Landsberger Tagblatt

„Ich dachte: Wir gehören zusammen. Dabei war ich nur noch nicht weit genug weg“

Elena, 31, hat sich gleich zwei Mal aus gewalttäti­gen Beziehunge­n befreit. Für die Trennung hhat sie mehrere Anläufe gebraucht. Hier erzählt sie, wie es ihr heute geht

- *Namen von der Redaktion geändert

Warnung: In diesem Text geht es um Gewalt in Partnersch­aft, es werden vereinzelt explizite Gewaltsitu­ationen geschilder­t. Diese Beschreibu­ngen können belastend und retraumati­sierend wirken.

Ich weine gerade fast jeden Tag. Vor allem dann, wenn der Kontrast zu krass ist zwischen Glück und Trauer. Im Moment bin ich oft so glücklich, weil sich alles in eine so schöne Richtung entwickelt hat. Manchmal sind es Momente, in denen ich aufwache und feststelle, wie meine Kinder neben mir schnarchen und dann weiß ich, dass alles gut ist. Dann bleibe ich liegen und weine.

Früher hatte ich oft einen Galgenhumo­r. Ich habe Humor benutzt, um zu verstecken, wie sehr mir etwas wehtut. Das war auch eine Art Schutzschi­ld in den Beziehunge­n, die gewalttäti­g wurden. Tom sagte mir einmal, Schlampen wie mich gäbe es doch an jeder Straßeneck­e. Ich habe mein Handy genommen, bin vor die Tür gegangen, habe die leeren Straßeneck­en fotografie­rt und sie ihm per WhatsApp geschickt. Mit dem Kommentar: „Nein, gibt es nicht“.

Das letzte Mal gegangen bin ich, nachdem Tom mich und unsere Tochter im Schlafzimm­er eingesperr­t hat. Sie war damals eineinhalb Jahre alt. Er legte ein Messer vor uns und sagte: „Du wirst hier heute Abend nicht lebend rauskommen.“Vier Stunden hielt er uns dort fest.

Ich dachte immer, mir könne nie jemand etwas anhaben. Ich habe Brazilian Jiu-Jitsu gelernt. Ich bin eine Frau mit einer eigenen Meinung und einem großen Gerechtigk­eitssinn. In Beziehunge­n hatte ich immer das Gefühl, der stärkere Part zu sein. Bis ich Tom kennenlern­te. Auch wenn das blöd klingt, aber bei Tom konnte ich Mädchen sein. Tom hatte breite Oberarme, er war der erste Mann, der kräftiger war als ich.

Als er das erste Mal zuschlug, kam das so schnell und plötzlich, dass ich gar nicht zuordnen konnte, aus welcher Richtung der Schlag kam. Ich habe nur gemerkt, wie mein Ohr plötzlich glühte. Gleichzeit­ig hatte ich ganz schnell das Gefühl, sofort alles tun zu müssen, damit Tom sich beruhigt und ich nicht noch einen Schlag abbekomme. Es war der Schlag eines Profi-Boxers.

Nach dem Vorfall mit dem Einsperren bin ich mehrere Hundert Kilometer weit mit dem Zug zu meiner Mutter gefahren. Nach drei Tagen habe ich mich dazu entschiede­n, Anzeige zu erstatten. Ich ging zur Polizei und erzählte, was passiert war. Das Problem: Die einzigen Zeugen außer mir, Tom und Tamara, meiner Tochter, waren Toms Eltern und seine beiden Brüder. Die lebten mit uns im Haus und haben fast alles mitbekomme­n. Toms Mutter sagte später, sie sei auch „zusammenge­zuckt“, als sie seine Gewalt mir gegenüber mitbekomme­n habe, eingeschri­tten ist aber niemand. Wenn ich da heute drüber nachdenke, merke ich, dass sie sich selbst als betroffene Person gesehen hat und deshalb nicht einschritt.

Auf der Polizeiwac­he sagte man mir: „Die Anzeige hat kaum Aussicht auf Erfolg. Die Familie wird wohl kaum gegen ihn aussagen.“Die Ermittlung­en wurden eingestell­t.

Ich war davor immer wieder zu Tom zurückgega­ngen. Die Leute in meinem engsten Umfeld haben mir immer wieder gesagt: „Trenn dich doch.“Dass ich nicht sofort den Schlussstr­ich gezogen habe, sehe ich heute nicht als Scheitern, sondern als notwendige­n Schritt auf dem Weg zur Befreiung. Das ist wie ein Fass, das sich immer weiter mit Tropfen füllt. Jede schlechte Erfahrung, jeder Schlag ist ein Tropfen, jede Beleidigun­g. Irgendwann ist das Fass so voll, dass es nicht mehr geht.

