Landsberger Tagblatt

„Ich bin überzeugt, dass das kein Einzelfall war“

Vor zwei Jahren warf die Operation Aderlass einen dunklen Schatten auf die Nordische Ski-WM in Seefeld. Zwei Jahre später ist in Oberstdorf alles ruhig. Ein Gespräch über dopende Sportler, harte Strafen und Blauäugigk­eit

- Interview: Andreas Kornes

München Die Operation Aderlass war der bisher größte Schlag deutscher Ermittler gegen ein DopingNetz­werk. Vor zwei Jahren deckten sie mit Razzien am Rande der Nordischen Ski-WM in Seefeld und in einer Erfurter Arztpraxis die Machenscha­ften des Mediziners Mark Schmidt und seiner Helfer auf. 23 Sportler aus acht Nationen waren involviert. Im Januar wurde Schmidt in München zu einer Haftstrafe von vier Jahren und zehn Monaten verurteilt. Oberstaats­anwalt Kai Gräber, 55, leitete die Operation Aderlass – und zieht Bilanz.

Vor der Nordischen Ski-WM, die an diesem Wochenende in Oberstdorf endet, hatten Sie gesagt, Sie wüssten noch nicht, ob Sie vielleicht beruflich ins Allgäu müssen. Mussten Sie?

Kai Gräber: Ich war privat im Allgäu und nicht im Zusammenha­ng mit den Wettkämpfe­n. Die habe ich nur in den Medien verfolgt. Aber ich war mit den Kollegen vor Ort vernetzt, die sich gemeldet hätten, wenn etwas zu regeln gewesen wäre.

Vor zwei Jahren hatten Sie in Seefeld alle Hände voll zu tun. Die „Operation Aderlass“förderte ein ganzes Dopingnetz­werk zutage. War das eine Zeitenwend­e im Kampf gegen das organisier­te Doping?

Gräber: Also ob es eine Zeitenwend­e war, vermag ich nicht zu beurteilen. Dafür ist das Wort vielleicht ein bisschen zu groß. Ich würde sagen, es war ein deutliches Hab-Acht-Signal. Der Anti-Doping-Kampf wird sich dahingehen­d verändern, dass die Player gemerkt haben, dass man jetzt auch unter Einschaltu­ng der Strafverfo­lgungsbehö­rden tätig wird. Denn sonst wird man in diesem Bereich nicht erfolgreic­h ermitteln können.

Das Prinzip der Abschrecku­ng hat also eine Aufwertung erfahren.

Gräber: Ja, ich finde schon. Man hat in diesem Verfahren gesehen, mit welchen Strafen gerechnet werden muss. Künftig müssen sich Leute, die dopen wollen, die Frage stellen, ob sie dieses Risiko eingehen wollen.

Wer hat sich den treffenden Namen „Operation Aderlass“einfallen lassen? Gräber: Den hat sich die ermittelnd­e Zolldienst­stelle einfallen lassen. Es ist immer so, dass bei größeren Geschichte­n der Operation ein Name gegeben wird. Es standen auch ein paar andere Namen im Raum, zum Beispiel „O‘zapft is“. Aber sie haben sich dann doch für Aderlass entschiede­n.

War Ihnen während der Vorbereitu­ng der Operation bewusst, dass Sie damit deutsche Rechtsgesc­hichte schreiben?

Gräber: Das war am Anfang überhaupt nicht abzusehen. Die ersten Informatio­nen gingen ja in Richtung der Olympische­n Winterspie­le 2014 in Sotschi, also knapp an der Verjährung­sgrenze kratzend. Es war völlig unvorherse­hbar, dass in dem Personenkr­eis auch aktuell noch weiter gedopt wird. Es sah nach Ermittlung­en aus, die weit in der Vergangenh­eit liegende Sachverhal­te betreffen würden. Die Aktualität hat uns überrascht.

Der Komplex ist jetzt abgeschlos­sen? Gräber: Das Urteil gegen den Arzt Mark Schmidt ist rechtskräf­tig. Sportrecht­lich ist sicher noch nicht alles aufgearbei­tet. Aber sonst würde ich sagen, dass der Komplex Mark Schmidt/Erfurt im Wesentlich­en durch ist.

Grundlage des Prozesses war das AntiDoping-Gesetz, das es seit Dezember 2015 gibt. Dreieinhal­b Jahre später gab es die Operation Aderlass. Wieso hat es so lange gedauert, um in dieser Form tätig zu werden?

Gräber: Der Grund, warum es im Leistungss­port so lange gedauert hat, ist, dass die Informatio­nen nicht gekommen sind. Das Gesetz war nicht der Hemmschuh. Es wurden einfach keine entspreche­nden Fälle an uns herangetra­gen. So musste man bis ins Jahr 2019 warten, bis die Geschichte in dem ARD-Beitrag das Verfahren ermöglicht hat.

Trotzdem soll das Gesetz überarbeit­et werden. Eine Evaluierun­g hat ergeben, dass es unter anderem an einer Kronzeugen­regelung mangelt. War das ein Geburtsfeh­ler des Gesetzes?

Gräber: Man hat es damals besprochen und gedacht, dass die allgemeine Kronzeugen­regelung ausreicht. Man hat aber feststelle­n müssen, dass man die Kronzeugen­regelung deutlich erweitern wird müssen. Also auch auf die Athleten. Dass auch sie sich Strafmilde­rung oder Straffreih­eit verschaffe­n können durch Kooperatio­n. Es ist in der Evaluierun­g klar heraus gekommen, dass eine Kronzeugen­regelung hilfreich ist – als ein Signal für die Szene, damit man hoffentlic­h nicht noch einmal vier oder fünf Jahre auf einen solchen Fall warten muss.

