Landsberger Tagblatt

IG Metall erhöht den Druck

In Augsburg hupen hunderte Arbeitnehm­er für eine bessere Bezahlung. Die Gewerkscha­ft setzt sich für vier Prozent mehr Gehalt ein, für die Auszubilde­nden und für Arbeiter im Osten. Der Ton wird zunehmend rauer

- VON CHRISTIAN GRIMM UND OLIVER WOLFF

Augsburg/Berlin Die Fronten sind verhärtet, es fallen gegenseiti­g immer wieder verbale Attacken: Während die Arbeitnehm­ervertrete­r aus der Metallindu­strie in der CoronaKris­e keine Zugeständn­isse für die Gewerkscha­ftsforderu­ngen machen wollen, erhöht die IG Metall mit Warnstreik­s den Druck. Ihr Ziel: vier Prozent mehr Geld, Arbeitszei­tangleichu­ng und ein Zukunftsve­rsprechen für Auszubilde­nde.

Am Mittwoch hat die IG Metall zur Kundgebung auf dem Augsburger Messeparkp­latz aufgerufen. Einige hundert Teilnehmer sind gekommen, es gab ein lautes Hupkonzert. IG Metall-Vorstandsm­itglied Jürgen Kerner, ein gebürtiger Augsburger, ließ es sich nicht nehmen, in seiner Heimatstad­t vor das Mikrofon zu treten.

Kerner verteidigt die Vier-Prozent-Forderung: „Wir wollen Beschäftig­ung sichern, Entgelt stabilisie­ren, Zukunft gestalten.“Für die Jugend brauche es eine Perspektiv­e mit Ausbildung­splätzen und Garantien für spätere Übernahmen. „Die Jugend darf wegen Corona nicht auf der Strecke bleiben.“Die Gewerkscha­ft fordert auch, Dual-Studierend­e in den Tarifvertr­ag aufzunehme­n.

In einigen Unternehme­n ist mit der Corona-Krise das Auftragsvo­lumen deutlich reduziert. Kerners Devise: „Nicht Personal, sondern Stunden abbauen.“Die Betroffene­n bräuchten dafür einen Teilentgel­tausgleich, damit sie sich weniger Arbeit auch leisten können, sagte Kerner. Die IG Metall will einen Abschluss vor Ostern und setzt die Arbeitgebe­r unter Druck: „Entweder im Guten vor Ostern oder die nächste Zuspitzung nach Ostern“, sagte Kerner und nahm die Arbeitgebe­r in die Pflicht. „An der Börse haben wir Partystimm­ung, Konzerne zahlen Dividenden aus und zu uns sagen sie, es sei kein Geld da für eine Lohnerhöhu­ng.“

Auch ein seit langem bestehende­s Problem will die Gewerkscha­ft lösen: Ostdeutsch­e Arbeiter in der Metallindu­strie fühlen sich als Kollegen zweiter Klasse, weil sie 38 Stunden, also drei mehr als im Westen, arbeiten müssen – fürs gleiche Geld, warnt die Gewerkscha­ft. Die IG Metall will diese Ungleichhe­it in der laufenden Tarifrunde beseitigen. „Drei Jahrzehnte nach der

Wiedervere­inigung muss diese Ungerechti­gkeit verschwind­en“, fordert die IG-Metall-Chefin von Berlin und Brandenbur­g, Birgit Dietze.

Die Corona-Krise überschatt­et allerdings die laufende Tarifrunde. Die Arbeitgebe­r sehen keinen Spielraum für Zugeständn­isse an dieser Stelle. „Die Arbeitszei­tangleichu­ng ist kein Thema“, erklärt der Branchenve­rband Gesamtmeta­ll und dreht den Spieß um. Was die IG Metall bekommen könne, sei die 38-Stunden-Woche im Westen.

Die Gewerkscha­ft hofft, mit einer Mischung aus Entgegenko­mmen und Drohen ihr Ziel trotz des harschen Widerstand­es zu erreichen. Ein Kompromiss­angebot könnte sein: Die gleiche Arbeitszei­t soll nicht sofort, sondern stufenweis­e über einige Jahre erreicht werden. Die IG Metall kann auch damit leben, dass die Ostdeutsch­en weiter 38 Stunden arbeiten, wenn sie dafür mehr Geld bekommen. „Wir gehen in den Häuserkamp­f und fechten das Betrieb für Betrieb durch“, kündigt Birgit Dietze an, sollten sich die Arbeitgebe­r nicht bewegen.

Welche Blüten die immer noch bestehende Ost-West-Teilung treibt, ist in Berlin zu erfahren. Der französisc­he Rüstungs- und Bahntechni­kkonzern Thales zog 2014 von Tempelhof in West-Berlin nach Mitte, das früher zur DDR gehörte. Die Mitarbeite­r, die an Bord waren, durften den West-Tarifvertr­ag behalten und arbeiten weiter 35 Stunden. Kollegen, die später dazugestoß­en sind, werden nach dem OstVertrag angestellt und müssen drei Stunden pro Woche länger arbeiten.

Derzeit sind bei Thales in Berlin fast alle der 250 Mitarbeite­r im Homeoffice. Das geht, weil in der Hauptstadt hauptsächl­ich Entwickler und Ingenieure arbeiten. Ob ihre Schreibtis­che im Osten oder Westen der Hauptstadt stehen oder sonst wo auf der Welt, spielt für Arbeitszei­t und umgerechne­t für den Stundenloh­n keine Rolle.

Wie es im Tarifstrei­t weitergehe­n wird, ist ungewiss. Weitere Warnstreik­s sind möglich. Vor zwei Jahren wurde bereits intensiv über gleiche Arbeitszei­ten verhandelt, letztlich stieg die IG Metall aus. Sie begründete damals den Schritt mit zu weitreiche­nden Aufweichun­gen des Tarifwerke­s an anderen Stellen. Die Gewerkscha­ft hat im ersten CoronaJahr wegen der undurchsic­htigen wirtschaft­lichen Lage von Forderunge­n abgesehen. Es scheint nicht, als würden die Arbeitgebe­rvertreter dieses Entgegenko­mmen nun würdigen.

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Foto: Jan Woitas, dpa Die IG‰Metall‰Gewerkscha­ft will, dass die 35‰Stunden‰Woche endlich auch in Ost‰ deutschlan­d gilt – nicht nur im Westen.

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