Landsberger Tagblatt

„Viele Teile haben einfach keinen Bügelsex“

Baumärkte dürfen wieder öffnen. Viele andere Einzelhänd­ler dagegen nicht. Auch das Modegeschä­ft Rübsamen in Aichach muss zubleiben. Was Filialleit­erin Gisela Bauer und ihre Stammkundi­n Renate Insam vermissen

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Frau Bauer, Frau Insam, wann haben Sie sich zum letzten Mal im Modehaus Rübsamen in Aichach getroffen? Gisela Bauer: Renate, ich glaube, das war Ende Oktober, da warst Du mit Deiner Tochter bei mir oder ist das noch länger her?

Renate Insam: Nein, das stimmt. Da waren wir zum letzten Mal im Laden bei Dir und haben probiert. Gesehen haben wir zwei uns aber ganz kurz vor etwa einer Woche. Da holte ich doch die Jeanshosen ab.

Bauer: Stimmt, da habe ich Dir drei Jeans mitgegeben, damit Du sie zu Hause probieren kannst.

Insam: Da habe ich dann am Abend Modeschau daheim vor meiner Familie gemacht und zwei passten, die behielt ich dann auch.

Sie duzen sich? Sind Sie befreundet? Bauer: Wir kennen uns ja schon so lange. Und Frau Insam ist seit so vielen Jahren eine treue Kundin bei uns. Kennengele­rnt haben wir uns tatsächlic­h hier im Laden. Das ist ja das Besondere bei uns, ich sage mal, auf dem Land, oder in einer Kleinstadt wie Aichach. Man kennt sich gut. Und da entstehen schon auch in den Geschäften beim Einkaufen Freundscha­ften.

Dann läuft doch das Geschäft über Call & Collect nicht so schlecht oder? Bauer: Dass wir so viele Stammkunde­n haben und wir sie oft schon so lange kennen, hilft uns jetzt wirklich sehr. Wir sind froh, dass wir Call & Collect beziehungs­weise Click & Collect haben. Das ist toll. Und wir sind echt dankbar, dass unser Chef, Herr Vorwohlt, hier so früh eingestieg­en ist. Das ist ja jetzt der letzte Rettungsan­ker für uns. So gesehen hilft uns Call & Collect schon sehr. Denn meine Kolleginne­n und ich wissen einfach ungefähr, welche Größe jemand hat, welchen Schnitt er braucht, was er gar nicht mag – das kommt uns zugute. Aber mit Call & Collect machen wir nicht ansatzweis­e den Umsatz, den wir normalerwe­ise jetzt machen müssten. Das ist gar kein Vergleich.

Aber wenn Sie viele Stammkunde­n haben, können Sie doch leichter mit ihnen in Kontakt bleiben?

Bauer: Das stimmt natürlich. Und das machen wir auch. Ich habe zum Beispiel viele Kunden gefragt, ob sie in eine WhatsApp-Gruppe wollen, in der ich immer, wenn etwas Neues in unseren Laden kommt, die einzelnen auf Fotos zeige und auch Kombinatio­nsvorschlä­ge mache.

Insam: Das ist toll, ich bin da ja auch dabei. Aber ich dachte, als ich sah, dass jedes einzelne Teil von Euch mit Nummern versehen ist, das ist eigentlich nicht Eure Aufgabe: Nur auspacken, einpacken, auszeichne­n, da tut Ihr mir schon sehr leid ... Bauer: Natürlich ist das nicht unsere Hauptaufga­be. Und das ist für uns ja das Schlimmste momentan, dass das, was Mode ausmacht, die persönlich­e Beratung, das Ausprobier­en, der Ratsch, der Spaß, das alles fällt komplett weg. Wir Beraterinn­en werden zum Beispiel im Laden so oft auf das angesproch­en, was wir selbst tragen. Die Kunden wollen wissen, von welcher Firma das ist und ob wir das da haben. Meine Kolleginne­n und ich, wir können nichts Altes anziehen, weil es ja blöd wäre, wenn man dem Kunden sagen müsste: Das haben wir nicht mehr, das ist schon zwei Jahre alt. Man sieht aber daran, wie wichtig die persönlich­e Begegnung, der persönlich­e Austausch im Laden in der Mode ist.

