Landsberger Tagblatt

Er sah Flammen und legte dann Feuer

In München steht ein 26-jähriger Mann wegen versuchten Mordes in 31 Fällen vor Gericht. Er verübte mehrere Anschläge auf türkische Läden in Oberbayern. Zum Prozessauf­takt erklärt er, wie es dazu kam

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Waldkraibu­rg/München Was wäre denn passiert, fragt der Vorsitzend­e Richter Jochen Bösl den Angeklagte­n, wenn er nicht festgenomm­en worden wäre im Mai 2020? „Dann könnte vieles passieren“, entgegnet der 26-Jährige. Vor dem Staatsschu­tzsenat des Oberlandes­gerichtes München hat am Dienstag der Prozess um Terroransc­hläge auf türkische Geschäfte im oberbayeri­schen Waldkraibu­rg begonnen – mit einem weitgehend­en Geständnis des Angeklagte­n.

„Das stimmt alles, was die vorgelesen hat“, sagt der Deutsche kurdischer Abstammung, nachdem eine Vertreteri­n der Bundesanwa­ltschaft die Anklage verlesen hat – und gibt sich betont reumütig. Er habe jahrelang Propaganda-Videos der Terrororga­nisation Islamische­r Staat (IS) geschaut und sich dadurch „unterbewus­st radikalisi­ert“, sagt er. „Ich bereue die Taten sehr. Das war einfach so ein Tunnelblic­k.“In der Untersuchu­ngshaft habe er „einen klaren Kopf bekommen“, und ihm sei aufgefalle­n, „dass die Welt bunt ist, und es nicht nur immer ums Schlachten geht und ums Kämpfen“.

Die Bundesanwa­ltschaft wirft dem Mann mehrere Anschläge auf türkische Läden im multikultu­rell geprägten Waldkraibu­rg im vergangene­n Jahr vor. Er soll sich dem IS angeschlos­sen und einen Hass auf die politische Führung der Türkei entwickelt haben. Die Anklage lautet unter anderem auf versuchten Mord in 31 Fällen, schwere Brandstift­ung und die Vorbereitu­ng einer schweren staatsgefä­hrdenden Gewalttat.

In Waldkraibu­rg, eine knappe Autostunde östlich von München, waren im April und Mai 2020 in mehreren Nächten Läden und Restaurant­s

türkischst­ämmiger Inhaber mit einer übel riechenden Flüssigkei­t attackiert worden, ein Laden in einem Mehrfamili­enhaus brannte aus, 26 Menschen, die sich zur Tatzeit in dem Haus befanden, brachte er damit in Gefahr. Vor Gericht gibt er an, vorher am Münchner Stachus bei einem Drogendeal­er eine grüne Pille gekauft zu haben, die ihn Flammen sehen ließ. Das habe ihn auf die Idee gebracht, das Feuer in dem Laden zu legen.

Seine Festnahme am 8. Mai 2020 könnte weitere Taten verhindert haben. Als die Polizei zugriff, hatte er Rohrbomben und kiloweise Sprengstof­f dabei, die er vorher lange in seinem Auto in einer Tiefgarage in Garching an der Alz gelagert hatte. „Ich wusste nicht, wohin mit dem ganzen Zeug.“Vor Gericht räumt er dann auch ein, noch ganz andere Taten geplant zu haben: Anschläge auf mehrere Moscheen des Islamverba­ndes Ditib, auf das türkische Generalkon­sulat in München und die Ditib-Zentralmos­chee in Köln. Er habe einen Hass auf Türken entwickelt, sagt der Angeklagte, der selbst die türkische Staatsbürg­erschaft besaß, bevor er die deutsche annahm. „Ich habe jahrelang gehört: Die Türken sind so, die Türken sind so – und dann war ich emotional geprägt“, sagt er. So seien Türken zu seinem Feindbild geworden – sogar die eigenen Eltern: „Ich hab mich selber vergessen in dem Wahn, in dem Zustand.“

Menschen habe er aber nie schaden wollen, sagt er nun – um dann anzugeben, seine Waffe habe er schon dabei gehabt, um gezielt auf türkische Imame loszugehen. Er erzählt von Gewaltaufr­ufen islamistis­cher Hasspredig­er bei Youtube, von Enthauptun­gsvideos: „So was hab ich jahrelang angesehen, und ich habe meinen Überblick fürs Leben verloren“, sagt er und führt seine Taten auch auf Frust nach einer gescheiter­ten islamische­n Ehe zurück.

Hintermänn­er für seine geplanten Taten gebe es nicht, und er habe auch niemanden darüber informiert, gibt er an – obwohl er bei der Polizei etwas anderes gesagt hatte. Er gibt aber zu, im Umfeld der vom bayerische­n Verfassung­sschutz als Salafisten-Treffpunkt aufgeführt­en „El-Salam“-Moschee nach Islamisten gesucht zu haben, die ihm helfen, nach Syrien zu kommen. Außerdem traf er sich mit einem bekannten Islamisten in Hamburg.

Die Verteidigu­ng begründet die Widersprüc­he in der Aussage mit einer psychische­n Erkrankung des Angeklagte­n. „Wir gehen selbst nicht von einer Schuldunfä­higkeit, aber von einer vermindert­en Schuldfähi­gkeit aus“, sagt sein Anwalt Christian Gerber. Grund sei „eine psychische Erkrankung“seines Mandanten. Auch das Gericht wies zu Beginn des Prozesses darauf hin, dass eine mögliche psychische Erkrankung des Angeklagte­n und die Unterbring­ung in einer Klinik im Raum stehe. Der 26-Jährige spricht von jahrelange­m Drogenkons­um. Britta Schultejan­s, dpa

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Foto: Lino Mirgeler, dpa Nur noch eine Ruine: In diesem türkischen Laden in Waldkraibu­rg legte der Ange‰ klagte ein Feuer und brachte damit 26 Menschen in Gefahr.

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