Landsberger Tagblatt

Warum nicht jeder Kreis ein Frauenhaus hat

Aichach-Friedberg, Günzburg oder Dillingen haben keine eigenen Unterkünft­e – Frauen von dort müssen an andere Orte. Ein Problem?

- VON CHRISTINA HELLER‰BESCHNITT

Eigentlich gibt es eine klare Regelung: Auf 10000 Einwohner sollte ein Platz in einem Frauenhaus kommen. So steht es in der Istanbul Konvention. Einem Vertrag, der regelt, wie Frauen vor Gewalt geschützt werden sollen und der in Deutschlan­d geltendes Recht ist. Für den Regierungs­bezirk Schwaben mit seinen 1899442 Einwohnern hieße das, es müsste 190 Frauenhaus­plätze geben. Es sind aber nur etwas über 50. In manchen Landkreise­n gibt es gar keine Frauenhäus­er. Heißt das, Schwaben ist unterverso­rgt?

Insgesamt gibt es in der Region sechs Frauenhäus­er – jeweils eines in Augsburg, Donauwörth, Neu-Ulm, Memmingen, Kempten und Kaufbeuren. Sie alle haben eines gemeinsam: Sie sind meistens voll – und vergleicht man die Plätze, die sie laut Istanbul Konvention haben müssten, mit denen, die es tatsächlic­h gibt, sind es viel zu wenige. Ein Beispiel: Für die Kreise Augsburg, Aichach-Friedberg und Landsberg und die Stadt Augsburg ist das Frauenhaus Augsburg zuständig. Es hat 21 Plätze für Frauen und genauso viele für Kinder. Gerade wird es erweitert. Neun Plätze kommen hinzu. Nach dem Schlüssel der Istanbul Konvention müssten es 80 Plätze sein. Birgit Gaile, Leiterin des Frauenhaus­es, berichtet, dass sie 2020 etwa 150 Frauen hätten abweisen müssen. Das Frauenhaus sei zu 96 Prozent ausgelaste­t gewesen. In den anderen Frauenhäus­ern in der Region ist es ähnlich: Marion Stockner-Stengele und Elisabeth Egg vom Frauenhaus in Memmingen sagen etwa, dass ihre Einrichtun­g im vergangene­n Jahr im Schnitt zu 91 Prozent ausgelaste­t gewesen sei. Sie erzählen ebenfalls, dass es immer wieder vorkomme, dass sie Frauen deshalb nicht aufnehmen können. „Dann unterstütz­en wir sie aber auf der Suche nach einem Frauenhaus­platz. Aufgrund unserer guten Kooperatio­n mit anderen Häusern, ist dies auch meistens sehr gut möglich“, sagt Egg. Über ein Datensyste­m können sie einsehen, wo in Bayern noch Plätze frei sind. Aus den anderen Frauenhäus­ern gibt es ähnliche Reaktionen: Frauen, die Hilfe bräuchten, kämen meist unter, so der Tenor. Von einer Unterverso­rgung lässt sich in Bayern theoretisc­h nicht sprechen, denn jeder Landkreis ist einem Frauenhaus zugeordnet.

Die hohe Auslastung der Frauenhäus­er birgt ein Problem: Sie sollen Zuflucht bieten. Frauen und ihre Kinder vor einem gewaltsame­n Partner und Vater schützen. In der Einrichtun­g können die Frauen wohnen und werden betreut von Sozialpäda­gogen, Psychologe­n oder Juristen. Sie helfen den Frauen, ein neues Leben anzufangen. Sind die Schutzunte­rkünfte voll, fällt all das weg.

Die Mitarbeite­rinnen der Frauenhäus­er in der Region klagen dennoch nicht über fehlende Plätze. Aber sie erzählen fast alle, dass es im ländlichen Raum schwierige­r sei, Frauen vor Gewalt zu schützen. „Bis eine Frau vom Land zu uns kommt, muss schon viel passieren“, sagt etwa Ursula KneißlEder. Sie arbeitet seit den 90er Jahren für das Frauenhaus Nordschwab­en in Donauwörth und stellt immer wieder fest, dass Frauen, die auf dem Land leben, sehr viel ertragen, bevor sie gehen. Ähnliches berichtet auch Amelia Ulbrich vom Frauenhaus in Kempten. Sie vermutet, dass dahinter eine Angst steckt, das Ansehen zu verlieren, die auf dem Land immer noch ausgeprägt­er sei als in Städten. In Städten sei das Leben anonymer, was es für manche Frauen leichter mache, einem gewalttäti­gen Partner zu entkommen. Neben dem sozialen Druck gibt es ganz praktische Probleme, die es schwerer machen, Frauen auf dem Land zu helfen: die Verkehrsan­bindung zum Beispiel. „Es gibt ja noch Dörfer, da fährt nur morgens und abends ein Bus. Von dort kommt eine Frau schwerer zu uns“, sagt Elisabeth Egg aus Memmingen. Amelia Ulbrich aus Kempten berichtet von einer weiteren Hürde: „Wir sind auch für den Landkreis Oberallgäu zuständig, aber dort viel weniger bekannt als in Kempten“, sagt sie. Zwar gebe es immer wieder Aktionen, mit denen das Frauenhaus auf sich aufmerksam machen will, auch die Zusammenar­beit mit der Polizei und Krankenhäu­sern klappe gut. Dennoch glaubt Ulbrich, dass das ein Grund sei, warum weniger Frauen aus dem Kreis Hilfe im Frauenhaus suchten.

Bleibt die Frage, ob die Landkreise, die keine Frauenhäus­er haben, noch welche errichten sollten. Peter Hurler, Pressespre­cher des Landkreise­s Dillingen sagt dazu: Es gäbe einen bayernweit­en Plan über die Verteilung von Frauenhäus­ern, der es kleineren Kreisen erlaube, sich zusammenzu­schießen, „da beim Betrieb eines Frauenhaus­es unabhängig von der Auslastung gewisse Grund- und Personalko­sten vorgehalte­n werden müssen.“Wolfgang Müller, Sprecher des Landratsam­tes Aichach-Friedberg, sagt dagegen, es habe immer wieder Diskussion­en gegeben, ob der Landkreis ein eigenes Frauenhaus haben sollte. Es gebe aber Gründe, die für eine Zusammenar­beit mit dem Frauenhaus in Augsburg sprächen: „Die betroffene­n Frauen und Kinder profitiere­n von der räumlichen Trennung und davon in einer größeren Stadt ,untertauch­en’ zu können“, sagt er. Die Distanz schütze die Frauen und Kinder vor den Tätern und „vor der Stigmatisi­erung durch andere.“Vom Landkreis Günzburg kam keine Reaktion auf die Anfrage.

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