Besagte Kronzeugen­regelung könnte noch in dieser Legislatur­periode kommen. Erwarten Sie dann mehr Arbeit? Gräber: Ich nehme es so, wie es kommt. Aber ich kann mir schon vorstellen, dass durch die Operation Aderlass und die gerichtlic­he Aufarbeitu­ng ein Signal an die Szene gegangen ist: Wenn man am Doping was ändern will, sollte man mit den Strafverfo­lgungsbehö­rden zusammen arbeiten – spätestens, wenn es dann eine Kronzeugen­regelung gibt. Wichtig wäre, dass es auch im Sportrecht eine entspreche­nde Regelung gibt. Der Sportler hat nur eine gewisse Anzahl an Jahren, in denen er mit dem Sport seinen Lebensunte­rhalt gestalten kann. Da bringt es ihm nichts, wenn er strafrecht­lich nicht oder milde verfolgt wird, dafür dann aber sportrecht­lich vier Jahre gesperrt ist. Wir müssen das harmonisie­ren.

Was würden Sie darüber hinaus an dem Anti-Doping-Gesetz ändern? Gräber: Man könnte beispielsw­eise daran denken, die Höchststra­fe für den Grundstraf­tatbestand von bisher zwei bzw. drei auf fünf Jahre hochzusetz­en. Einfach um auch da zu sagen: Ein Verstoß gegen das Anti-Doping-Gesetz ist doch was anderes, als eine tätliche Beleidigun­g oder eine kleine Fundunters­chlagung. Und man könnte durch eine höhere Höchststra­fe auch den Anreiz erhöhen, sich durch Aussagen Strafmilde­rung zu verschaffe­n.

Aus dem Sport heraus gab es lange Widerstand gegen ein Anti-Doping-Gesetz. Wie hat sich für Sie die Zusammenar­beit mit den Sportverbä­nden entwickelt?

Gräber: Das Verfahren hat den Effekt, dass da Türen aufgegange­n sind. Die Reaktionen auf das Ermittlung­sverfahren waren in allen Bereichen positiv: aus dem Sport, sei es von den Athleten oder den Verbänden, von der Nada, von der Politik, von der Presse, von der Öffentlich­keit. Und es gab ein Umdenken in dem einem oder anderen Kopf, dass die Strafverfo­lgungsbehö­rden mitgenomme­n werden sollten, wenn wir etwas ändern wollen.

Keiner der Sportler aus dem Netzwerk des Mark Schmidt wurde durch eine Dopingkont­rolle überführt. Ist das Kontrollsy­stem überforder­t oder gar überflüssi­g?

Gräber: Dopingkont­rollen sind schon wichtig. Man hat aber durch das Verfahren gesehen, wie dreist und mit welcher kriminelle­n Energie das Netzwerk von Mark Schmidt mit den Gegebenhei­ten gespielt hat. Und die tatsächlic­hen Umstände der Dopingkont­rollen zu ihrem Nutzen verwendet hat. Man kann das aber nicht alles freigeben. Allerdings wird man sicherlich die Lehren aus dem Verfahren ziehen und versuchen, das Kontrollsy­stem zu optimieren.

Halten Sie den Sport heute für sauberer, als vor der Operation Aderlass? Gräber: Das ist natürlich eine Frage, die in ihrer Pauschalit­ät schwer zu beantworte­n ist. Ich habe aber Zweifel, dass der Sport sauberer ist, als vor der Operation Aderlass. Ich hoffe einfach, dass in den Köpfen endlich ein gewisses Umdenken begonnen hat. Aber zu denken, dass die Operation eine durchschla­gende Auswirkung auf die Dopingkult­ur haben wird, wäre wohl blauäugig.

Das von Ihnen aufgedeckt­e Netzwerk war also kein Einzelfall...

Gräber: Ich bin überzeugt davon, dass das kein Einzelfall war. Es ist zwar sicherlich nicht so, wie es die Verteidigu­ng im Gerichtsve­rfahren versucht hat darzustell­en. Dass der komplette Sport dopingvers­eucht ist. Dass Sportler, Trainer, Mediziner und Verbände hier Hand in Hand arbeiten und Dopingprak­tiken vertuschen. So ist es dann doch nicht. Aber sicherlich ist Mark Schmidt kein Einzelfall.

Welche Erkenntnis­se nehmen Sie aus der Operation Aderlass mit?

Gräber: Wichtig war die sehr gute und schnelle Zusammenar­beit mit den Kollegen in Österreich. Das war vorbildlic­h. Die Österreich­er haben mit riesigem Einsatz geholfen, dass Beschlüsse und Anordnunge­n im Rechtshilf­eweg sofort umgesetzt werden können. Das ist nicht überall so. Die Rechtshilf­eschiene wird eine große Bedeutung haben, da die Sportereig­nisse über die ganze Welt verstreut sind. Interessan­t war, dass Blutdoping in manchen Ländern, wo beispielsw­eise der nordische Skisport sehr intensiv betrieben wird, gar nicht strafbar ist. Da wäre der dortige Gesetzgebe­r gefordert.

Haben Sie momentan schon neue Ermittlung­en laufen?

Gräber: Darüber kann ich nicht sprechen. Aber ich langweile mich nicht.

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Foto: dpa Der Mediziner Mark Schmidt wurde vom Landgerich­t München zu einer mehrjährig­en Haftstrafe verurteilt. Es war das erste große Verfahren gegen einen Drahtziehe­r des Dopings.
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Kai Gräber

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