Bin ich zu gut für meinen Job?
Viele sind für ihren Beruf besser ausgebildet, als es nötig wäre. Das kann sich negativ auf Laufbahn und Psyche auswirken. Experten raten, für sich den richtigen Weg herauszufinden. Warum sich ein „schlechter“Job auch lohnen kann
Nürnberg Häufig sind Beschäftigte besser ausgebildet, als es ihre Position verlangen würde. Sie gelten als überqualifiziert, „wenn der individuelle Berufsabschluss höher ist als das Anforderungsniveau der Tätigkeit“. So definiert es Basha Vicari vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg. Aber ist das überhaupt problematisch?
Überqualifikation könne für diejenigen ein Nachteil sein, die unfreiwillig in eine solche Situation geraten, sagt Vicari. Etwa, weil man seinen Job verloren hat, in dem es kaum noch Nachfrage gibt, und einen anderen Job annehmen muss. Für Arbeitnehmer ist es unbefriedigend, sobald sie das Gefühl haben, ihr Potenzial nicht ausschöpfen zu können.
Laut Psychotherapeut Enno Maaß könne es zum Problem werden, wenn die eigenen Erwartungen an einen Job nicht mit der Realität übereinstimmen. Eine Unterforderung könne dazu führen, dass man überfordert ist, sich zu motivieren, sich selbst zu organisieren und seine Arbeit zu erledigen. Je nach Alter und Lebenssituation könne es dann sinnvoll sein, den Job zu wechseln. müsse sich niemand den Druck machen, einen perfekten Job zu finden, oder sich über eine Arbeitszeit von 50 Stunden die Woche definieren, sagt Maaß. Es sei besser, das Konzept des gesamten Lebens zu betrachten. „Das hat viele Facetten und kann Zufriedenheit bringen, auch ohne einen passenden Job.“Dann sei es möglich, dass man sich zwar geistig im Beruf unterfordert fühlt, das aber nicht als schlimm empfindet.
Wer sich bewusst für einen Job entscheidet, der nicht zu 100 Prozent der Ausbildung entspricht, der aber bei guter Bezahlung das eigene Sicherheitsbedürfnis befriedigt, kann laut Enno Maaß dabei sogar glücklicher sein – etwa weil dann mehr Zeit für die Familie oder Privates bleibt.
Denkbar ist auch, dass der Job mit flachen Hierarchien einhergeht und Arbeitnehmer die Möglichkeit haben, sich zu beteiligen. „Dann entstehen unabhängig von der Jobbeschreibung Gestaltungsmöglichkeiten, die die Arbeitszufriedenheit steigern können“, sagt Maaß.
Wer auf dem Papier überqualifiziert ist, denkt womöglich, in Benicht überzeugen zu können, weil man die Anforderungen übertrifft. Schließlich könnte ein potenzieller Arbeitgeber befürchten, dass das Arbeitsverhältnis nicht lange währt, wenn sich die Person bald nach einer „adäquaten“Stelle umschaut.
Basha Vicari rät, bei Bewerbungsgesprächen die eigenen Fähigkeiten in den Vordergrund zu stellen und Aufstiegschancen zu verhandeln. „Eine unterwertige Beschäftigung kann nach einer berufliAndererseits chen Umorientierung eine gute Einstiegschance sein, gerade in kleineren Betrieben.“
Enno Maaß schlägt Bewerbern vor, plausibel darzulegen, warum sie einen Job haben wollen. Etwa, weil es noch private Projekte gibt und die Art des Jobs gut in die Lebensplanung passt. Oder weil man festgestellt hat, dass der eigentlich erlernte Beruf eben nicht der Traumjob ist.
Finanziell muss eine unterqualifizierte Beschäftigung nicht unbewerbungen dingt einen Nachteil bedeuten. Ein fiktives Beispiel: Wer als gelernter Bäcker nun in der Autoindustrie am Fließband arbeitet, übt zwar formal eine Hilfstätigkeit aus, verdient aber trotzdem oft mehr als ein Bäcker – bei besseren Arbeitszeiten. Überqualifizierte haben durchschnittlich höhere Löhne, sagt Vicari. „Wenn ich Fähigkeiten aus meiner eigentlichen Qualifikation, etwa der Ausbildung, auf die neue Stelle übertragen kann, wird das entsprechend entlohnt.“
Aber: Wer lange überqualifiziert beschäftigt ist, sendet an potenzielle Arbeitgeber ein negatives Signal. Das könne über Jahre wie eine Art Stigma wirken, irgendwann werde es schwierig, zurück in eine adäquate Beschäftigung zu finden, sagt Vicari.
Maaß rät in diesem Fall, für sich selbst herauszufinden, woher die persönliche Unzufriedenheit rührt. Darüber hinaus sollte man sich fragen: Welche Stellschrauben gibt es, die verändert werden könnten, ohne den Job zu verlassen? Wer das offen mit seinen Vorgesetzten bespricht, kann der Unzufriedenheit gegensteuern. Bernadette Winter, dpa