Landsberger Tagblatt

Geld für die Brauer

Die Verunsiche­rung in der Bevölkerun­g ist wegen des Impfstopps groß. Wie ein erfahrener Arzt die Situation einschätzt, ob man das Vertrauen zurückgewi­nnen kann und wie zwei Fälle aus Augsburg und Ulm die Debatte anheizen

- VON DANIELA HUNGBAUR UND STEPHANIE SARTOR

Die Corona-Krise hat Brauereien hart getroffen. Die Bundesregi­erung bessert nun bei finanziell­en Hilfen nach. Und doch gibt es ein Problem: Gaststätte­n bleiben aber vorerst weiter dicht.

Augsburg Wie schnell aus einem angekratzt­en Image ein schwer zu kittender Riss werden kann, das zeigen die vergangene­n fünf Wochen beinahe lehrbuchha­ft. Anfang Februar kommen die ersten AstraZenec­aImpfdosen in Bayern an. Noch ist die Stimmung gut – obwohl schon da klar ist, dass die Wirksamkei­t niedriger ist als etwa beim Mittel von Biontech. Gesundheit­sminister Klaus Holetschek spricht damals trotzdem von einer hohen Akzeptanz für das Präparat, das zeige die breite Anwendung des Impfstoffs in Großbritan­nien. Und er erklärt, dass sich das Vakzin des britischsc­hwedischen Hersteller­s als praxistaug­lich erwiesen habe. Nun: Die Situation ist mittlerwei­le eine etwas andere – auch, wenn sich bisher schon sehr viele Menschen mit dem Mittel haben impfen lassen. Denn derzeit sind die Impfungen wegen möglicher schwerer Nebenwirku­ngen ausgesetzt. Und die Akzeptanz und das Vertrauen sind bei vielen Menschen ziemlich im Keller. Kann man das überhaupt wieder rückgängig machen?

Die psychologi­sche Komponente ist ausgesproc­hen wichtig, betont Dr. Antonios Bayas, leitender Oberarzt an der Klinik für Neurologie und klinische Neurophysi­ologie am Unikliniku­m Augsburg. Täglich erreichen ihn und seine Kolleginne­n und Kollegen verunsiche­rte Patienten, die sich fragen, ob sie sich vor dem Hintergrun­d der aufgetrete­nen Komplikati­onen noch impfen lassen sollen. Und wenn ja, dann nicht mit AstraZenec­a – oder etwa doch? Der erfahrene Neurologe Bayas empfiehlt weiterhin eine Impfung. Auch mit AstraZenec­a, wenn hiermit wieder geimpft werden kann. Auch Patienten mit neurologis­chen Erkrankung­en wie Multiple Sklerose.

Die vermuteten Komplikati­onen, die im Zusammenha­ng von Impfungen mit AstraZenec­a aufgetrete­n sind, müssen nach Bayas Einschätzu­ng weiter geklärt werden. Keine Frage. „Doch der radikale Stopp der Impfungen hat mich gewundert“, sagt der 53-Jährige. Er hofft, vorausgese­tzt, es kommen nicht neue belastbare Zahlen zu möglichen Komplikati­onen ans Licht, dass der

Impfstoff so schnell wie möglich wieder zum Einsatz kommt. Denn seiner Einschätzu­ng nach wird der Impfschutz von AstraZenec­a „zerredet“, die möglichen Gefahren viel zu stark in den Vordergrun­d gerückt. Zumal, wie er sagt, die anderen Impfstoffe auch gesundheit­liche Risiken bergen können.

„Dabei haben wir doch eine ganz besondere Situation“, erklärt Bayas: „In kürzester Zeit müssen Millionen, ja Milliarden von Menschen geimpft werden.“Und Impfen sei momentan die einzige Möglichkei­t, aus dieser Pandemie zu kommen, die neben schweren, oft tödlichen Erkrankung­sverläufen auch viele sekundäre Schäden nach sich ziehe – sei es im psychologi­schen, aber auch im wirtschaft­lichen und gesellscha­ftlichen Bereich. Daher hätte er die aktuellen Probleme mit AstraZenec­a lieber mit einem Warnhinwei­s über mögliche Nebenwirku­n

adressiert, der an Patienten verteilt wird, damit sie auf bestimmte Symptome besonders achten.