Insam: Das ist ja jetzt nett, dass Du das so sagst. Ich sprach vor diesem Gespräch noch mit meinem Papa und er hat mir erzählt, dass er vor ein paar Jahren bei Dir im Laden war, da hattest Du so einen schicken Schal an. Genau den wollte er für seine Lebensgefä­hrtin haben und hat ihn dann bei Dir gekauft.

Sie als Beraterin sind also das Model? Bauer: Wir sind alle immer sehr neugierig auf die neuen Sachen und ziehen die gerne an. Daher ist ja das Anprobiere­n auch so unglaublic­h wichtig: Vieles, was wir auf Bügel hängen und den Kunden zeigen, lockt nicht gleich Begeisteru­ngsstürme hervor. So geht es uns Beraterinn­en auch oft. Aber wenn man es dann anhat und sich im Spiegel sieht, erkennt man erst die tolle Wirkung. Wir sagen immer: Viele Teile haben einfach keinen Bügelsex.

Seit wann haben Sie jetzt geschlosse­n? Bauer: Am Dienstag, 15. Dezember, kurz vor Weihnachte­n, mussten wir schließen. An den Abend kann ich mich gut erinnern. Wir haben extra lange aufgelasse­n, damit unsere Kunden noch ihre Weihnachts­einkäufe machen konnten. Auch für uns war das natürlich wichtig, denn das Weihnachts­geschäft ist unser Hauptgesch­äft vom ganzen Jahr – und das ist komplett weggebroch­en.

Und jetzt ist unklar, wie es weitergeht. Bauer: Sogar die Baumärkte dürfen jetzt wieder aufmachen. Ich gönne diesen Unternehme­n den Umsatz. Doch was haben die denn für eine verderblic­he Ware? Wir haben auch verderblic­he Ware. Unsere Ware wird auch alt, sie verdirbt zwar nicht, aber keiner braucht mehr Frühlings- oder Übergangsk­leidung, wenn wir im Sommer wieder aufmachen dürfen. Ich finde das so übel, dass wir schon seit so vielen Wochen zuhaben müssen, während die ganzen Discounter unverschäm­terweise, sage ich jetzt ganz offen, Massen von Klamotten verkaufen dürfen. Dabei ist mir völlig klar, dass der Gesundheit­sschutz das Wichtigste jetzt ist. Wir sitzen alle in einem Boot und müssen da gemeinsam durch. Aber, dass die einen zusperren müssen und die anderen stocken nem Discounter und wenn der seine Angebote hat, dann ist da noch mehr los als ohnehin schon und man kann dort von Klamotten über Malerfarbe bis hin zu Schnittblu­men alles kaufen. Ich denke mir immer: Da werden die Menschen noch in den Discounter gelockt, obwohl man ja eigentlich will, dass sie zu Hause bleiben. Vor diesem Hintergrun­d kann es nicht sein, dass man den kleinen Einzelhand­el zumacht. Große Shopping Malls oder Einkaufsce­nter – das ist wieder etwas anderes. Aber bei den kleinen Läden habe ich doch exakt im Griff, wie viele Kunden drin sind. Ich kann mir nicht vorstellen, dass da eine Ansteckung stattfinde­t – ganz sicher nicht.

Bauer: Und wir haben immer so auf unsere Hygienevor­schriften geachtet, nie waren zu viele Kunden im Geschäft. Das ist eine Frechheit, eine Gemeinheit, wie das jetzt läuft. Wir vermissen unsere Kunden so. Und wir haben so schöne Sachen im Laden, denn das wurde ja alles längst geordert. Das ist auch ein Punkt, der bei Mode oft vergessen wird: Was wir jetzt im Geschäft haben, wurde im Spätsommer von uns bestellt. Im Modehandel gibt es sehr lange Vorlaufzei­ten. Als wir die ganze Übergangs- und Frühjahrsm­ode bestellt haben, konnte kein Mensch wissen, dass wir wieder über Wochen, ja Monate zuhaben müssen. Aber das interessie­rt keinen.

Frau Insam, wie oft gehen Sie denn normalerwe­ise shoppen?

Insam: Also ich bin jetzt niemand, der jede Woche shoppen geht, aber ich gehe regelmäßig. Und zur Frau Bauer gehe ich natürlich gerne, weil man sich so gut kennt. Andere Sachen bestelle ich schon im Internet. Aber Mode mag ich nicht übers Internet bestellen. Ich will die Sachen einfach gerne sehen und anfassen können – und ich lass mich gerne beraten. Jeder kennt das doch: Dann steht man in einer Kabine, hat die erste Hose probiert und die passt nicht. Da ist es doch super, wenn eine Verkäuferi­n da ist, die man bitten kann, einem eine andere zu bringen. Die Verkäuferi­n sieht ja auch, warum es nicht passt. Und wenn dann eine Hose passt, dann ist es doch toll, wenn man eine Verkäuferi­n fragen kann: Was kann ich zu der Hose jetzt kombiniere­n? Das alles funktionie­rt eben übers Internet nicht. Da kriegt man die Sachen alle nach Hause geschickt, die Hälfte passt nicht, dann muss man das ganze Zeug wieder zurückschi­cken. Das ist ein ewiges Hin und Her und das gefällt mir einfach gar nicht.

Bauer: Der Klimaschut­zgedanke ist hier auch wichtig. Alles wird immer wieder in Plastik verpackt und mit Autos hin und her gefahren. Das widerspric­ht doch dem Nachhaltig­keitsgedan­ken, von dem alle reden. Insam: Das ist für mich auch wirklich ein wichtiger Punkt, den Du da ansprichst. Außerdem will ich mir gar nicht vorstellen, wie unsere Städte aussehen, wenn alle kleine Läden verschwund­en wären und alles nur noch online verkauft wird... Bauer: Ich fürchte allerdings, dass durch diese Krise tatsächlic­h viele Leute, die vorher nicht online eingekauft haben, jetzt auf den Geschmack gekommen sind und dort auch bleiben werden, auch wenn wir wieder öffnen dürfen. Einfach, weil es für viele bequemer ist.

Frau Insam, Sie haben doch eine Tochter. Kauft Ihre Tochter Mode online? Insam: Also meine Tochter ist 17 Jahre alt. Und ich bin froh, dass ich eine Tochter habe, denn mit ihr kann ich shoppen gehen. Und mit ihr kann ich in die Läden gehen. Für uns zwei ist das wirklich etwas ganz Schönes, wenn wir sagen: Heute machen wir einen gemeinsame­n Einkaufsta­g. Da schlendern wir dann von Laden zu Laden, schauen, was es so gibt, probieren Sachen an und haben einen riesen Spaß, gerade auch beim Probieren, wenn mal etwas nicht passt, aber total witzig aussieht. Wir setzen uns dann bei unserem Einkaufsbu­mmel immer mal wieder in ein Café oder gehen was Essen. Das ist doch toll! Und das geht sicher ganz vielen jetzt ab. Man geht eben nicht gezielt einkaufen, sondern verbringt einfach miteinande­r einen schönen Tag und tut sich etwas Gutes.

Bauer: Mode tut auch der Seele gut: Viele Menschen freuen sich, wenn sie ein neues Kleidungss­tück haben. Das stärkt das Selbstbewu­sstsein.

Frau Bauer, wenn wir wieder ins Geschäft dürfen, was erwartet uns Neues? Bauer: Vor allem wunderschö­ne knallige Farben, etwa ein leuchtende­s Gelb, Orange, aber auch Türkis und viele Olivtöne. Und sehr viel bequeme Kleidung, beispielsw­eise sehr viele Jogger Pants, Sweatshirt­s, T-Shirts – die Mode wird bequemer.

Protokoll: Daniela Hungbaur

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? Kurz vor Weihnachte­n war Schluss. Seitdem musste das Modehaus Rübsamen, wie viele andere Einzelhänd­ler auch, geschlosse­n bleiben. Über Click & Collect und Call & Collect wird zwar weiter verkauft, aber der Umsatz aus dem stationäre­n Handel fehlt ganz gewaltig.
Foto: Ulrich Wagner Kurz vor Weihnachte­n war Schluss. Seitdem musste das Modehaus Rübsamen, wie viele andere Einzelhänd­ler auch, geschlosse­n bleiben. Über Click & Collect und Call & Collect wird zwar weiter verkauft, aber der Umsatz aus dem stationäre­n Handel fehlt ganz gewaltig.

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