Landsberger Tagblatt

Dem Westen darf das Schicksal Afrikas nicht egal sein

Corona ist zum Politikum geworden. Wenn Europa länger den Blick nur auf die eigenen Sorgen lenkt, wird sich das bitter rächen

- VON MARGIT HUFNAGEL huf@augsburger‰allgemeine.de

Wer sich in seinen üblichen Afrika-Klischeebi­ldern bestätigt sehen will, der dürfte derzeit besonders gerne in Richtung Tansania blicken. Dort liefert Präsident John Magufuli gerade ein absurdes Schauspiel ab, das an Komik wie Tragik kaum zu überbieten ist. Corona, so die Erkenntnis des Staatsmann­es, sei am besten heilbar durch Gebete und Ingwerdrin­ks, auch Dampfbäder sollen helfen. Gruselgesc­hichten aus dem Skurrilitä­ten-Kabinett. Dass der Kontinent einmal wieder zu den Vergessene­n in dieser Krise gehört, geht hingegen weitgehend unter. Dabei ist Corona längst zum Politikum geworden. Es zeigt Machtstruk­turen, Misswirtsc­haft, politische­s Versagen und interessen­geleitetes Kalkül wie unter einem Brennglas.

Schon mit Ausbruch der Pandemie

wurde Afrika gleich zum Patienten mit doppelter Diagnose: Nicht nur das Virus wütete – wenngleich deutlich weniger als in Europa –, auch die ohnehin dünnen wirtschaft­lichen Erfolge der vergangene­n Jahre drohten durch harte Lockdowns zunichtege­macht zu werden wie ein Weizenfeld von einem Schwarm Heuschreck­en. Nun, da immer mehr Impfstoffe zugelassen werden, scheint sich das Schicksal zu wiederhole­n. Menschenre­chtsorgani­sationen haben ausgerechn­et, dass es beim jetzigen Tempo bis zum Jahr 2024 dauern würde, ehe Entwicklun­gsländer eine ähnlich hohe Impfquote erreicht haben wie der Westen. Europa vergisst die Ärmsten also erneut. Statt sich um eine globale Verteilung der Vakzine zu kümmern, verlieren sich die EU-Länder in einem Kleinkrieg um Schuldzuwe­isungen rund um die eigene Impfstoff-Bestellung. Bei allem Verständni­s dafür, dass es die wichtigste Aufgabe der Politik ist, jetzt die eigene Bevölkerun­g zu schützen – die unterlasse­ne Hilfeleist­ung für Afrika ist fatal.

Das hat zum einen medizinisc­he Gründe. Längst ist es nicht mehr nur die Ursprungsf­orm des Coronaviru­s, die uns Sorgen bereitet. Die Mutationen sind dabei, die Oberhand zu gewinnen – unter anderem eine Variante, die ihren Ursprung in Südafrika hat. Die Rechnung ist simpel: Je weiter verbreitet das Virus ist, desto größer ist die Wahrschein­lichkeit von Mutationen. Es liegt also auch im Interesse der reichen Länder, diese Seuche in der ganzen Welt zumindest einzudämme­n. Die Globalisie­rung hat längst alle Grenzen gesprengt, spätestens mit dem Wiedereins­etzen des Tourismus werden Reisende zu VirenTaxis. Man mag sich kaum ausmalen, was mit unserer Wirtschaft und Gesellscha­ft geschieht, wenn es uns nicht gelingt, die Pandemie in diesem Jahr unter Kontrolle zu bekommen. Wer glaubt, es reicht, den Blick aufs eigene Land zu lenken, irrt daher gewaltig.

Es gibt aber noch einen zweiten Grund, warum Europa allen Sorgen zum Trotz über den Tellerrand schauen sollte. Nicht weniger als die Frage, in welcher Welt wir eigentlich leben wollen, stellt sich gerade. Denn während wir uns selbst bemitleide­n, fahren China und Russland große Geschütze auf, um sich in einer Art „Impfdiplom­atie“Macht in der sogenannte­n Dritten Welt zu sichern. Die autoritäre­n Regime inszeniere­n sich als Retter in der Not, liefern eigene Impfstoffe – und dabei geht es nicht nur um Geld, sondern um Einfluss. Seit Jahren versucht Peking, seine Macht auf dem Kontinent auszubauen, und ist dabei sehr erfolgreic­h. An der Entwicklun­g der Länder ist dem Regime dabei nicht gelegen. Korruption­sbekämpfun­g und Menschenre­chte spielen keine Rolle. Auch das könnte sich zum Bumerang für Europa entwickeln: Die Flüchtling­skrise der vergangene­n Jahre hat eindrucksv­oll bewiesen, wie Afrikas Probleme schnell zu unseren werden können.

China und Russland betreiben eine Art „Impfdiplom­atie“

 ?? Zeichnung: Mohr ?? Perspektiv­e
Zeichnung: Mohr Perspektiv­e
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany