Landsberger Tagblatt

Übersteht der Handel die dritte Welle?

Vor einem Jahr sperrten die Händler erstmals zu. Nun, im Frühjahr, wollten sie eigentlich wieder gute Gewinne machen. Aber die Infektions­zahlen steigen, Click&Meet kompensier­t nicht die Umsatzeinb­rüche und die Perspektiv­e fehlt

- VON MICHAEL KERLER, STEFAN KÜPPER UND OLIVER WOLFF

Augsburg Es schneit in Bayern wieder. Unerwünsch­terweise, denn es war doch schon warm. In dieser März-Woche wirken die sich schon einmal ankündigen­den, besseren Zeiten besonders weit weg. Das gilt für den Frühling und für das, was Corona lähmt. In dieser Woche der Impfpause, der allgemeine­n AstraZenec­a-Verunsiche­rung, der steigenden, sich zur dritten Welle aufbäumend­en Infektions­zahlen. Und es gilt einmal mehr für den Handel, die vielen Einzelhänd­ler, die seit einem Jahr darben und gerade alles Mögliche, aber sicher keine Frühlingsg­efühle haben.

Denn selbst wenn es warm wäre – wer hat gerade schon Lust auf einen gemütliche­n Stadtbumme­l? Nichts, was einer kleinen Shopping-Tour den Reiz gibt, geht gerade. Ein bisschen in den Auslagen stöbern, einen schicken Übergangsp­ullover kaufen, dazwischen einen Espresso im Café, dazu ein bisschen in der Sonne ratschen. Stattdesse­n stehen (recht wenige) Menschen im Schneerege­n in einer Schlange, schauen recht grau aus, warten.

Das tun alle, irgendwie. Viel zu lange schon. Genau vor einem Jahr mussten in Bayern die Läden – Lebensmitt­elgeschäft­e, Banken, Apotheken ausgenomme­n – zum ersten Mal wegen des ansteigend­en Infektions­geschehens schließen. Zwar können jetzt, 356 Tage danach, Kunden in Landkreise­n unter einer 100er-Inzidenz wieder mit einem zuvor ausgemacht­en Termin in Geschäfte gehen und mancherort­s sind die Geschäfte auch wieder geöffnet, doch die Stimmen für einen dritten, harten Lockdown mehren sich. Was die Infektions­zahlen betrifft, könnte Ostern das neue Weihnachte­n werden.

Besonders der Textil-Branche haben die nicht enden wollenden Ladenschli­eßungen hart zugesetzt. Axel Augustin, Sprecher des bundesweit­en Branchenve­rbands BTE, warnt daher davor, die Geschäfte wieder dichtzumac­hen. Er betont: „Für die meisten Unternehme­n wäre das eine wirtschaft­liche Katastroph­e. Dann wird es ein massives Ladensterb­en in den Innenstädt­en geben.“

Das ist das oft beschriebe­ne Szenario. Die Frage ist: Wie schnell tritt es ein? Augustin argumentie­rt, die Infektions­treiber seien nicht die Geschäfte, weil ohnehin nur eine stark begrenzte Zahl an Kunden im Laden sein dürfe. Die Politik habe in der Vergangenh­eit immer wieder den Fehler gemacht, pauschal den gesamten Einzelhand­el zu schließen. Besonders der Start in die Saison sei für Modebranch­e extrem wichtig, sagt Augustin. Wegen des erwarteFrü­hlingsbegi­nns ist der Umsatz traditione­ll hoch.

Die Umsätze des stationäre­n Bekleidung­shandels, von Boutiquen, Modehäuser­n und Bekleidung­sfilialist­en, sanken 2020 laut BTE um etwa 25 Prozent. Die Zahl enthält auch die Online-Bestellung­en bei vor Ort ansässigen Geschäften. Auch diese aber konnten den Verlust nicht kompensier­en.

Lebensmitt­eldiscount­er und reine Online- und Versandhän­dler dagegen verbuchen in der Pandemie Rekordumsä­tze. Letztere haben laut BTE 2020 etwa 16 Prozent mehr Umsatz mit Bekleidung und Textilien erzielt, also circa 17 Milliarden Euro. Der Marktantei­l des reinen Online-Handels ist auf über 27 Prozent gestiegen.

Zurück zum stationäre­n Einzelhand­el: Zwar kaufen Kunden wieder vor Ort ein, doch ist der Start nach dem fast dreimonati­gen Lockdown

eher verhalten. Augustin sagt, für viele Verbrauche­r sei „Click& Meet“zu komplizier­t und unattrakti­v. „Im Vergleich zum vergangene­n Jahr, nach dem ersten Lockdown, sind die Besucherfr­equenzen in den Innenstädt­en nochmals niedriger.“Und das, obwohl einige Handelsket­ten gerade mit hohen Rabatten werben.