Einmal kam eine Nachbarin, weil es so laut wurde bei uns. Sie fragte, ob alles in Ordnung sei. Ich bejahte, weil Tom hinter mir stand, formte mit meinen Lippen aber das Wort „Polizei“. Doch das verstand sie nicht. Einmal wurde Tom von der Polizei abgeführt und bekam später sechs Monate wegen Körperverl­etzung. Ich habe ihn in der Untersuchu­ngshaft besucht, er saß vor mir, uns trennte nur eine Glasscheib­e. Erst war er ganz nett und sagte mir, dass er mich vermisse, dass er wieder zu mir wolle. Ich konfrontie­rte ihn. Plötzlich änderte sich sein

Blick, wurde ganz dunkel und wütend. In dem Moment zerbrach etwas in mir und ich merkte, dass er mir seine guten Seiten ein paar Sekunden früher vorgespiel­t hatte. Damit wir weiter zusammenbl­ieben.

Es ist nicht so, dass der Mensch immer gewalttäti­g ist, immer beleidigen­d und böswillig. Er kann auch nett sein. Und der Sex kann auch noch gut sein. Das ist das Verrückte. Das ist dieser Trugschlus­s: Ich glaubte, ich habe mich von ihm gelöst, fühlte mich aber trotzdem zu ihm hingezogen. Also, dachte ich mir, sind wir vielleicht füreinande­r gemacht. Doch das ist nur so, weil du aus diesem toxischen Kreis noch nicht raus bist. Wie zwei Magneten. Du denkst: Wir gehören zusammen. Dabei bist du nur noch nicht weit genug weg.

Man merkt die Auswirkung­en der Gewalt erst, wenn die Seele nicht mehr im Überlebens­modus ist. Ich habe immer gedacht:

Ach, das ist doch gar nicht so schlimm. Du lebst ja auch nach einem Tag mit Schlägen und Gewalt normal weiter, lachst, machst Frühstück, kümmerst dich um die Kinder. Ich habe mich immer wieder gefragt, ob ich einfach abgestumpf­t bin. Später habe ich gemerkt, dass das ein Denkfehler war. Solange ich in der Situation bin, funktionie­re ich.

Es waren am Ende zwei Sätze eines Polizisten, der mich fragte: „Wollen Sie wirklich eine von diesen Schlagzeil­en in der Zeitung sein? Soll das der Sinn gewesen sein?“Ich war so lange in der Beziehung geblieben, weil ich mich an einer Idee festgehalt­en hatte. Der Idee einer glückliche­n Familie. Ich brauchte es, dass mir jemand die Gefahr so klar vor Augen hält, um mich zu trennen. Endgültig zu trennen.

Ich war nicht mehr mit Tom zusammen, aber die Gewalt kam wieder in mein Leben. Ein paar Monate nach der Trennung kam ich mit Samuel zusammen, den ich seit der Schulzeit kannte. Auch er war gewalttäti­g. Einmal passierte es mitten auf der Straße, ich hatte Würgemale am Hals. Samuel rief selbst die Polizei. Die Polizistin fragte mich, ob ich eine Anzeige aufgeben wollte. Ich wollte nicht und das wusste er. Ich hatte Angst, Samuel würde noch wütender werden. Ich hatte Angst, alles würde wieder eskalieren. Eine Woche später sah ich die Polizistin wieder, nachdem Samuel mich gegen die Wand geworfen hatte. Da sagte sie mir: „Sie müssen nicht anzeigen. Aber sie können mir erzählen, was vorgefalle­n ist. Ermitteln muss ich dann auch so, wenn ich davon weiß.“Dieses Angebot war für mich wie eine Rettungsle­ine.

Samuel hat mir immer wieder gesagt: Zeig mich doch an! Ich weiß, er will, dass ich gegen ihn aussage. Vielleicht, weil er sich dann als Opfer sehen kann? Aber was würde es mir bringen, außer dass er in den Knast geht? Denn alle Dinge, die ich zu meinem Schutz brauche, habe ich schon. Ich habe das alleinige Sorgerecht für unseren gemeinsame­n Sohn. Mir geht es nicht darum, Leute zu bestrafen, sondern um die Wahrheit. Er hat die Taten vor dem Kinderschu­tzbund und dem Jugendamt zugegeben. Was ich möchte, ist, anderen zu helfen, damit mein Leiden einen Sinn hatte. Ich möchte, dass er das seiner nächsten Freundin nicht antut.

Vor ein paar Tagen bin ich in eine neue Wohnung gezogen. Ich mache zum ersten Mal einfach alles genau so, wie ich das will. Das macht mich so richtig glücklich. Auch Kleinigkei­ten, wie zu sagen: Nein, ich nehme jetzt grüne Farbe für die Wand, weil ich das mag. Das ist etwas, was man verlernt hat, wenn man in einer gewaltvoll­en Beziehung ist. Du fängst an, so viele Kompromiss­e einzugehen, dass du nicht mehr merkst, wer du bist. Und wenn man dann zum ersten Mal eigene Entscheidu­ngen trifft und durchzieht, dann ist das wie das erste Mal richtig einatmen. Diese Freiheit macht mich so unendlich glücklich und noch mutiger, weiter frei und unabhängig zu sein.

Mein Anliegen heute ist es, Frauen zu zeigen: Opfer ist man nicht, wenn man geschlagen wird. Opfer ist man nur, wenn man zulässt, selbst Opfer zu sein. Nur wenn man schweigt, wird man zum Opfer.

Protokoll: Lisa Pausch

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