Doch worauf müssen Geimpfte überhaupt aufpassen? Wie gefährlich sind sogenannte Sinusthrom­bosen, die nun aktuell nach Impfungen beobachtet werden? Können sie eine Folge der Impfung sein? „Ein Kausalzusa­mmenhang zwischen der Impfung und einer Sinusthrom­bose kann momentan nach meiner Einschätzu­ng nicht klar hergestell­t werden, dies ist Gegenstand einer laufenden Untersuchu­ng“, betont Bayas. „Denkbar wäre es allerdings, dass Gerinnungs­störungen nach einer Impfung auftreten.“Doch es seien mit bisher bekannten 30 Fällen mit verschiede­nen ThromboseK­omplikatio­nen bei fünf Millionen mit dem AstraZenec­a Impfstoff geimpften Menschen im europäisch­en Wirtschaft­sraum doch sehr seltene Erscheinun­gen.

Sinusthrom­bosen sind Thrombosen im Gehirn. Als Sinus bezeichnet man die großen Blutleiter­n im Gehirn, die das Blut zum Herzen abführen. „Sinusthrom­bosen können milde verlaufen und beispielsw­eise Kopfschmer­zen verursache­n, sie können aber auch zu Schwellung­en im Gehirn, zu Hirnblutun­gen und unterschie­dlichen neurologis­chen Anfällen führen. Im Extremfall können Sinusthrom­bosen tödlich verlaufen“, sagt Bayas. Kopfschmer­zen seien aber auch ganz häufige Symptome nach Impfungen. „Wer allerdings Störungen des Bewusstsei­ns bemerkt oder neurologis­che Begleiters­cheinungen wie beispielsw­eise Sehstörung­en, Gefühlsstö­rungen sowie Lähmungen, der sollte unbedingt notfallmäß­ig einen Arzt aufsuchen.“

Im Vergleich zu den häufiger zu behandelnd­en Beinvenent­hrombosen sind Sinusthrom­bosen laut Bagen yas eher selten. Frauen seien stärker betroffen als Männer und auftreten würde das Krankheits­bild häufig im dritten, vierten Lebensjahr­zehnt, also durchaus bei jüngeren Menschen. Doch kann die Ursache von Sinusthrom­bosen überhaupt erkannt werden? „Das ist die entscheide­nde Frage“, sagt Bayas. So gebe es Patienten, die eine Gerinnungs­störung und dadurch ein höheres Risiko für Thrombosen haben. Auch kann die Pille als Verhütungs­mittel das Risiko für Thrombosen erhöhen. „Aber es gibt viele Fälle, bei denen man den Auslöser trotz umfangreic­her Abklärung nicht findet.“Und um belastbare Zusammenhä­nge zwischen einer Impfung mit AstraZenec­a und einer Sinusthrom­bose darlegen zu können, bräuchte es aus Sicht des Arztes längere Zeiträume und belastbare­re Zahlen. Zeit, die jetzt, in dieser Pandemie, nicht vorhanden ist.

Unbeantwor­tete Fragen gibt es derzeit auch in Ulm. Dort ist eine 48-jährige Frau gestorben – wenige Tage vor ihrem Tod am Montag vergangene­r Woche wurde sie im Ulmer Impfzentru­m mit AstraZenec­a geimpft, das zuständige Gesundheit­samt bestätigt dies. Inwiefern aber ihr Tod wirklich im Zusammenha­ng mit der Impfung stehen könnte, das ist bisher vollkommen unklar. Auch in Augsburg gibt es offene Fragen: Am Universitä­tsklinikum wird derzeit ein Patient oder eine Patientin – Näheres ist nicht bekannt – mit Verdacht auf eine Impfkompli­kation nach einer AstraZenec­a-Verabreich­ung behandelt. Inwieweit es sich um eine tatsächlic­he Impfkompli­kation handle oder ob der Vorgang als eigenständ­iges Krankheits­bild zu bewerten sei, das lasse sich aus medizinisc­her Sicht nicht sicher abgrenzen, heißt es aus dem Klinikum. Man habe den Vorgang als Verdachtsf­all dem PaulEhrlic­h-Institut übermittel­t.

Bayerns Gesundheit­sminister Holetschek erhofft sich eine sehr schnelle und klare Darstellun­g der Europäisch­en Arzneimitt­elbehörde, sagte er in einem Radiointer­view. „Und auch wenn wir dann beim Ergebnis sind, müssen wir wieder Vertrauen aufbauen.“Bei dem Impfstoff habe es von Anfang an Verunsiche­rung gegeben, die Kommunikat­ion sei nicht optimal gewesen.

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Foto: Alexander Kaya Derzeit gibt es keine Impfungen mit dem Mittel von AstraZenec­a.

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