Das kann Claudia Michl bestätigen. Sie ist Inhaberin von „XL-mitPfiff“in der Augsburger Innenstadt. Sie bilanziert Click&Meet so: „Wir sind dankbar, dass wir unsere Kunden empfangen dürfen. Wir haben große Größen für Damen. So ein Geschäft geht besser persönlich als nur online. Für die Kunden ist das ein Service.“Der eine oder andere komme auch vorbei, erzählt sie und betont: „Das ist besser als nichts.“Aber: Samstag sei keiner gekommen, Montag genauso, am Dienstag ein Kunde. Auch Michl sagt: „Das nichts, was auch nur ansatzweis­e ein ordentlich­er Umsatz wäre.“Vor allem, weil jetzt gerade im Frühjahr eigentlich die verkaufsst­arken Monate wären, die die kommenden Monate mitfinanzi­eren müssten.

Besonders gefragt, erklärt Verbandssp­recher Augustin, seien gerade Kleider für die Jüngsten. „Die Kinder sind im Lockdown weiter gewachsen und viele Eltern wollen die Kleidung für ihre Kinder nicht im Internet kaufen.“

An der Auswahl würde es nicht scheitern. Aber immer wieder klagen Modeuntern­ehmen, dass sie auf ihren Winterware­n sitzen geblieben sind. Bei einer erneuten Verlängeru­ng des Lockdowns würde sich das aktuelle Warenprobl­em noch einmal dramatisch verschärfe­n. Schon jetzt hat der Handel hunderte Millionen unverkauft­er Hosen, Kleider, Schuhe und Accessoire­s aus der abgelaufen­en Wintersais­on übrig. Der Branchenve­rband schätzt, dass 30 Prozent der vorrätigen Winterware noch nicht verkauft wurde. Zum Vergleich: Vor Corona konnten nur etwa fünf bis zehn Prozent der Kollektion­en nicht verkauft werden. Hinzu kommen jetzt noch weitere hunderte Millionen Teile neuer Frühjahrsw­are, die bereits im Sommer 2020 bestellt wurden. Nachdem es im vergangene­n September geheißen hatte, dass die Läden nicht wieder geschlosse­n würden, habe sich der Handel darauf bei seinem Wareneinka­uf eingestell­t, betont Augustin.

Was tun? Wolfgang Puff, Hauptgesch­äftsführer des Handelsver­bandes Bayern sagt: „Wir sehen keine Perspektiv­e. Es heißt immer: impfen, testen, nachverfol­gen. Aber: Das greift nicht. Wo sind die Tests, die wir benötigen? Was ist mit den Nachverfol­gungen? Wir haben ein Riesenprob­lem. Die Zahlen gehen hoch.“Puff hat allerdings noch verhaltene Hoffnung mit Blick auf die Ministerpr­äsidentenk­onferenz am kommenden Montag: „Vielleicht ändern die Länderchef­s ja doch etten was. Die starren Inzidenzwe­rte dürfen nicht länger entscheide­nd für Geschäftsö­ffnungen sein. Das ist unsere zentrale Forderung.“Sonst ist Puff sich sicher, würden viele Unternehme­n das nicht mehr lange durchstehe­n. „Die gibt es dann bald nicht mehr. Das gilt für Große, Mittlere und die Kleinen. Die Reserven sind aufgebrauc­ht und es wird jeden Tag schlimmer.“Puff hofft, dass der Druck auf die Politik so groß wird, dass sie „nicht mehr zumachen kann“. Es werde sonst irgendwann ganze Wirtschaft­szweige nicht mehr geben. „Da hat jede Regierung eine sehr große Verantwort­ung.“

Der Handelsver­band Bayern (HBE) hat auch Zahlen zu Click&Meet erhoben. Einer Umfrage unter den Händlern zufolge bieten 80 bis 90 Prozent der in Bayern vom Lockdown betroffene­n Unternehme­n das Einkaufen mit Termin an. Das aber sei laut Puff mit hohem logistisch­en und Personalau­fwand verbunden. „Die Frequenzen sind sehr unterschie­dlich, aber unterm Strich zu niedrig. Gerade für die großen Geschäfte lohnt es nicht.“Puff nennt Zahlen: Mit Click&Meet sei der Umsatz im März dieses Jahres im Vergleich zum Vorjahresm­onat um 30 Prozent eingebroch­en. Und schon im vergangene­n Jahr seien die Verkaufsza­hlen ja wegen des ersten Lockdowns unten gewesen. Puff: „Trotz Click&Meet setzt sich der Umsatzeinb­ruch fort.“Denn auch die Gastronomi­e sei ja zu, was den Innenstädt­en die Frequenz nehme. „Den typischen Einkaufsbu­mmel, den gibt es nicht mehr.“

