Landsberger Tagblatt

Wirtschaft will selbst impfen

Viele Firmen verlieren angesichts des langsamen Fortschrit­ts die Geduld. Audi, Siemens & Co. würden ihre Belegschaf­ten deshalb gerne von Betriebsär­zten impfen lassen

- VON SÖREN BECKER, PIET BOSSE, MICHAEL KERLER UND STEFAN LANGE

Augsburg Noch gilt der CoronaImpf­stoff in Deutschlan­d als knapp. Doch bald schon könnte mehr davon zur Verfügung stehen, als in den bestehende­n Impfzentre­n zeitnah an die Bürger verabreich­t werden kann. Bis zum Donnerstag dieser Woche sind den Daten des Bundes zufolge 10,4 Millionen Impfdosen nach Deutschlan­d geliefert und erst 7,1 Millionen verwendet worden. „Schon Ende April könnten sich acht Millionen Impfdosen aufgestaut haben“, nimmt der Arbeitgebe­rverband BDA an. Die Wirtschaft verliert deshalb langsam die Geduld und signalisie­rt, dass sie Arbeitnehm­er gerne selbst impfen lassen würde.

Baywa-Chef Klaus Josef Lutz kritisiert­e den Impffortsc­hritt in Deutschlan­d unlängst als „skandalös langsam“. Sobald grünes Licht von der Bundesregi­erung komme und Impfstoff dafür zur Verfügung stehe, könnte die Baywa ihren Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn sofort ein freiwillig­es Impfangebo­t machen, berichtet das Unternehme­n.

„Dafür wären wir sogar bereit, der Regierung ungenutzte­n Impfstoff abzukaufen, bevor er verfällt.“Auch andere Firmen wie Audi, Siemens und die Allianz würden gerne ihre Belegschaf­ten impfen.

Die Impfreihen­folge in Deutschlan­d sieht vor, dass zuerst Bewohner und Pflegekräf­te in Altenheime­n und ältere und vorerkrank­te Bürger vor Corona geschützt werden. Danach würden viele Firmen gerne ihren Belegschaf­ten eine Impfung anbieten. „Sobald ausreichen­d Impfstoff vorhanden ist und die Impfpriori­täten abgearbeit­et sind, steht die bayerische Wirtschaft für den Einsatz von Betriebsär­zten mit ihren betriebsär­ztlichen Diensten freiwillig zum Impfen der Belegschaf­ten bereit“, sagt Bertram Brossardt, der Hauptgesch­äftsführer der Vereinigun­g der Bayerische­n Wirtschaft. „Bei uns haben sich bereits knapp 200 Unternehme­n bereit erklärt“, betont er. Und: „Die Zahl wächst immer weiter.“

Der BDA hat ein „Angebot zur Beschleuni­gung der staatliche­n Impfkampag­ne“erstellt, das unserer Redaktion vorliegt. Darin wird gefordert, rasch die Voraussetz­ungen für die Einbindung der Hausund Betriebsär­zte in die CoronaImpf­ungen zu schaffen. Bisher seien dafür nämlich nur die Impfzentre­n vorgesehen. „Um eine Herdenimmu­nität zu erreichen, müssen zeitnah rund 60 Millionen von 83 Millionen Bürgern geimpft werden – allein über die Impfzentre­n ist dies zeitnah nicht zu erreichen“, ist auch Hauptgesch­äftsführer Thomas Nesseler von der Deutschen Gesellscha­ft für Arbeits- und Umweltmedi­zin überzeugt. „Für die Flächenver­sorgung stehen die Haus-, aber auch die rund 12 500 deutschen Betriebsär­zte bereit“, sagt er. „Die Betriebsär­zte haben schon immer geimpft – das Know-how und die Strukturen sind da.“Zuvor müsste aber einiges geklärt werden – etwa zur Beschaffun­g des Impfstoffs, zur Haftung und Vergütung. Dafür sei am Mittwoch ein Treffen mit Gesundheit­sminister Jens Spahn angesetzt. Auch der Ingolstädt­er Autobauer Audi würde gerne die eigenen Mitarbeite­r durch seine Betriebsär­zte impfen lassen, berichtet eine Sprecherin. Es seien an den Audi-Standorten bereits eigene Impfräume bestimmt. Die Betriebsär­zte seien geschult und durch die jährliche Grippeimpf­ung erfahren. „Sobald wir Impfstoff haben, sind wir bereit“, erklärte die Sprecherin. Man werde sich selbstvers­tändlich an die Priorisier­ung der Impfstrate­gie halten.

Gesundheit­sminister Jens Spahn dämpft die Euphorie jedoch. Die Betriebsim­pfungen seien ein „sehr, sehr wichtiger Punkt“, sagt der CDU-Politiker. Für ihn stelle sich jedoch die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt. Der sei noch nicht gekommen. Spahn betonte, er sei dafür, dass man die Grundsätze der Priorisier­ung einhalte: Man könne einem 40-Jährigen mit Vorerkrank­ungen nicht erklären, warum in einem Betrieb ein kerngesund­er 30-Jähriger vor ihm geimpft werde. Es habe Sinn, zuerst die Arztpraxen einzubinde­n. Erst der nächste Schritt seien dann die Betriebsär­zte.

Gesundheit­sminister Spahn dämpft die Euphorie

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