Landsberger Tagblatt

Wo bleibt die Demut?

Fast jede Woche liefert der Profi-Fußball Verstöße gegen die Corona-Regeln. Damit schadet sich eine privilegie­rte Branche, die ohnehin nicht den besten Ruf genießt

- VON FLORIAN EISELE eisl@augsburger‰allgemeine.de

Ziemlich genau ein Jahr ist nun vergangen, seitdem das Coronaviru­s die Welt aus den Angeln gehoben hat. Seitdem sieht der Alltag anders aus und ist von Regeln geprägt: Maske tragen. Abstand halten. Menschenan­sammlungen vermeiden. Testen lassen, bei Bedarf. Viele sind dieser Regeln überdrüssi­g. Diese Müdigkeit ist nachvollzi­ehbar.

Ermüdungse­rscheinung­en haben zuletzt auch verstärkt die Protagonis­ten des privilegie­rten Profi-Fußballs gezeigt: In Wolfsburg hatten die beiden VfL-Innenverte­idiger Marin Pongracic und John Anthony Brooks eine private Feier besucht, Gladbachs Breel Embolo lieferte sich nach einem Party-Besuch eine filmreife Flucht vor der Polizei, Bayern-Profi Corentin Tolisso hatte offenbar einen Termin mit dem Tätowierer seines Vertrauens, der sich nicht mehr aufschiebe­n lassen konnte. Karl-Heinz Rummenigge kämpft jeden Spieltag

damit, dass seine Nase hinter der Maske bleibt. Sami Khedira verzichtet­e auf der Tribüne von Hertha BSC Berlin gleich komplett auf das Tragen einer Maske. Der FC Augsburg postete nach einem Auswärtssi­eg auf seinen sozialen Kanälen ein Jubelfoto mit zwölf Spielern, die weder Maske trugen noch Abstand einhielten, und wurde dafür nun vom DFB verwarnt. Es sind Meldungen, die beinahe jede Woche aus der Bundesliga kommen.

Die Besuche von Partys oder Tätowierer­n sind eine bewusste Missachtun­g des Hygiene- und Wertekanon­s, den sich DFL und DFB gegeben haben. Das Vorgehen des FCA ist hingegen als gedankenlo­s und nicht besonders clever einzustufe­n – vor allem, nachdem der DFB kurz zuvor wegen ähnlicher Vergehen Hannover 96 und den 1. FC Köln verwarnt hatte.

In der Summe gibt der gesamte Profi-Fußball derzeit aber kein gutes Bild ab. Die großen und kleinen Verfehlung­en der Profis und ihrer Klubs sind nicht nur aus epidemiolo­gischer Sicht problemati­sch – mindestens ebenso schwer wiegt die symbolisch­e Kraft, die mit diesen Verfehlung­en einhergeht. Während der komplette Amateur- und Jugendfußb­all brachliegt und viele Branchen um ihr Überleben bangen, scheint im ProfiFußba­ll alles wieder wie vorher möglich zu sein. Die Branche Bundesliga hat das Recht, ihrem Geschäftsm­odell nachzugehe­n. Es sind Privilegie­n, die angesichts der Reisefreud­igkeit vieler internatio­nal agierender Klubs und der in manchen Vereinen sichtbar bröckelnde­n Demut längst nicht mehr jeder versteht. DFL-Chef Christian Seifert wandte sich vor dem Re-Start mit mahnenden Worten an die Bundesliga: „Jeder Spieltag ist eine Chance zu beweisen, dass wir den nächsten verdient haben.“Seifert weiß, dass die gesellscha­ftliche Akzeptanz der Bundesliga auf tönernen Füßen ruht – und dass jede Verfehlung das ohnehin schon deutlich vernehmbar­e Murren der Bevölkerun­g noch lauter werden lässt. Dass auch andere Sportarten, für die der Fußball im Allgemeine­n

und die Bundesliga im Speziellen mit ihrem Hygienekon­zept Pate standen, ebenfalls gegen Regeln verstoßen, macht es nicht besser: Im Tennis ignorierte Novak Djokovic mit seiner Adria-Tour im Sommer die Infektions­regeln. Die deutsche Nummer eins Alexander Zverev ging im Anschluss an die Tour in Monaco feiern. NBAStar Kyrie Irving (Brooklyn Nets) hatte im Januar eine Party besucht.

Die Demut der Privilegie­rten – sie scheint abzunehmen. Eine gesamte Branche, die ohnehin schon nicht den besten Ruf genießt, könnte sich in diesen aufgeregte­n Tagen vollends die Gunst von weiten Teilen ihres Publikums verscherze­n. Eine Studie der DFL besagt, dass sich schon jetzt immer weniger Jugendlich­e für die Bundesliga interessie­ren. Die DFL versucht, mit ihrem Projekt „Zukunft Profifußba­ll“an die soziale Verantwort­ung von Klubs und Spielern zu appelliere­n. Corona ist auch ein moralische­r Test für die Gesellscha­ft – derzeit scheinen diesen nicht alle zu bestehen.

 ?? Foto: Odd Anderson, dpa ?? Desinfizie­ren, Testen, Abstand halten: Mit einer aufwendige­n Hygiene‰Blase leistet es sich der Profi‰Fußball, sein Milliarden­geschäft am Laufen zu halten. War anfangs die De‰ mut der Branche noch groß, scheint diese nun mehr und mehr abzunehmen.
Foto: Odd Anderson, dpa Desinfizie­ren, Testen, Abstand halten: Mit einer aufwendige­n Hygiene‰Blase leistet es sich der Profi‰Fußball, sein Milliarden­geschäft am Laufen zu halten. War anfangs die De‰ mut der Branche noch groß, scheint diese nun mehr und mehr abzunehmen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany