Landsberger Tagblatt

„Sich Hilfe zu holen ist normal“

Enrico Damme hilft Männern. Über das Thema zu sprechen sei schwierig, sagt er

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Herr Damme, 20 Prozent der Menschen, denen häusliche Gewalt widerfährt, sind Männer, dennoch wird kaum darüber gesprochen. Warum? Enrico Damme: Grundsätzl­ich ist es schon so, dass das Thema nach wie vor mit extremen Tabus behaftet ist und mit Scham. Das liegt daran, dass es in der Gesellscha­ft ein bestimmtes Männerbild gibt: Männer dürfen keine Schwäche zeigen, Männer können keine Opfer von Gewalt sein. Dagegen versuchen wir vorzugehen. Zu zeigen: Es ist keine Schande, Gewalt zu erfahren, es ist aber nicht richtig, sich keine Hilfe zu holen. Dass Männerschu­tzvereine oder das Hilfetelef­on für Männer bekannter werden, hilft. Denn das zeigt Betroffene­n: Es gibt auch andere Männer, denen es wie mir geht. Es ist normal, sich Hilfe zu holen.

Eines dieser gesellscha­ftlichen Vorurteile ist, dass Männer Frauen körperlich überlegen sind, dass sie also nicht Ziel von körperlich­er Gewalt werden können. Heißt das, ihnen widerfahre­n andere Formen von Gewalt? Damme: Körperlich­e Gewalt ist meistens nur die Spitze des Eisbergs. Davor wird oft mit anderen Methoden Druck ausgeübt. Wenn ein Mensch ständig unter Druck steht, zählt das auch als Form von Gewalt. Sie kann ausgeübt werden, indem die Partnerin die Kontakte eines Betroffene­n stark einschränk­t oder seinen Bewegungsr­adius. Ihn ständig kontrollie­rt. Das wären Formen von psychische­r Gewalt. Es kommt auch vor, dass eine Partnerin einem Mann Geld oder Essen vorenthält. In diesen Fällen spricht man von ökonomisch­er Gewalt.

Was hilft Betroffene­n, sich zu öffnen? Damme: Wir merken zum Beispiel, dass es Männern schwerfäll­t, von Gewalt zu sprechen. Wie es ihnen wirklich geht, erzählen sie oft in anderen Kontexten. Zum Beispiel in einem Burn-out-Seminar. Wenn es explizit nicht um Gewalt geht, dann kommt heraus, was dahinterst­eckt. Das liegt daran, dass das Thema Gewalt gegen Männer so tabuisiert ist. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, das Umfeld zu sensibilis­ieren. Freunde oder Arbeitskol­legen.

Worauf können Freunde denn achten? Damme: Manchmal gibt es natürlich sichtbare Spuren von Gewalt. Dann können sie nachfragen, was passiert ist. Wenn Menschen sich plötzlich zurückzieh­en, nicht mehr gut erreichbar sind, nicht mehr von zu Hause sprechen oder nach Hause einladen, dann können das auch Anzeichen dafür sein, dass etwas nicht stimmt. Wichtig ist dabei auch, dass auch andere Stellen sensibel auf das Thema reagieren. Dass etwa Polizisten und Polizistin­nen in Männern nicht nur die Täter von häuslicher Gewalt sehen, sondern genau hingucken.

Gibt es in Deutschlan­d Männerhäus­er? Damme: Es gibt neun Männerschu­tzwohnunge­n. Die älteste wurde vor 20 Jahren in Oldenburg eröffnet. Daneben gibt es zwei in Nordrhein-Westfalen, eine in BadenWürtt­emberg und drei in Sachsen. In Bayern gibt es eine in Augsburg und eine in Nürnberg.

Frauenhäus­er gibt es deutlich mehr und dennoch reichen die Plätze oft nicht. Neun Schutzwohn­ungen scheinen ziemlich wenig.

Damme: Unser Ziel ist es, dass in den kommenden fünf bis zehn Jahren in jedem Bundesland mindestens fünf Schutzwohn­ungen entstehen. Dann kann man vielleicht von einer flächendec­kenden Versorgung sprechen. Die bestehende­n Schutzwohn­ungen sind etwa zu zwei Dritteln ausgelaste­t. Interview: Christina

Heller-Beschnitt O Zur Person Enrico Damme arbeitet für die Bundesfach‰ und Koordinie‰ rungsstell­e Männergewa­ltschutz in Dresden.

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