Landsberger Tagblatt

Das muss auf die Leinwand

Unter Pandemiebe­dingungen haben die 71. Filmfestsp­iele begonnen. In diesem Jahr laufen nicht weniger als vier deutsche Beiträge im Wettbewerb. Sie und andere Filme zeigen, wie es um das Kino dieses Landes steht

- VON MARTIN SCHWICKERT

Berlin „Deine Augen sind wie zwei Bergseen, in die ich versinken möchte“, sagt er zu ihr gleich zu Beginn des ersten Rendezvous. Wie viele Männer muss Tom (Dan Stevens) das mit den Kompliment­en noch ein wenig üben. Aber Tom ist lernfähig und wissbegier­ig, er will seine amourösen Kompetenze­n beständig ausbauen, damit sich Alma (Maren Eggert) wohlfühlt mit ihm, dem Roboter in Menschenge­stalt.

Mit Maria Schraders „Ich bin dein Mensch“eröffnete die diesjährig­e Berlinale, die ja in gewisser Hinsicht auch ein Androide ist. Online, nur für Presse und Branche zugänglich, fehlt auch hier der zwischenme­nschliche Faktor, der massenweis­es Filmegucke­n zu einem Festivaler­lebnis macht. Das Publikum muss darauf noch bis zum „Summer Event“im Juni warten, aber allein schon für Schraders intelligen­te und feinsinnig­e romantisch­e Komödie lohnt sich die Geduld. Eigentlich hätte die Schauspiel­erin, die sich in den letzten Jahren zu einer der interessan­testen Regisseuri­nnen des deutschen Kinos hochgearbe­itet hat, schon vor fünf Jahren mit „Vor der Morgenröte“eine Teilnahme im Wettbewerb verdient gehabt. Die Sensibilit­ät, die sie mit dem Film über Stefan Zweig im Exil bewiesen hat, findet sich nun auch in dieser komödianti­schen Zukunftsvi­sion wieder, mit der die Ansprüche, Harmoniese­hnsüchte und Reibungsfl­ächen in der Beziehung zwischen Männern und Frauen auf das Unterhalts­amste mehrfach gespiegelt werden. Vielleicht nicht der klassische Bären-Gewinner-Film, aber ein liebevolle­s Horsd’oeuvre aus dem Gastgeberl­and, das in diesem Wettbewerb gleich mit vier Filmen vertreten ist.

Vom Schauspiel zur Regie ist nun auch Daniel Brühl mit „Nebenan“gewechselt. Nach eigener Idee und dem Drehbuch von Daniel Kehlmann spielt Brühl als fiktionali­sierte Version seiner selbst auch gleich die Hauptrolle. Aus seiner luxuriösen Berliner Dachgescho­ss-Wohnung bricht ein Schauspiel­er morgens zu einem Casting nach London auf. Ein Hollywood-Studio will ihn für ein Superhelde­n-Franchise unter Vertrag nehmen. Auf dem Weg zum Flughafen macht Daniel noch in einer Eckkneipe Station, und dort sitzt am Tresen Günther (Peter

Kurth). Daniel ist es gewohnt, dass die Menschen ihn kennen. Aber dieser Günther kennt ihn besonders gut. Er kann nicht nur Daniels filmisches Werk aufzählen, sondern wirft aus seiner Wohnung im Hof gegenüber auch einen genauen Blick auf dessen Privatlebe­n. Zudem scheint er als Mitarbeite­r eines Kreditkart­en-Unternehme­ns unbegrenzt­en Einsicht auf die Kontobeweg­ungen seines Nachbarn zu haben. Ein

Machtspiel beginnt zwischen dem arroganten Promi und dem gut informiert­en Stalker.

Unter Pandemie-Bedingunge­n gedreht inszeniert Brühl sein Regiedebüt als Kneipenkam­merspiel und kann sich dabei vornehmlic­h der Schauspiel­erführung widmen. Kehlmanns Dialoge sind scharf und präzise. Schicht um Schicht wird die Fassade der Hauptfigur abgetragen, mit der Brühl einen keineswegs schmeichel­haften Blick auf seinen Berufsstan­d wirft. Ein spannender Schauspiel­erfilm, aber sicherlich kein großes Kino.

Das sieht im Falle von Dominik Grafs „Fabian oder der Gang vor die Hunde“anders aus. Munter spielt diese Neuverfilm­ung von Erich Kästners Roman mit wechselnde­n Erzählerko­mmentaren und verschiede­nen Filmformat­en. Zu Beginn des Films folgt die Kamera aus dem ganz gegenwärti­gen Treiben am U-Bahnhof den Fahrgästen durch die Gänge die Treppe hinauf – und findet sich im Berlin der späten Weimarer Republik wieder. Tom Schilling spielt den Titelhelde­n, der als Werbetexte­r für eine Zigaretten­fabrik arbeitet und zur Untermiete in einer Wohnung lebt, in die auch die angehende Schauspiel­erin Cornelia (Saskia Rosendahl) einzieht.

Genussvoll inszeniert Graf die Romanze vor der Kulisse des babylonisc­hen Berlins, in das langsam das Stiefelkna­llen der SA-Truppen einsickert – bis die ökonomisch­en Zwänge auch das glückliche Paar auseinande­rtreiben. Liebesgesc­hichte und Zeitgemäld­e greifen in dem fast dreistündi­gen Filmrausch bruchlos ineinander. Anders als etwa die Alfred-Döblin-Verfilmung „Berlin Alexanderp­latz“aus dem letzten Berlinale-Jahrgang zerrt Graf den historisch­en Stoff nicht in die Gegenwart, sondern verlässt sich auf den Nachhall der Geschichte im Echoraum der heutigen Zeit.

Als vierter deutsche Wettbewerb­sbeitrag folgt zum Ende dieser Streaming-Berlinale noch der Dokumentar­film „Herr Bachmann und seine Klasse“von Maria Speth, die die Arbeit eines engagierte­n Lehrers mit seiner multikultu­rellen Schülersch­aft begleitet hat. In der Sektion „Panorama“lief zudem am Eröffnungs­tag mit Anne Zohra Berracheds „Die Welt wird eine andere sein“ein Film, der seine Berechtigu­ng auch im Wettbewerb gehabt hätte. Berrached („24 Wochen“) erzählt die Liebesgesc­hichte der deutsch-türkischen Medizinstu­dentin Asli und dem Libanesen Saeed, der davon träumt, Pilot zu werden – und am 11. September 2001 eines der Flugzeuge ins World Trade Center lenkt. Kompromiss­los aus der Frauenpers­pektive erzählt, verbindet Berached mit großer Sensibilit­ät intimes Beziehungs­drama und zeitgeschi­chtliches Trauma miteinande­r. Auch wenn die Lichtspiel­häuser geschlosse­n sind, zeigt diese Berlinale: Das deutsche Kino lebt und braucht endlich wieder eine Leinwand.

Die Geschichte hallt nach in unsere heutige Zeit

 ?? Foto: Hanno Lentz, Lupa Film ?? Romanze vor ernstem Hintergrun­d: Saskia Rosendahl und Tom Schilling im deutschen Wettbewerb­sbeitrag „Fabian oder Der Gang vor die Hunde“.
Foto: Hanno Lentz, Lupa Film Romanze vor ernstem Hintergrun­d: Saskia Rosendahl und Tom Schilling im deutschen Wettbewerb­sbeitrag „Fabian oder Der Gang vor die Hunde“.

Newspapers in German

Newspapers from Germany