Für die Bühnenmagie gibt es keinen Ersatz
Nach Monaten im Lockdown ist schmerzlich klar, was Streamingangebote nicht erzeugen können: die Wechselwirkungen zwischen Künstler und Publikum
Die Berlinale in Berlin, Deutschlands größtes Filmfestival, versucht gerade einen Spagat: das Publikumsfestival in den Sommer zu retten und Fachleute, Presse und den Wettbewerb digital als Branchentreff zum angestammten Zeitpunkt vorzuziehen. Das Augsburger Brechtfestival hat sich in diesem Jahr komplett ins Netz verlegt. Die vielen Theaterund Opernhäuser des Landes bieten neue digitale Formate, nicht nur, um sich dem Publikum in Erinnerung zu rufen, sondern auch, um ihm künstlerisch etwas anderes als das Fernsehprogramm und neue Streamingserien zu bieten.
Das gelingt auch. Das Brechtfestival zum Beispiel präsentiert in diesem digitalen Festival eine erstaunliche Vielfalt an künstlerischen Beiträgen – ja, ein kreatives Feuerwerk – etwa in Filmbeiträgen,
die mit ganz anderer Ästhetik aufwarten als das abendliche Fernsehprogramm. Das überzeugt schon, kann aber eines nicht ersetzen: Diesen Moment, mit anderen zusammen in einem Saal Künstlern live zuzuschauen.
Auch wenn die digitalen Alternativen noch so gut sind, bleibt etwas auf der Strecke. Zum Beispiel die Verortung: Augsburg als Ort des Brechtfestivals kommt in der Netzvariante nur eine kleinere Nebenrolle zu. Das liegt nicht an den Fähigkeiten der Festivalmacher, sondern in der Natur der Sache, das Festivalthema ist ja Brecht und nicht die Stadt.
Der gemeinsame Ort, an dem Künstler und Zuschauer zusammenkommen, ist nun das Netz. Dort allerdings kann sich nicht diese fast schon magisch zu nennende Wechselwirkung zwischen Künstlern und Zuschauern einstellen, wenn die Künstler oben auf der Bühne gestalten, gleichzeitig aber auch empfangen – die Konzentration, Reaktion und Energie der Menschenmenge vor ihnen.
Dies lässt sich digital nur simulieren. Wer einmal etwas streamt, zu dem nebenher gechattet werden kann, verliert schnell den Glauben an die Kunst. Parallel zu lesen, was den anderen durch die Köpfe rauscht, kann auch etwas Deprimierendes haben. Mal sind es Versuche, selbst geistreich sein zu wollen, während die Künstler im Stream gerade geistreich sind, dann hat es gar nichts mehr mit der Sache selbst zu tun, sondern mit einem misslungenen Abendessen. Da bestätigt die Netzkommunikation das Vorurteil, das sie von Anbeginn begleitet: der gesteigerten Oberflächlichkeit.
Noch kann man nicht sagen, welche langfristigen Folgen die Pandemie auf das Verhalten haben wird. Werden Abstandsregeln als neuer Wohlfühlraum künftig weiter verlangt? Müssen Theater etwas dauerhaft an der Bestuhlung verändern,
Open-Air-Veranstalter ihre Konzepte überdenken? Vielleicht. Wahrscheinlicher aber ist das andere, das ja schon im Sommer zu beobachten war, nämlich dass die Sehnsucht nach Kontakt und Kontakten überwiegt.
Sicher werden einige neue Netzformate den Lockdown überleben. Das Augsburger Staatstheater hat bereits eine digitale Sparte geschaffen, die es weiter ausbauen will. Sobald aber in den Konzert-, Theater- und Opernhäusern wieder gespielt werden kann, wird das Publikum zurückkommen. Künstler und die Kunst live zu erleben, ist etwas grundsätzlich anderes als deren digitale Vermittlung.
Wo die Pandemie eine Entwicklung beschleunigen wird, ist in der Kinobranche. Dort zeichnet sich ab, dass die großen Studios mit ihren Stoffen stark in den Streamingmarkt drängen. Das wird vor allem die großen Multiplexbetreiber, die durch die Pandemie wie die anderen Kinobetreiber auch ohnehin hart getroffen worden sind, unter zusätzlichen Druck setzen und kann zu Konkursen führen.
Die Kino-Branche ist unter großen Druck gesetzt