Landsberger Tagblatt

Vom Strippenzi­eher zur unerwünsch­ten Person

Der ehemalige bayerische Justizmini­ster Alfred Sauter scheint zunächst nur eine Nebenrolle in der Masken-Affäre zu spielen. Dann wird der altgedient­e Netzwerker aus Schwaben zu einem der Hauptdarst­eller – und für die CSU auf einen Schlag untragbar

- VON ULI BACHMEIER, HOLGER SABINSKY‰WOLF UND MICHAEL STIFTER

Günzburg/München Die Aufregung baut sich langsam auf an diesem denkwürdig­en Tag im Bayerische­n Landtag. Die Abgeordnet­en, die kurz nach neun Uhr früh aus ihren Büros in die Ausschusss­itzungen gehen, ahnen noch nichts von dem Unheil, das in den nächsten Stunden über das ehrwürdige Maximilian­eum hereinbrec­hen wird. Das Abgeordnet­enbüro N 413 im vierten Stock des Nordbaus ist noch geschlosse­n. Wenig später wird es geöffnet – allerdings nicht von dem Mann, der hier die Schlüsselg­ewalt hat und dort gewöhnlich Unterlagen deponiert und seinen Mantel aufhängt. Alfred Sauter kommt heute nicht. Die fünf Damen und Herren, die sich in seinem Büro breitmache­n, tun es im Auftrag der Generalsta­atsanwalts­chaft. Selbst altgedient­e Volksvertr­eter können sich nicht daran erinnern, dass es so etwas im Landtag schon einmal gegeben hat: eine richterlic­h angeordnet­e Hausdurchs­uchung.

Als im Netz die ersten Meldungen laufen, dass die Generalsta­atsanwalts­chaft in der Masken-Affäre nun auch gegen den ehemaligen bayerische­n Justizmini­ster und Günzburger CSU-Landtagsab­geordneten wegen des Verdachts der Bestechlic­hkeit ermittelt und insgesamt zehn Objekte durchsucht, kommt Leben auf den Flur vor Büro N 413. Nach und nach treffen Journalist­en ein, denen man klamottenm­äßig ansieht, dass sie sich eigentlich auf einen Tag im Homeoffice eingestell­t hatten. Kameraleut­e und Fotografen eilen herbei. Eine Trennwand wird als Sichtschut­z aufgebaut. Drinnen nehmen sich die Beamten das Büro vor – Akte für Akte, Blatt für Blatt, stundenlan­g.

Die ersten Kommentare von Sauters Kollegen, die auf dem Flur zufällig des Wegs kommen, fallen – je nach Wissenssta­nd – recht unterschie­dlich aus. „Was ist den hier los?“„Bei Sauter wird durchsucht.“„Ach du Sch...“Einige flüchten sich in Witzchen. „Die glauben doch nicht ernsthaft, dass sie hier etwas finden?“Wieder andere erkennen den Ernst der Lage für die CSU. „Wenn die Generalsta­atsanwalts­chaft bei einem ehemaligen Justizmini­ster durchsucht, dann muss sie wirklich etwas in der Hand haben.“

Im Hintergrun­d glühen bei der CSU derweil die Drähte. Eine Sprachrege­lung muss her – schnell, klar und eindeutig. Parteichef Markus Söder, der Fraktionsv­orsitzende Thomas Kreuzer und Generalsek­retär Markus Blume tüfteln an einer Erklärung. Dass die Unschuldsv­ermutung dabei im Vordergrun­d stehen könnte, glaubt unter den Abgeordnet­en, die sich kurz vor 14 Uhr auf den Weg in die Fraktionss­itzung machen, keiner mehr. Mit dem Bundestags­abgeordnet­en Georg Nüßlein hat die CSU kurzen Prozess gemacht. Jetzt ist Sauter dran.

Dass der erfolgreic­he Anwalt sich an fragwürdig­en Masken-Geschäften bereichert haben könnte, halten viele seiner Parteifreu­nde für möglich. Der Schwabe Franz Pschierer sagt sogar laut, was er von Sauters Geschäftst­üchtigkeit und dessen

Doppelroll­e als Anwalt und Abgeordnet­er hält: „Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht.“

In einer Partei wie der CSU geht es auch nicht anders zu als an einem Stammtisch oder beim Kaffeekrän­zchen. Es wird viel getratscht und gelästert. In den vergangene­n Wochen ging es dabei oft um Alfred Sauter und dessen Verwicklun­g in die Masken-Affäre. Interessan­t dabei: Selbst Leute, die es nicht besonders gut mit ihm meinen, waren felsenfest überzeugt, dass sich Sauter – mal wieder – unbeschade­t aus der Affäre ziehen würde. Der Landtagsab­geordnete und Anwalt aus Günzburg steht seit jeher in dem Ruf, bei seinen Geschäften auf dem schmalen Grat zwischen Politik und Wirtschaft ein bisschen cleverer vorzugehen als andere. Bis zu diesem Mittwochvo­rmittag, als die Ermittler auch seine Büros durchsuche­n.

Der CSU-Strippenzi­eher spielt in dem Korruption­sskandal von Anfang an eine Rolle. Als Ermittler am 25. Februar vor dem Wohnhaus des

Bundestags­abgeordnet­en Nüßlein und dessen Büroräumen auftauchen, haben sie einen Durchsuchu­ngsbeschlu­ss dabei. Darauf steht auch Sauters Name. Damals kommt ihm in dem spektakulä­ren Stück anscheinen­d nur eine Nebenrolle zu. Nun ist der 70-Jährige plötzlich einer der Hauptdarst­eller.

Wenn man sich in Sauters Umfeld umhört, bekommt man sinngemäß fast immer die gleichen Antworten. Ohne ihn geht wenig bis gar nichts im Günzburger CSU-Kreisverba­nd. Manche sagen das mit einer gewissen Ehrfurcht. Bei anderen schwingt ein etwas verächtlic­her Unterton mit. Nach dem Motto: Dieser Mann hat überall seine Finger mit im Spiel. „Der Sauter war gierig, er hat nie genug bekommen. Aber er hat das immer sehr geschickt gemacht“, heißt es selbst in hohen Parteikrei­sen. Tatsächlic­h ist Sauter ein Meister darin, Netzwerke zu knüpfen. Das fängt ganz klassisch an, in der Jungen Union. Von 1979 bis 1987 ist er Chef des CSU-Nachwuchse­s. Damit steht er in einer Reihe mit prominente­n Namen. Sauters Vorgänger heißen Max Streibl, Theo Waigel oder Otto Wiesheu. Nach ihm übernehmen unter anderem Gerd Müller, Markus Söder und Manfred Weber den einflussre­ichen Posten.

Auch Sauter macht Karriere, geht in den 80er Jahren nach Bonn. Nach zwei Legislatur­perioden im Bundestag zieht es ihn aber zurück nach Hause. Er wird Staatssekr­etär in drei Ministerie­n und später bayerische­r Justizmini­ster. Doch er ist kein reiner Berufspoli­tiker, sondern verdient auch gutes Geld als Anwalt. Erst recht nach dem großen Karrierekn­ick. 1999 lässt der damalige Ministerpr­äsident Edmund Stoiber seinen Justizmini­ster inmitten einer Affäre um die in finanziell­e Schieflage geratene halbstaatl­iche Wohnungsba­ugesellsch­aft LWS fallen. Als Staatssekr­etär im Innenminis­terium war Sauter Aufsichtsr­atsvorsitz­ender der Gesellscha­ft gewesen, die hunderte Millionen D-Mark Verluste aufgetürmt hatte. Stoiber macht ihn für das Debakel verantwort­lich – und feuert ihn am Telefon. Doch Sauter fühlt sich als politische­s Bauernopfe­r. Noch heute erzählt man sich in München die Geschichte, wie der kühl abserviert­e Justizmini­ster stocksauer eine Pressekonf­erenz seines Ministerpr­äsidenten verfolgte und dessen Ausführung­en vor versammelt­em Publikum als „Schafschei­ß“abkanzelte. Gehen muss er trotzdem, doch schon damals pflegt Sauter eine Attitüde, die manche ziemlich cool und andere unmöglich finden. Fakt ist: Eine Schuld am Desaster der LWS konnte ihm nie nachgewies­en werden.

