Wirtschaft will selbst impfen
Viele Firmen verlieren angesichts des langsamen Fortschritts die Geduld. Audi, Siemens & Co. würden ihre Belegschaften deshalb gerne von Betriebsärzten impfen lassen
Augsburg Noch gilt der CoronaImpfstoff in Deutschland als knapp. Doch bald schon könnte mehr davon zur Verfügung stehen, als in den bestehenden Impfzentren zeitnah an die Bürger verabreicht werden kann. Bis zum Donnerstag dieser Woche sind den Daten des Bundes zufolge 10,4 Millionen Impfdosen nach Deutschland geliefert und erst 7,1 Millionen verwendet worden. „Schon Ende April könnten sich acht Millionen Impfdosen aufgestaut haben“, nimmt der Arbeitgeberverband BDA an. Die Wirtschaft verliert deshalb langsam die Geduld und signalisiert, dass sie Arbeitnehmer gerne selbst impfen lassen würde.
Baywa-Chef Klaus Josef Lutz kritisierte den Impffortschritt in Deutschland unlängst als „skandalös langsam“. Sobald grünes Licht von der Bundesregierung komme und Impfstoff dafür zur Verfügung stehe, könnte die Baywa ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sofort ein freiwilliges Impfangebot machen, berichtet das Unternehmen.
„Dafür wären wir sogar bereit, der Regierung ungenutzten Impfstoff abzukaufen, bevor er verfällt.“Auch andere Firmen wie Audi, Siemens und die Allianz würden gerne ihre Belegschaften impfen.
Die Impfreihenfolge in Deutschland sieht vor, dass zuerst Bewohner und Pflegekräfte in Altenheimen und ältere und vorerkrankte Bürger vor Corona geschützt werden. Danach würden viele Firmen gerne ihren Belegschaften eine Impfung anbieten. „Sobald ausreichend Impfstoff vorhanden ist und die Impfprioritäten abgearbeitet sind, steht die bayerische Wirtschaft für den Einsatz von Betriebsärzten mit ihren betriebsärztlichen Diensten freiwillig zum Impfen der Belegschaften bereit“, sagt Bertram Brossardt, der Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft. „Bei uns haben sich bereits knapp 200 Unternehmen bereit erklärt“, betont er. Und: „Die Zahl wächst immer weiter.“
Der BDA hat ein „Angebot zur Beschleunigung der staatlichen Impfkampagne“erstellt, das unserer Redaktion vorliegt. Darin wird gefordert, rasch die Voraussetzungen für die Einbindung der Hausund Betriebsärzte in die CoronaImpfungen zu schaffen. Bisher seien dafür nämlich nur die Impfzentren vorgesehen. „Um eine Herdenimmunität zu erreichen, müssen zeitnah rund 60 Millionen von 83 Millionen Bürgern geimpft werden – allein über die Impfzentren ist dies zeitnah nicht zu erreichen“, ist auch Hauptgeschäftsführer Thomas Nesseler von der Deutschen Gesellschaft für Arbeits- und Umweltmedizin überzeugt. „Für die Flächenversorgung stehen die Haus-, aber auch die rund 12 500 deutschen Betriebsärzte bereit“, sagt er. „Die Betriebsärzte haben schon immer geimpft – das Know-how und die Strukturen sind da.“Zuvor müsste aber einiges geklärt werden – etwa zur Beschaffung des Impfstoffs, zur Haftung und Vergütung. Dafür sei am Mittwoch ein Treffen mit Gesundheitsminister Jens Spahn angesetzt. Auch der Ingolstädter Autobauer Audi würde gerne die eigenen Mitarbeiter durch seine Betriebsärzte impfen lassen, berichtet eine Sprecherin. Es seien an den Audi-Standorten bereits eigene Impfräume bestimmt. Die Betriebsärzte seien geschult und durch die jährliche Grippeimpfung erfahren. „Sobald wir Impfstoff haben, sind wir bereit“, erklärte die Sprecherin. Man werde sich selbstverständlich an die Priorisierung der Impfstrategie halten.
Gesundheitsminister Jens Spahn dämpft die Euphorie jedoch. Die Betriebsimpfungen seien ein „sehr, sehr wichtiger Punkt“, sagt der CDU-Politiker. Für ihn stelle sich jedoch die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt. Der sei noch nicht gekommen. Spahn betonte, er sei dafür, dass man die Grundsätze der Priorisierung einhalte: Man könne einem 40-Jährigen mit Vorerkrankungen nicht erklären, warum in einem Betrieb ein kerngesunder 30-Jähriger vor ihm geimpft werde. Es habe Sinn, zuerst die Arztpraxen einzubinden. Erst der nächste Schritt seien dann die Betriebsärzte.
Gesundheitsminister Spahn dämpft die Euphorie