Hotspot vor der Haustür
Tschechien ist das Land mit der weltweit höchsten Inzidenz. Wie bayerische Grenzregionen damit umgehen und wie sie trotzdem ihre Geschäfte öffnen wollen
Wunsiedel Im Fuchsbau fehlen seit vielen Wochen ungefähr ein Dutzend Kinder. Nur einige Bäume, Felder und nicht einmal zwei Kilometer Entfernung liegen zwischen dem Kindergarten und der deutschtschechischen Grenze. Hier kommen deutsche und tschechische Kinder zusammen, auch das Personal stammt aus beiden Ländern. Der Kindergarten der Gemeinde Schirnding befindet sich im oberfränkischen Landkreis Wunsiedel im Fichtelgebirge. Die östliche Grenze der Gemeinde entspricht der der Bundesrepublik. Im Landkreis sind seit Monaten die Corona-Infektionszahlen hoch. Am Freitag beträgt die Inzidenz dort 315 – der zweithöchste Wert in Deutschland, gleich nach dem der Stadt Hof.
Doch jenseits der deutschen Grenze, in Tschechien, ist die Lage noch weitaus schlechter. Nach Zahlen der Weltgesundheitsorganisation liegt die Sieben-Tage-Inzidenz aktuell bei 812. Kein anderes Land der Welt verzeichnet so hohe Zahlen. Zwölf Prozent der Tschechen waren demnach bereits mit dem Coronavirus infiziert, vom Dunkelfeld ganz zu schweigen.
In der Grenzregion ist man sich einig, dass die Nähe zu Tschechien für die hohen Inzidenzen im Osten Bayerns sorgt. Tschechische Arbeitnehmer dürfen nur noch mit negativem Test nach Deutschland. Karin Fleischer, Bürgermeisterin von Schirnding, sagt am Telefon, dass viele Menschen in der Gemeinde die schwierige Infektionslage belaste – auch wenn es in dem 1100-Einwohner-Ort selbst gerade nur einen Corona-Fall gebe. „Aber ehrlich gesagt weiß ich von den meisten nicht, wie sie darüber denken.“In Schirnding lebten viele alte Menschen, die zurzeit ihr Haus so wenig wie möglich verlassen würden, sagt Fleischer.
Etwa 20 Kilometer entfernt von der Gemeinde, in der Kreisstadt Wunsiedel, laufen die Fäden der Corona-Bekämpfung des bayerischen Hotspots zusammen. Gerade hat die Runde aus Ministerpräsidenten und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in Berlin einen Öffnungsplan für Deutschland beschlossen. Der Landkreis Wunsiedel wird mit seiner 300er Inzidenz wohl kaum profitieren.
Landrat Peter Berek (CSU) kennt Merkel. Vor einigen Wochen setzte er sich in einer Videoschalte von Lokalpolitikern mit der Kanzlerin für die Grenzregionen ein, forderte mehr Impfstoff für besonders stark von Corona betroffene Regionen. Erst erteilte Merkel diesem Vorschlag eine Absage. „Eine Woche später erhielten wir dann doch mehr Impfstoff.“Jetzt werde er, gemeinsam mit Politikern ähnlich betroffener Regionen, wieder Druck machen müssen. Während Schulen,
Geschäfte und Museen womöglich bald in vielen Nachbarlandkreisen mit weniger Infektionen öffnen, sind solche Schritte im Kreis Wunsiedel auf absehbare Zeit kaum denkbar. Zu weit entfernt ist die Inzidenzmarke 100, von 50 ganz zu schweigen. „Unsere Bürger und Geschäftsleute werden das auf Dauer nicht akzeptieren“, sagt Berek. Gleichzeitig ist er sich sicher, dass viele schlicht in nahe gelegene Kreise fahren würden, um die dortigen Freiheiten zu nutzen. Der Druck auf die Kommunalpolitiker werde jetzt steigen – und er werde ihn nach oben weitergeben. „Das ist ein demokratischer Prozess“, sagt Berek.
Ministerpräsident Markus Söder (CSU) ist bewusst, dass die Landkreisgrenzen Bewohner von Hotspots nicht aufhalten werden. Dass Kreise mit einer hohen Inzidenz trotzdem nicht von nennenswerten Öffnungen profitieren, sei das einzig Richtige, betonte er jüngst. Bereks Anliegen, besonders hart betroffene Gebiete vermehrt mit Impfstoff zu versorgen, unterstützt er.
Sachsen teilt sich wie Bayern eine lange Grenze mit Tschechien. Vor wenigen Tagen trafen sich die Ministerpräsidenten der beiden Freistaaten, Söder und Michael Kretschmer, um ein gemeinsames Vorgehen zu besprechen. Herausgekommen ist ein Zehn-Punkte-Plan der sogenannten „Covid-19-Allianz“. Die wichtigsten Punkte: Einreisen darf nur, wer einen negativen Test nachweist, Pendler dürfen sich nur zum Arbeitsplatz und zurück bewegen, Bayern und Sachsen unterstützen Tschechien beim Aufbau von Testzentren und nehmen tschechische Corona-Patienten auf.
Landrat Berek setzt viel Hoffnung in dieses Vorhaben – nachdem zuvor viel versäumt worden war. Im Januar seien die Grenzen nach einem Gerichtsurteil komplett offen gewesen, obwohl in Tschechien eine Inzidenz über 1000 herrschte. „Darunter leiden wir heute noch.“Am Dienstag hat Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) die stationären Grenzkontrollen an der tschechischen Grenze verlängert.
Ein notwendiger Schritt, findet Berek. „Es ist ohnehin nicht selbstverständlich, dass wir trotz der Lage jenseits der Grenze im kontrollierbaren Bereich bleiben konnten.“Es gebe Stimmen in der Bevölkerung, die allein das Nachbarland für die schlechte Situation verantwortlich machten. Das sei Gift für die eigentlich so gut zusammengewachsene Grenzregion. Deshalb müsse Hotspots wie dem Landkreis Wunsiedel mit Impfungen geholfen und mit Schnelltests eine Öffnungsperspektive gegeben werden.
Bayern nimmt tschechische Patienten auf