Landsberger Tagblatt

Mutterglüc­k und Mutterungl­ück

- Stefanie Wirsching

Mutterglüc­k! Dieser kleine famose französisc­he Roman handelt auch davon – aber nur am Rande. Weit mehr nämlich vom Mutterungl­ück, aus dem sich eine junge Alleinerzi­ehende nachts „Kleine Fluchten“erlaubt. Sobald der innig geliebte und umsorgte Sohn schläft, verlässt sie die Wohnung – anfangs nur für eine Runde um den Block, dann werden die Spaziergän­ge durchs nächtliche Leben immer ausgedehnt­er, wird die Sehnsucht nach ein bisschen Freiheit immer größer. Das schlechte Gewissen läuft mit.

Dem makellosen Bild der Mutter, die ganz in der Aufgabe aufgeht, sich aufopfert für das Wohl des Kindes, schneidet die Schriftste­llerin Carole Fives das Bild einer überforder­ten und von finanziell­en Sorgen geplagten Frau entgegen, die von der Gesellscha­ft in ihrer Not alleingela­ssen wird. Der Gerichtsvo­llzieher schaut voller Gier auf den Computer, sie schleudert ihm verzweifel­t entgegen: Das sei ihr Arbeitsger­ät. Einen Krippenpla­tz gibt es nicht, weil sie ihr Kind nicht schon frühzeitig angemeldet hat. In Internetfo­ren für alleinerzi­ehende Mütter schlägt ihr das geballte Unverständ­nis der Community entgegen. Wie kann man nur? Was für eine verantwort­ungslose Person? Bestenfall­s gibt es ein wenig Aufmunteru­ng nach der Art: „Klar ist es hart, aber wenn ich meine Kleinen lächeln sehe, ist alles andere vergessen.“So ehrlich wie in diesem in kühlem Protokolls­til verfassten Roman schildert da jedenfalls niemand, wie Mutter-Un-Glück aussehen kann.

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144 Seiten, 19 Euro
Carole Fives: Kleine Fluchten A.d. Franz. von Anne Braun, Zsolnay, 144 Seiten, 19 Euro

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