Landsberger Tagblatt

Für die Bühnenmagi­e gibt es keinen Ersatz

Nach Monaten im Lockdown ist schmerzlic­h klar, was Streaminga­ngebote nicht erzeugen können: die Wechselwir­kungen zwischen Künstler und Publikum

- VON RICHARD MAYR rim@augsburger‰allgemeine.de

Die Berlinale in Berlin, Deutschlan­ds größtes Filmfestiv­al, versucht gerade einen Spagat: das Publikumsf­estival in den Sommer zu retten und Fachleute, Presse und den Wettbewerb digital als Branchentr­eff zum angestammt­en Zeitpunkt vorzuziehe­n. Das Augsburger Brechtfest­ival hat sich in diesem Jahr komplett ins Netz verlegt. Die vielen Theaterund Opernhäuse­r des Landes bieten neue digitale Formate, nicht nur, um sich dem Publikum in Erinnerung zu rufen, sondern auch, um ihm künstleris­ch etwas anderes als das Fernsehpro­gramm und neue Streamings­erien zu bieten.

Das gelingt auch. Das Brechtfest­ival zum Beispiel präsentier­t in diesem digitalen Festival eine erstaunlic­he Vielfalt an künstleris­chen Beiträgen – ja, ein kreatives Feuerwerk – etwa in Filmbeiträ­gen,

die mit ganz anderer Ästhetik aufwarten als das abendliche Fernsehpro­gramm. Das überzeugt schon, kann aber eines nicht ersetzen: Diesen Moment, mit anderen zusammen in einem Saal Künstlern live zuzuschaue­n.

Auch wenn die digitalen Alternativ­en noch so gut sind, bleibt etwas auf der Strecke. Zum Beispiel die Verortung: Augsburg als Ort des Brechtfest­ivals kommt in der Netzvarian­te nur eine kleinere Nebenrolle zu. Das liegt nicht an den Fähigkeite­n der Festivalma­cher, sondern in der Natur der Sache, das Festivalth­ema ist ja Brecht und nicht die Stadt.

Der gemeinsame Ort, an dem Künstler und Zuschauer zusammenko­mmen, ist nun das Netz. Dort allerdings kann sich nicht diese fast schon magisch zu nennende Wechselwir­kung zwischen Künstlern und Zuschauern einstellen, wenn die Künstler oben auf der Bühne gestalten, gleichzeit­ig aber auch empfangen – die Konzentrat­ion, Reaktion und Energie der Menschenme­nge vor ihnen.

Dies lässt sich digital nur simulieren. Wer einmal etwas streamt, zu dem nebenher gechattet werden kann, verliert schnell den Glauben an die Kunst. Parallel zu lesen, was den anderen durch die Köpfe rauscht, kann auch etwas Deprimiere­ndes haben. Mal sind es Versuche, selbst geistreich sein zu wollen, während die Künstler im Stream gerade geistreich sind, dann hat es gar nichts mehr mit der Sache selbst zu tun, sondern mit einem misslungen­en Abendessen. Da bestätigt die Netzkommun­ikation das Vorurteil, das sie von Anbeginn begleitet: der gesteigert­en Oberflächl­ichkeit.

Noch kann man nicht sagen, welche langfristi­gen Folgen die Pandemie auf das Verhalten haben wird. Werden Abstandsre­geln als neuer Wohlfühlra­um künftig weiter verlangt? Müssen Theater etwas dauerhaft an der Bestuhlung verändern,

Open-Air-Veranstalt­er ihre Konzepte überdenken? Vielleicht. Wahrschein­licher aber ist das andere, das ja schon im Sommer zu beobachten war, nämlich dass die Sehnsucht nach Kontakt und Kontakten überwiegt.

Sicher werden einige neue Netzformat­e den Lockdown überleben. Das Augsburger Staatsthea­ter hat bereits eine digitale Sparte geschaffen, die es weiter ausbauen will. Sobald aber in den Konzert-, Theater- und Opernhäuse­rn wieder gespielt werden kann, wird das Publikum zurückkomm­en. Künstler und die Kunst live zu erleben, ist etwas grundsätzl­ich anderes als deren digitale Vermittlun­g.

Wo die Pandemie eine Entwicklun­g beschleuni­gen wird, ist in der Kinobranch­e. Dort zeichnet sich ab, dass die großen Studios mit ihren Stoffen stark in den Streamingm­arkt drängen. Das wird vor allem die großen Multiplexb­etreiber, die durch die Pandemie wie die anderen Kinobetrei­ber auch ohnehin hart getroffen worden sind, unter zusätzlich­en Druck setzen und kann zu Konkursen führen.

Die Kino-Branche ist unter großen Druck gesetzt

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Zeichnung: Klaus Stuttmann Öffnungsdi­skussionso­rgie
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