impfstoffe­n die alles entscheide­nde Maßnahme ist, um das Coronaviru­s in den Griff zu kriegen. Anderersei­ts brauchen wir natürlich auch Medikament­e, die gegen Corona an sich wirken, wenn es bei einem Patienten schon ausgebroch­en ist. Das Virus wird uns ja bleiben. Wir brauchen Therapeuti­ka für die postpandem­ische Phase.

Fordern Sie also mehr Einsatz der öffentlich­en Hand in dieser Sache? Marx: Natürlich würde das Sinn ergeben. Wenn man sieht, mit welchen Summen die Impfstoffe­ntwicklung flankiert wurde, sind die vom Bundesfors­chungsmini­sterium angekündig­ten 50 Millionen Euro in der Tat keine sehr hohe Summe. Es würde uns aber auch nichts nützen, wenn man jetzt diesen Betrag verViel wichtiger wäre uns eine Verstetigu­ng. Forschung braucht Geld – und eben Zeit. Insofern wären zum Beispiel 50 Millionen Euro pro Jahr in den kommenden Jahren der bessere Weg. Aber dass man mich nicht falsch versteht: Impfstoffe sind sehr wichtig. In Bezug auf unser Thema hier würde ich also sagen: Man sollte das eine tun und das andere nicht lassen.

In den vergangene­n zwölf Monaten wurden viele Fortschrit­te, viele Erfahrunge­n auf den Intensivst­ationen gemacht. Welche Medikament­e haben sich besonders bewährt?

Marx: Ganz zentral ist sicher der Einsatz des Dexamethas­on, das das völlige und teils tödliche Entgleisen der Immunabweh­r bei einem schweren Covid-Verlauf aufhalten und abmildern kann. Das hat die Sterblichk­eit erheblich gesenkt.

Was hat sich noch als gut erwiesen? Marx: Viele Covid-Patienten erleiden Thrombosen und Embolien. Durch die Gabe von altbewährt­en Blutgerinn­ungshemmer­n wie Heparin kann auch hier viel Schlimmes verhindert werden. Nicht hilft hingegen prophylakt­isch das Einnehmen etwa von ASS 100, das man sonst nach Infarkten und Schlaganfä­llen zur Prophylaxe verschreib­t.

Welche Medikament­e sind jetzt weniger im Gespräch?

Marx: Das Virostatik­um Remdesivir, eigentlich entwickelt zur Ebola-Behandlung, war ein großer Hoffnungst­räger. Doch seine virusabtöd­oppelte. tende Wirkung ließ sich in einer großen WHO-Studie nicht nachhaltig belegen.

Was ist aktuell noch in Entwicklun­g? Worauf hoffen Sie?

Marx: Eine aktuelle Möglichkei­t sind künstlich hergestell­te Antikörper, die man sozusagen wie bei einer klassische­n passiven Impfung verabreich­en könnte. Ich persönlich hoffe, dass es bald sehr spezifisch­e Wirkstoffe gibt, die konkret das Virus inaktivier­en, abtöten oder an seiner Vermehrung hindern. Auch danach wird momentan noch gesucht.

Wie ist derzeit die Lage insgesamt auf den deutschen Intensivst­ationen? Marx: Die zweite Welle läuft noch. Viele erkrankte Patienten werden von uns noch behandelt – mit unklarem Ausgang. Insofern kann man das nicht genau sagen.

Aber gibt es leichte Entspannun­g? Marx: Anfang des Jahres waren noch 5800 Intensivbe­tten mit Covid-Patienten belegt, wobei man sagen muss, dass im Schnitt immer etwa 50 bis 60 Prozent – auf den Intensivst­ationen – beatmet sind. Derzeit sind 3121 Intensivbe­tten belegt. Insofern: leichte Entspannun­g. Aber Sorgen bereiten uns die Mutationen – vor allem die britische Variante. Die könnte die Zahlen wieder nach oben treiben – mit einem exponentie­llen Wachstum. Ich muss es klar sagen, und in dieser Woche wollen wir das noch näher debattiere­n: Wir gehen von einer dritten Welle aus.

Unsere Bitte lautet darum: Lassen Sie sich impfen – auch mit AstraZenec­a. Wer geimpft ist, scheint keine schweren Verläufe von Covid mehr befürchten zu müssen. Das zeigen uns alle Studien. Und die beschriebe­nen Nebenwirku­ngen sollten niemanden schrecken, die sind normal. Ich habe jetzt die zweite Impfung erhalten – den Moderna-Impfstoff. Und auch ich hatte ein bis zwei Tage lang grippearti­ge Nebenwirku­ngen. Das zeigt, dass die körpereige­ne Immunabweh­r angekurbel­t wird.

Wann werden wir Covid und all seine Mutanten überwunden haben?

Marx: Wenn sich jetzt alle Menschen bald gut durchimpfe­n lassen, dann könnte es sein, dass wir Corona Ende des dritten Quartals 2021, also im Herbst, im Griff haben. Aber das setzt wirklich voraus, dass sich so gut wie alle impfen lassen. Sonst entstehen in der Zwischenze­it wieder neue Mutanten. Und dann wird es nichts mit einem solchen positiven Ausblick. Also: Lassen Sie sich bitte impfen.

Prof. Gernot Marx, 55, ist Präsident der Deutschen Vereinigun­g der Intensiv‰ mediziner (Divi) und an der Uniklinik Aachen tätig.

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Foto: Bernd Wüstneck, dpa Auf den Intensivst­ationen hat sich die Lage etwas entspannt, sagt Gernot Marx. Aber die Mutationen könnten die Zahlen wieder nach oben treiben.

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