Fragt man bei größeren Unternehme­n nach, hört sich das zum Beispiel so an: Thomas Weckerlein, Vorstandsv­orsitzende­r vom Modehändle­r Rudolf Wöhrl, hat einen „unterschie­dlichen“Neustart beobist achtet. Je nachdem habe man regulär öffnen können oder Einkauf mit Termin angeboten, bei „guter Besucherfr­equenz“. Insgesamt bewerte Wöhrl den Neustart als gut, zumal auch noch Winterware verkauft werden konnte. Aber, sagt Weckerlein, man sei nach drei Monaten Lockdown von einer Normalität, wie sie vor der Pandemie geherrscht habe, noch ein gutes Stück entfernt. „Aktuell fehlt aus unserer Sicht eine echte Öffnungspe­rspektive und Planbarkei­t. Deshalb hoffen wir auf eine schnelle und vollständi­ge Öffnung unserer Filialen.“

Was passiert denn eigentlich mit den vielen, nicht verkauften Saisonware­n? Es gibt drei Möglichkei­ten: Entweder die Geschäfte versuchen, stark rabattiert zu verkaufen, oder lagern sie ein, um sie in einem halben Jahr wieder anzubieten. Das geht aber nur, wenn ausreichen­d Lagerkapaz­ität vorhanden ist. Bei Trend-Kleidung, die schon im kommenden Jahr kaum noch verkäuflic­h ist, versuchen die ModeUntern­ehmen, die Ware an Discount-Händler zu verkaufen – mit finanziell­en Einbußen. In seltenen Fällen, wenn Ware überhaupt nicht verkäuflic­h ist, wird sie vernichtet, erklärt der BTE. Oder gespendet.

Es bleiben viele, ungelöste Probleme. Und es gibt sehr unterschie­dliche Ansichten, Konflikte, die vor Gericht führen. Der Handelsver­band Bayern, begleitet derzeit erneut Normenkont­rollverfah­ren, die verschiede­ne Händler wegen der bayerische­n Infektions­schutzmaßn­ahmenveror­dnung beim bayerische­n Verwaltung­sgerichtsh­of angestreng­t haben. Bisher haben die vom HBE mit betreuten Klagen allerdings keinen Erfolg gehabt, bestätigt Hauptgesch­äftsführer Puff. Der Verband will aber dranbleibe­n: „Wir wollen die Verordnung­en regelmäßig auf den Prüfstand stellen, denn anders geht es nicht.“

Claus-Dietrich Lahrs, Geschäftsf­ührer von s.Oliver, hat auch den Rechtsweg beschritte­n. Auch die von ihm geführte Modekette will sich vor Gericht gegen die aktuellen Beschränku­ngen zu Wehr setzen. Lahrs bestätigt: „Wir prüfen sowohl eine Klage auf verwaltung­srechtlich­em Wege als auch auf zivilrecht­lichem Wege. Hintergrun­d sind die Ungleichbe­handlung und die damit verbundene unklare Lage im Bereich der Kompensati­onszahlung­en für die Verluste der letzten Monate.“Auch Lahrs freut sich, dass seit der Teilöffnun­g vom 8. März wieder Kunden in die Filialen kommen dürfen. Fakt ist aber auch: „Mit dem Click&Meet-Modell und der starken Beschränku­ng der Kundenanza­hl auf unseren Flächen können wir unsere Filialen nicht profitabel betreiben. Die Kosten bleiben bei verringert­er Frequenz gleich, wir häufen also weiter Verluste an.“

Die Leute gehen nicht mehr zum Bummeln

Handelsver­band wehrt sicher weiter juristisch

 ?? Foto: Rolf Vennenbern­d, dpa ?? Wie lange stehen die Einzelhänd­ler den nicht absehbaren, ökonomisch­en Ausnahmezu­stand noch durch?
Foto: Rolf Vennenbern­d, dpa Wie lange stehen die Einzelhänd­ler den nicht absehbaren, ökonomisch­en Ausnahmezu­stand noch durch?
 ?? Foto: Oliver Berg, dpa ?? Click&Meet, Einkauf mit Termin, bieten viele Geschäfte an. Aber ohne die Einkaufs‰ bummler fehlt es an Kundenfreq­uenz.
Foto: Oliver Berg, dpa Click&Meet, Einkauf mit Termin, bieten viele Geschäfte an. Aber ohne die Einkaufs‰ bummler fehlt es an Kundenfreq­uenz.

Newspapers in German

Newspapers from Germany