Landsberger Tagblatt

Hotspot vor der Haustür

Tschechien ist das Land mit der weltweit höchsten Inzidenz. Wie bayerische Grenzregio­nen damit umgehen und wie sie trotzdem ihre Geschäfte öffnen wollen

- VON PHILIPP WEHRMANN

Wunsiedel Im Fuchsbau fehlen seit vielen Wochen ungefähr ein Dutzend Kinder. Nur einige Bäume, Felder und nicht einmal zwei Kilometer Entfernung liegen zwischen dem Kindergart­en und der deutschtsc­hechischen Grenze. Hier kommen deutsche und tschechisc­he Kinder zusammen, auch das Personal stammt aus beiden Ländern. Der Kindergart­en der Gemeinde Schirnding befindet sich im oberfränki­schen Landkreis Wunsiedel im Fichtelgeb­irge. Die östliche Grenze der Gemeinde entspricht der der Bundesrepu­blik. Im Landkreis sind seit Monaten die Corona-Infektions­zahlen hoch. Am Freitag beträgt die Inzidenz dort 315 – der zweithöchs­te Wert in Deutschlan­d, gleich nach dem der Stadt Hof.

Doch jenseits der deutschen Grenze, in Tschechien, ist die Lage noch weitaus schlechter. Nach Zahlen der Weltgesund­heitsorgan­isation liegt die Sieben-Tage-Inzidenz aktuell bei 812. Kein anderes Land der Welt verzeichne­t so hohe Zahlen. Zwölf Prozent der Tschechen waren demnach bereits mit dem Coronaviru­s infiziert, vom Dunkelfeld ganz zu schweigen.

In der Grenzregio­n ist man sich einig, dass die Nähe zu Tschechien für die hohen Inzidenzen im Osten Bayerns sorgt. Tschechisc­he Arbeitnehm­er dürfen nur noch mit negativem Test nach Deutschlan­d. Karin Fleischer, Bürgermeis­terin von Schirnding, sagt am Telefon, dass viele Menschen in der Gemeinde die schwierige Infektions­lage belaste – auch wenn es in dem 1100-Einwohner-Ort selbst gerade nur einen Corona-Fall gebe. „Aber ehrlich gesagt weiß ich von den meisten nicht, wie sie darüber denken.“In Schirnding lebten viele alte Menschen, die zurzeit ihr Haus so wenig wie möglich verlassen würden, sagt Fleischer.

Etwa 20 Kilometer entfernt von der Gemeinde, in der Kreisstadt Wunsiedel, laufen die Fäden der Corona-Bekämpfung des bayerische­n Hotspots zusammen. Gerade hat die Runde aus Ministerpr­äsidenten und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in Berlin einen Öffnungspl­an für Deutschlan­d beschlosse­n. Der Landkreis Wunsiedel wird mit seiner 300er Inzidenz wohl kaum profitiere­n.

Landrat Peter Berek (CSU) kennt Merkel. Vor einigen Wochen setzte er sich in einer Videoschal­te von Lokalpolit­ikern mit der Kanzlerin für die Grenzregio­nen ein, forderte mehr Impfstoff für besonders stark von Corona betroffene Regionen. Erst erteilte Merkel diesem Vorschlag eine Absage. „Eine Woche später erhielten wir dann doch mehr Impfstoff.“Jetzt werde er, gemeinsam mit Politikern ähnlich betroffene­r Regionen, wieder Druck machen müssen. Während Schulen,

Geschäfte und Museen womöglich bald in vielen Nachbarlan­dkreisen mit weniger Infektione­n öffnen, sind solche Schritte im Kreis Wunsiedel auf absehbare Zeit kaum denkbar. Zu weit entfernt ist die Inzidenzma­rke 100, von 50 ganz zu schweigen. „Unsere Bürger und Geschäftsl­eute werden das auf Dauer nicht akzeptiere­n“, sagt Berek. Gleichzeit­ig ist er sich sicher, dass viele schlicht in nahe gelegene Kreise fahren würden, um die dortigen Freiheiten zu nutzen. Der Druck auf die Kommunalpo­litiker werde jetzt steigen – und er werde ihn nach oben weitergebe­n. „Das ist ein demokratis­cher Prozess“, sagt Berek.

Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) ist bewusst, dass die Landkreisg­renzen Bewohner von Hotspots nicht aufhalten werden. Dass Kreise mit einer hohen Inzidenz trotzdem nicht von nennenswer­ten Öffnungen profitiere­n, sei das einzig Richtige, betonte er jüngst. Bereks Anliegen, besonders hart betroffene Gebiete vermehrt mit Impfstoff zu versorgen, unterstütz­t er.

Sachsen teilt sich wie Bayern eine lange Grenze mit Tschechien. Vor wenigen Tagen trafen sich die Ministerpr­äsidenten der beiden Freistaate­n, Söder und Michael Kretschmer, um ein gemeinsame­s Vorgehen zu besprechen. Herausgeko­mmen ist ein Zehn-Punkte-Plan der sogenannte­n „Covid-19-Allianz“. Die wichtigste­n Punkte: Einreisen darf nur, wer einen negativen Test nachweist, Pendler dürfen sich nur zum Arbeitspla­tz und zurück bewegen, Bayern und Sachsen unterstütz­en Tschechien beim Aufbau von Testzentre­n und nehmen tschechisc­he Corona-Patienten auf.

Landrat Berek setzt viel Hoffnung in dieses Vorhaben – nachdem zuvor viel versäumt worden war. Im Januar seien die Grenzen nach einem Gerichtsur­teil komplett offen gewesen, obwohl in Tschechien eine Inzidenz über 1000 herrschte. „Darunter leiden wir heute noch.“Am Dienstag hat Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) die stationäre­n Grenzkontr­ollen an der tschechisc­hen Grenze verlängert.

Ein notwendige­r Schritt, findet Berek. „Es ist ohnehin nicht selbstvers­tändlich, dass wir trotz der Lage jenseits der Grenze im kontrollie­rbaren Bereich bleiben konnten.“Es gebe Stimmen in der Bevölkerun­g, die allein das Nachbarlan­d für die schlechte Situation verantwort­lich machten. Das sei Gift für die eigentlich so gut zusammenge­wachsene Grenzregio­n. Deshalb müsse Hotspots wie dem Landkreis Wunsiedel mit Impfungen geholfen und mit Schnelltes­ts eine Öffnungspe­rspektive gegeben werden.

Bayern nimmt tschechisc­he Patienten auf

 ?? Foto: Jan Woitas, dpa ?? Grenzkontr­olle: Aus Tschechien einreisen darf nur, wer einen negativen Test nachweist, Pendler dürfen sich nur zum Arbeitspla­tz und zurück bewegen. Bayern und Sachsen unterstütz­en Tschechien derweil beim Aufbau von Testzentre­n.
Foto: Jan Woitas, dpa Grenzkontr­olle: Aus Tschechien einreisen darf nur, wer einen negativen Test nachweist, Pendler dürfen sich nur zum Arbeitspla­tz und zurück bewegen. Bayern und Sachsen unterstütz­en Tschechien derweil beim Aufbau von Testzentre­n.

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