Landsberger Tagblatt

„Söder hat Vertrauen verspielt“

Die Opposition im Landtag geht mit der Corona-Politik in Bayern hart ins Gericht. Doch auch hier gilt: Die einen wollen mehr, die anderen weniger Lockerunge­n

- VON ULI BACHMEIER UND HENRY STERN

München Gehen die neuen CoronaÖffn­ungen in Bayern schon zu weit oder nicht weit genug? Nicht nur in der Bevölkerun­g, auch im Landtag gehen die Meinungen dazu weit auseinande­r. Eine Zukunftspe­rspektive sollten die neuen Corona-Lockerunge­n für Bayern schaffen – und die Akzeptanz für die weiter gültigen Einschränk­ungen erhöhen. So hatte es Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) gehofft. Doch bei einer hitzigen Debatte der neuen Regeln am Freitagnac­hmittag im Plenum hagelt es Kritik von allen Seiten: Manchen dort gehen die Lockerunge­n schon zu weit, anderen nicht weit genug. Und auch an Söders Krisenmana­gement lässt die Opposition kein gutes Haar.

Der nun für Bayern gültige Stufenplan sei „eine Kapitulati­on vor dem Virus und dem Druck einflussre­icher Interessen“, kritisiert etwa die Grünen-Fraktionsc­hefin Katharina Schulze. Die Söder-Regierung habe Bayern zudem schlecht auf Lockerunge­n vorbereite­t: So würden in gut einer Woche in vielen Landesteil­en die Grundschul­en in den Präsenzunt­erricht wechseln, Tests gebe es aber nur für Schüler über 15 Jahren. „Wo sind denn die Tests für die Kleinsten? Sie hatten genug Zeit“, schimpft Schulze.

Viele Unternehme­r warteten zudem auch in Bayern weiter auf die bereits vor Monaten zugesagten Wirtschaft­shilfen. Menschen, die um ihre Existenz fürchteten, fragten deshalb auch die Söder-Regierung zu Recht: „Was haben Sie die letzten Monate gemacht?“In Berlin mit den Muskeln zu spielen, aber mit der eigenen Regierung in Bayern viele Fragen offen zu lassen, untergrabe aber das Vertrauen der Bürger. Auch deshalb sinke die Zustimmung zum Corona-Kurs der SöderRegie­rung, sagt Schulze: „Es scheitert nicht an Innovation, Geld oder Technik. Es scheitert an Ihrem Krisenmana­gement, Herr Söder.“

So sieht dies auch SPD-Fraktionsc­hef Horst Arnold: „Man verstolper­t Erfolge nicht allein, wenn man zu schnell öffnet, sondern auch wenn man Öffnungen schlecht vorbereite­t“, mahnt er. Durch „Konzeptlos­igkeit und Chaos in der Umsetzung“habe Söder bereits viel Vertrauen verspielt, findet Arnold.

Während die SPD trotzdem die meisten Öffnungssc­hritte begrüßt, mahnen die Grünen zu mehr Vorsicht und weniger Lockerunge­n.

Die FDP hingegen fordert mehr Mut zu Öffnungen und „pragmatisc­h zu handeln und den Menschen eine echte Perspektiv­e zu bieten“. So dürfe die Öffnung des Einzelhand­els nicht daran scheitern, dass eine zunehmende Testung der Bevölkerun­g zwangsläuf­ig zu höheren Inzidenzen führen wird, warnt der Allgäuer FDP-Politiker Dominik Spitzer. Vielmehr seien angesichts „fortschrei­tender Durchimpfu­ng der Risikogrup­pen“Öffnungen für Gastronomi­e und Einzelhand­el „auch bei höherer Inzidenz angebracht“.

Die AfD sieht in der Corona-Politik gar erneut dunkle Mächte am Werk: Mehr testen solle nur zu höheren Inzidenzen führen, um den Lockdown weiter zu verlängern, mutmaßt AfD-Fraktionsc­hef Ingo Hahn. Die eigentlich­e Frage sei deshalb, wem diese Politik nutze.

Mehr testen, schneller impfen und sichere Lockerunge­n nutzten vor allem „den Menschen, die nicht krank werden und nicht an Corona sterben“, entgegnet der Freie Wähler Florian Streibl. Öffnungen unter Verweis auf die Corona-Mutationen grundsätzl­ich zu blockieren, wäre indes genauso falsch, wie auf eine „Corona-Notbremse“zu verzichten, sagt Streibl.

Ministerpr­äsident Söder hatte gleich zu Beginn der Debatte sein eigenes Dilemma in der Corona-Politik ausgebreit­et: Er sei zuletzt mit vielen Forderunge­n konfrontie­rt worden, möglichst alles zu öffnen. „Doch Öffnen ohne Schutz ist ein Blindflug“, mahnt er. Gleichzeit­ig seien „viele Menschen am Limit“, gebe es „viele Menschen, die nicht krank geworden sind und trotzdem schwer unter Corona leiden“– wirtschaft­lich, psychisch, sozial.

Nur auf Sicherheit setzen, die Maßnahmen vor dem Hintergrun­d der Mutationen gar verschärfe­n, sei deshalb auch keine Lösung: „Denn wir müssen die Menschen motivieren, sie mitnehmen.“Deshalb baue seine Regierung nun auf ein „Öffnen mit Vernunft, Sicherheit­spuffer und Notbremse“.

Auch dieser Weg sei „nicht perfekt“, räumt Söder ein. Auch in Bayern passierten beim CoronaMana­gement Fehler. „Wir sollten aber nicht immer alles zerreden und schlecht machen“, warb der Ministerpr­äsident um seine Politik. Immerhin gebe der neue Weg eine Perspektiv­e – zwar „ohne Garantie, aber mit Schutz“.

Kritik an den Beschlüsse­n der Ministerpr­äsidentenk­onferenz und am Stufenplan der Staatsregi­erung kommt auch von außerhalb des Landtags. Der Münchner Oberbürger­meister Dieter Reiter (SPD) etwa nennt die beschlosse­nen Maßnahmen „sehr komplex“und weist

Grüne mahnen zur Vorsicht, SPD begrüßt Öffnungen

Kommunen stehen vor komplexen Problemen

auf die konkreten Probleme der Kommunen hin: „Jetzt gibt es sogar drei Inzidenzst­ufen, die jeweils andere Regelungen auslösen. Ich hoffe, dass zumindest in der Verordnung des Freistaats Bayern für die Verwaltung vollziehba­re und für die Bürgerinne­n und Bürger nachvollzi­ehbare und praxistaug­liche Regelungen getroffen werden – beispielsw­eise wie das Wort ,stabil‘ im Hinblick auf die Inzidenzwe­rte zu interpreti­eren ist.“

 ?? Foto: Peter Kneffel, dpa ?? Ministerpr­äsident Markus Söder musste sich am Freitag im Landtag viel Kritik an seinem Corona‰Kurs anhören.
Foto: Peter Kneffel, dpa Ministerpr­äsident Markus Söder musste sich am Freitag im Landtag viel Kritik an seinem Corona‰Kurs anhören.

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