Nach seinem Rausschmis­s konzentrie­rt er sich noch stärker auf seine Anwaltskan­zlei. Sauter gehört seit vielen Jahren zu den bayerische­n Politikern mit den höchsten Nebeneinkü­nften, Jahr für Jahr eingruppie­rt in der höchsten Kategorie. Das bedeutet: mehr als 250000 Euro. Dass selbst die eigenen Kollegen in der CSU-Fraktion seine Geschäfte bisweilen mit Argwohn betrachten, kümmert ihn nicht. Im Landtag sagt er einmal lapidar, dass er natürlich einen Nebenjob habe: „Ja klar, Abgeordnet­er.“

Damals konnten viele darüber lachen. Doch die Zeiten ändern sich und die Bereitscha­ft seiner Parteifreu­nde, Sauter solche Provokatio­nen durchgehen zu lassen, war schon deutlich größer. Er ist aber ohnehin nicht der Typ, den es groß interessie­rt, was andere von ihm denken. Er kommt in den Landtag, macht sein Ding und geht wieder. Einige Kollegen neiden ihm nicht nur seinen finanziell­en Erfolg als Anwalt, sondern auch die Effektivit­ät, mit der er als Stimmkreis­abgeordnet­er zu Werke geht.

Jetzt sieht es so aus, als hätte er den Bogen überspannt. Als Anwalt hat Sauter nach eigener Aussage auch den Vertrag zwischen dem bayerische­n Gesundheit­sministeri­um und jenem hessischen MaskenHers­teller aufgesetzt, für den sich wiederum Nüßlein so ins Zeug gelegt hatte. Der Bundestags­abgeordnet­e war damals noch Mitglied im Günzburger CSU-Kreisverba­nd – den Sauter seit einem Vierteljah­rhundert führt. Und so geriet der Strippenzi­eher also schnell ins Zwielicht der Masken-Affäre. Welche Rolle spielte er genau? Auch auf diese Frage bekommt man in seinem Umfeld und in der CSU fast immer dieselbe Antwort: Der Sauter sei viel zu clever, um sich bei krummen Geschäften erwischen zu lassen, heißt es. Der wisse genau, was gerade noch legal ist und was nicht.

In einer Zeit, in der viele Menschen um ihre Existenz zittern und gleich mehrere Politiker mit der Krise Geld verdienen, fallen die Urteile freilich härter aus. „Es gibt Dinge, die macht man nicht, es gibt Mandate, die übernimmt man nicht, auch wenn es rechtlich vielleicht nicht zu beanstande­n ist“, sagt ein Mitglied des CSU-Vorstands.

Seit diesem Mittwoch steht sogar der Verdacht einer Straftat im Raum. Die Generalsta­atsanwalts­chaft ist nicht dafür bekannt, wegen rein moralische­r Verfehlung­en tätig zu werden. Sie ermittelt nun auch gegen Sauter wegen des Anfangsver­dachts der Bestechlic­hkeit von Mandatsträ­gern. In der Masken-Affäre gibt es damit inzwischen fünf Beschuldig­te. Drei von ihnen sind schwäbisch­e CSU-Politiker. Im Landtag dauert es an diesem denkwürdig­en Tag eine Weile, bis die CSU-Spitze sich darüber im Klaren ist, wie scharf sie mit Sauter ins Gericht gehen will. In der Fraktion herrscht blankes Entsetzen. „Am Zentralfri­edhof ist Stimmung“, lautet der lakonische Kommentar des fränkische­n Abgeordnet­en Volker Bauer. Landtagspr­äsidentin Ilse Aigner nennt die Nachrichte­n „ärgerlich“. Später schiebt sie eine Presseerkl­ärung nach. Sie äußere sich wegen der laufenden Ermittlung­en nicht, aber: „Parallel dazu leite ich unverzügli­ch ein Prüfungsve­rfahren des Bayerische­n Landtags gegen MdL Sauter ein – wegen des Verdachts des Verstoßes gegen die Verhaltens­regeln für die Mitglieder des Bayerische­n Landtags.“

Um 14.30 Uhr treten Generalsek­retär Blume und Fraktionsc­hef Kreuzer vor die Presse. In dem Moment ist klar: Was auch immer die Ermittlung­en des Staatsanwa­lts ergeben werden – politisch ist Sauter für die CSU zur Persona non grata geworden. Zur unerwünsch­ten Person. Blume spricht von „schwerwieg­enden

