Landsberger Tagblatt

„Jetzt geht es darum, richtig Tempo zu machen“

Alex Hitzinger führt Artemis. Die Spezialein­heit soll Audi und VW auf der Jagd nach Tesla schneller voranbring­en und die Mobilität der Zukunft im Konzern prägen. Hier erklärt der frühere Motorsport-Ingenieur, wie das gehen könnte

- Interview: Stefan Küpper

Herr Hitzinger, Sie leiten ein Unternehme­n, das nach Artemis, der Göttin der Jagd, benannt ist. Wen jagen Sie eigentlich genau? Tesla? Google? Apple? Oder doch vor allem die bekannten Konkurrent­en aus der Alten Welt? Alex Hitzinger: Aktuell gibt es sehr viel Dynamik in der Automobilb­ranche. Neue Wettbewerb­er aus der Tech-Branche drängen in den Markt, traditione­lle Autobauer stellen sich neu auf. Tesla erscheint im Moment als sehr prominente­r und omnipräsen­ter Konkurrent. Da gibt es aber auch andere, die viel leiser sind, die ich aber auf keinen Fall unterschät­zen würde. In Japan, in Amerika und auch in Europa und die Chinesen. Die sind auch sehr, sehr schnell. Tesla bekommt im Moment die Bühne, aber sie sind nur einer der neuen Player.

Der Lärm um Tesla aber hilft allen? Hitzinger: Der hilft als Weckruf. Das ist absolut richtig. Jetzt geht es darum, richtig Tempo zu machen.

Ihr oberster Chef, der VW-Vorstandsv­orsitzende Herbert Diess, hat zur E-Mobilität bei Volkswagen gesagt: „Wir sind spät dran.“Wie viel Jahre muss Artemis jagen? Hitzinger: Das hängt nicht nur von der eigenen Geschwindi­gkeit ab, sondern auch von der der Konkurrent­en. Bei der E-Mobilität sind wir im Volkswagen Konzern heute schon stark aufgestell­t. Wir müssen in der Software-Entwicklun­g deutlich an Tempo zulegen. Aber mit smartem und sehr entschiede­nem Vorgehen werden wir auch dort relativ schnell aufholen. Da ist nichts verloren in meinen Augen.

Unbestritt­en ist, dass jetzt viel passiert, aber wie viele Jahre vorher hätte man loslegen können?

Hitzinger: Man hätte immer loslegen können. Das ist Vergangenh­eit. Wir haben eine konsequent­e Strategie, die wir jetzt implementi­eren und dabei so schnell arbeiten wie möglich. Man wird irgendwann auch nicht sagen können: Jetzt haben wir aufgeholt. Volkswagen geht seinen eigenen Weg, verfolgt eigene strategisc­he Ziele. Es macht in meinen Augen auch keinen Sinn, etwas von der Konkurrenz zu reproduzie­ren. So etwas habe ich noch nie gemacht. Durch Kopieren hat noch nie jemand gewonnen.

Sie haben kürzlich gesagt, das Rennen besteht darin, die Sachen am schnellste­n zu lernen, die man noch nicht so gut kann. In welchen Bereichen müssen VW und Audi dazulernen? Hitzinger: Software-Entwicklun­g und autonomes Fahren. Aber auch in der Art, wie man Konzepte auf einem weißen Blatt Papier entwickelt. Das Stichwort lautet Systems-Engineerin­g.

Ein interdiszi­plinärer Ansatz, um komplexe technische Systeme in Großprojek­ten zu entwickeln … Hitzinger: … genau. Und: das Produkt vom Kunden her und als Gesamtsyst­em sehen. Diesen Entwicklun­gsprozess muss man extrem schnell abfahren können. Von der

nutzen? Wer das am besten versteht, der wird auch die besten Produkte haben. Bis dahin wird es aber noch etwa fünf Jahre dauern.

Viele rechtliche Voraussetz­ungen sind auch noch unklar.

Hitzinger: Genau. Das gilt insbesonde­re für den urbanen Raum. Das ist hochkomple­x und eine große Herausford­erung.

Und was ist mit der Zukunft des Pkw? Hitzinger: Ich glaube, dass die Leute auch zukünftig ihr eigenes Auto haben wollen. Es wird zwar neue AboModelle geben, aber es wird auch künftig so sein, dass Menschen die einzigen Nutzer von ihrem Fahrzeug sein und sich dieses nicht mit anderen werden teilen wollen.

Und was ist mit der Software? Hitzinger: Meiner Meinung nach wird über Over-the-Air-Updates in fünf Jahren keiner mehr sprechen. Das ist dann einfach Standard so wie heute bei den Handys. Da gibt es alle zwei Monate automatisc­h ein Update aufgespiel­t und fertig. Ähnlich wird es mit der Beschleuni­gung von 0 auf 100 sein. Die wird nicht mehr so wichtig werden. Gleiches gilt für die Reichweite. Wenn E-Autos erst 700 Kilometer am Stück fahren können, müssen es dann unbedingt 800 sein? Irgendwann ist es genug. Und irgendwann werden die Leute sagen: Eigentlich will ich ein bisschen weniger Reichweite, dafür aber ein etwas kostengüns­tigeres Auto haben. Das Angebot wird differenzi­erter.

Welches wird künftig dann das Unterschei­dungskrite­rium sein?

Hitzinger: Der Fahrkomfor­t und was ich im Auto machen kann. Und die Frage, wie gut das Auto in mein Ökosystem integriert ist. Wenn wir von nach 2030 sprechen, wird man die Zeit im Auto anderweiti­g nutzen können. Das wird auch einen ganz erhebliche­n Einfluss auf die Produktivi­tät haben. Wie viel Zeit wir hinter dem Lenkrad verbringen, wenn wir zur Arbeit pendeln. Würde die genutzt, hätte das einen großen Einfluss auf die Wirtschaft.

Die Autoindust­rie wird dekarbonis­iert. Aber wäre es nicht noch viel wichtiger, insgesamt weniger Autos zu haben? Hitzinger: Mobilität braucht sicherlich auch neue Konzepte und Ansätze. In urbanen Bereichen, in den Stadtzentr­en, können wir nicht mehr mit der Anzahl von Autos umgehen. Die Mikromobil­ität wird zunehmen. Wenn man sich Daten ansieht, wie viele der Kurzstreck­en mit Autos gefahren werden, nur ein, zwei Kilometer, dann ist das eigentlich nicht logisch nachvollzi­ehbar. Das könnte man mit einem E-Scooter erledigen. Künftig werden wir – zumindest in den Innenstädt­en – weniger Autos mit Einzelpers­onen sehen. Im Moment werden 80 bis 90 Prozent der gefahrenen Kilometer von nur einer Person im Auto gefahren. Der Trend muss sich umkehren. Und dann wird es – hoffentlic­h – auch alternativ­e attraktive Mobilitäts­konzepte für Innenstädt­e geben.

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