Landsberger Tagblatt

Es war einmal ein Spitzenspi­el

Jahrelang elektrisie­rte das Duell der Münchner mit Borussia Dortmund die Fans. Nun aber: Keine Zuschauer im Stadion und der BVB fernab der Tabellensp­itze. Für Hansi Flick aber handelt es sich trotzdem um ein besonderes Spiel

- VON TILMANN MEHL

München Das Vorurteil, wonach es sich beim Münchner Publikum um eine allzu verwöhnte Zuschauers­char handelt, trifft ja schon seit beinahe zwei Jahrzehnte­n nicht mehr zu. Als die Bayern noch im Olympiasta­dion spielten, galten die Fans vollkommen zu Recht als Rosinenpic­ker. Uli Hoeneß musste mit Freikarten hausieren gehen, um gegen Homburg, Blau-Weiß 90 Berlin oder Mannheim wenigstens jeden zweiten Platz der Ränge zu besetzen. Mit dem Umzug in die Fröttmanin­ger Heimat waren fortan sämtliche Spiele ausverkauf­t. Nicht einmal ein Paderborne­r Gastspiel hielt die Zuschauer von einem Besuch des Stadions ab.

Viel mehr als verwöhnt sind die Münchner Anhänger als kenntnisre­ich zu bezeichnen. Wo andernorts eine Grätsche auf Höhe der Mittellini­e zu mächtigem Applaus führt, darf es in der Allianz-Arena gerne ein bisschen mehr sein. Zu bedingungs­loser und voraussetz­ungsfreier Hingabe sind die Fans nur in Ausnahmefä­llen fähig. Achtelfina­laufwärts in der Champions League beispielsw­eise. Oder aber wenn Borussia Dortmund gastiert.

Dann verwandeln sich Banker, Controller und Juristen von Anpfiff an in eine schreiende Masse. Bayern gegen Dortmund ist das Hochfest des deutschen Fußballs. Eines, das in der diesjährig­en Ausgabe aber anders begangen wird als in all den Ausgaben. Zuschauer sind im Stadion selbstvers­tändlich nicht zugelassen. „Daran kann man sich nicht gewöhnen“, sagt Bayerns Trainer Hansi Flick auch noch ein Jahr nachdem sein Team das letzte Bundesliga­spiel vor Fans bestritten hat

000 Fans sahen am 8. März 2020 ein 2:0 gegen Augsburg). Fans würden Energie freisetzen, so der Coach.

Bisher kamen die Münchner auch ohne die Schubkraft von der Tribüne gut durch die Krise. Besser als alle anderen Bundesligi­sten. Auch wenn es in der Defensive immer noch knirscht, stehen die Münchner Tabellenfü­hrer zwei Punkte vor ihrem ärgsten Verfolger. Als solcher hatten sich die Dortmunder über ein Jahrzehnt verstanden. Sie waren es, die die Bayern durch die Meistersch­aften 2011 und 2012 zu Großtaten angespornt haben.

Derzeit aber rangieren sie auf Platz fünf, 13 Zähler hinter den Münchnern, und selbst die Qualifi(75 kation für die Champions League ist in Gefahr. Mögen die Ergebnisse der vergangene­n Wochen die Verantwort­lichen auch optimistis­ch stimmen: Der BVB hinkt seinen Ansprüchen hinterher und von einem wirklichen Spitzenspi­el zu sprechen verbietet sich nach einem kurzen Blick auf die Tabelle. Noch dazu müssen die Dortmunder möglichera­ls weise auf die angeschlag­enen Jadon Sancho und Raphael Guerreiro verzichten – zwei der besten Borussen.

Keine Zuschauer, kein Spitzenspi­el, fehlende Stars. Trotzdem bleibt Flick bei seiner Meinung: „Spiele gegen Dortmund sind immer etwas Besonderes.“Das trifft im Speziellen auf ihn ihn persönlich zu. Vor 15 Monaten bestritt Flick sein erstes Bundesliga­spiel als Interimstr­ainer der Bayern. Gegen Dortmund. Die zuvor von den Frankfurte­rn gedemütigt­en Bayern (5:1) traten ultraoffen­siv gegen den BVB an, umstellten den gegnerisch­en Strafraum bei Abstößen mit fünf Mann und traten mit einem 4:0-Sieg den Weg zurück an die Bundesliga­spitze an. Fortan glitten die Münchner monatelang energisch durch sämtliche Wettbewerb­e.

Mittlerwei­le aber können sie den Druck auf ihre Gegner nicht mehr konsequent hochhalten. In jedem Spiel ermögliche­n sie es ihrem Gegenüber zumindest kurzzeitig, Kontrolle über das Geschehen zu erlangen. Selbst das letztwöchi­ge 5:1 gegen Köln war nicht ohne Makel. Anderersei­ts verfügen sie eben auch über eine Offensive, die in ihrem Gestaltung­swillen und Tordrang zumindest in Deutschlan­d einzigarti­g ist. Das dürfte auch die kommenden Jahre so bleiben. Dann dürfte auch Jamal Musiala zu jenen Kreativen gehören, die gegnerisch­e Trainer schrecken. Die Münchner gaben am Freitag bekannt, dass der 18-Jährige einen bis 2026 gültigen Profivertr­ag unterschri­eben hat.

Bis dahin wird er auch in einem vollen Stadion vor röhrenden Massen gegen die Borussen spielen. Möglicherw­eise sogar in einem Spitzenspi­el. Dieses Jahr aber ist eben alles anders.

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Foto: Martin Meissner, dpa Marco Reus und Manuel Neuer verstehen sich gut. Das ist begrüßensw­ert. Ein wenig jener Galligkeit, die jahrelang das Duell zwi‰ schen Bayern und Dortmund prägte, wäre aber auch ganz schön.

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