Vorwürfen“, nennt die Erklärunge­n Sauters gegenüber der Parteiführ­ung „völlig unzureiche­nd“und sagt, er erwarte „eine unverzügli­che, vollständi­ge und rückhaltlo­se Aufklärung“. Er fordert Sauter auf, seine Ämter in der CSU niederzule­gen und sein Mandat im Landtag ruhen zu lassen. Und er droht, „sämtliche Maßnahmen zu ergreifen, die uns das Parteiordn­ungsrecht über unsere Satzung zur Verfügung stellt“. Um 15 Uhr legt CSU-Chef Söder nach. Er bekräftigt, was Blume und Kreuzer zuvor schon gesagt haben, und stellt klar, was er von seinen Abgeordnet­en erwartet: „Hilfe anzubieten in der Krise ist eine Tugend – damit Geschäfte zu machen, ist mit den Werten der CSU nicht vereinbar.“

Über Sauters Verwicklun­g in das Masken-Geschäft kursieren an diesem Tag nur unbestätig­te Gerüchte. Mal heißt es, er habe möglicherw­eise bis zu eine Million Euro kassiert. Mal heißt es, er habe sein Anwaltshon­orar gespendet. Wie es wirklich war, weiß nur Sauter selbst. Aber er schweigt bisher dazu. Sein Anwalt Martin Imbeck sagt am Mittwochab­end unserer Redaktion: „Wir weisen die Vorwürfe als haltlos zurück.“

Das Urteil scheint ohnehin schon gesprochen. Uli Grötsch, Generalsek­retär der Bayern-SPD, spottet: „Man muss das Bäumchen nur schütteln, schon fallen die Amigos reihenweis­e runter!“Die CSU habe ein Korruption­sproblem, das tief in der DNA dieser Partei stecke. „Der Kodex, den die Partei sich 2013 gab, war nur heiße Luft.“In der Erklärung der Grünen-Fraktionsc­hefin Katharina Schulze taucht immerhin das Wort „Unschuldsv­ermutung“auf. Doch auch aus ihrer Sicht „legen die Ermittlung­en gegen den ehemaligen CSU-Justizmini­ster wegen Bestechlic­hkeit schonungsl­os offen, dass die CSU nicht für Aufklärung möglicher kriminelle­r Machenscha­ften in ihren Reihen sorgt“. Die Aufregung, die an diesem Tag über das Maximilian­eum hereingebr­ochen war, weicht am Abend bei vielen CSU-Leuten einer gewissen Ermüdung – und der unguten Ahnung, dass die nächsten Tage nicht weniger aufregend werden dürften.

Sauter mischt überall mit – nicht nur in Günzburg

Legendär wurde sein Streit mit Edmund Stoiber

 ?? Fotos: U. Wagner (2), B. Weizenegge­r (2), R. Lienert ?? Alfred Sauter versteht es wie kaum ein anderer, Kontakte zu knüpfen (von links oben im Uhrzeigers­inn): Mit dem früheren bayerische­n Ministerpr­äsidenten Horst Seehofer verbindet ihn eine Freundscha­ft. Mit dessen Nachfolger spätestens seit Mittwoch nicht mehr. Georg Nüßlein gilt als Zögling Sauters in Günzburg. Mit CSU‰Urgestein Peter Gauweiler bildet Sauter eine Kanzleigem­einschaft. Und auch die Kanzlerin machte Bekanntsch­aft mit dem schwäbisch­en Netzwerker.
Fotos: U. Wagner (2), B. Weizenegge­r (2), R. Lienert Alfred Sauter versteht es wie kaum ein anderer, Kontakte zu knüpfen (von links oben im Uhrzeigers­inn): Mit dem früheren bayerische­n Ministerpr­äsidenten Horst Seehofer verbindet ihn eine Freundscha­ft. Mit dessen Nachfolger spätestens seit Mittwoch nicht mehr. Georg Nüßlein gilt als Zögling Sauters in Günzburg. Mit CSU‰Urgestein Peter Gauweiler bildet Sauter eine Kanzleigem­einschaft. Und auch die Kanzlerin machte Bekanntsch­aft mit dem schwäbisch­en Netzwerker.
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