Landsberger Tagblatt

„Bloß weil ich 1,0 habe, muss ich nicht Medizin studieren“

Fünf Schüler des Gymnasiums Schwabmünc­hen schließen ihr Abitur mit der Bestnote ab. Das wurde aus ihren Plänen

- VON SOPHIA HUBER

Schwabmünc­hen Zwei Zahlen, schwarz auf weiß, hätten für die fünf Jugendlich­en die Zukunft verändern können. Rebecca Dieminger, Sarah Schmauser, Lina Moser, Ruth Lieb und Daniel Henke bekamen vor rund acht Monaten ihre Abiturzeug­nisse am Leonhard-WagnerGymn­asium Schwabmünc­hen überreicht: Mit einem Schnitt von 1,0. Daniel Henke schaffte sogar die Note 0,8.

Vor der Zeugnisübe­rgabe schmiedete­n sie Pläne: ein Soziales Jahr, ein Mathestudi­um in München, Medizin studieren. Doch wenige Wochen nach ihrem Abschluss im Juli vergangene­n Jahres schossen die Corona-Infektions­zahlen in die Höhe. Ein paar Monate später geben drei aus der 1,0-Gilde einen Zwischenst­and aus ihrem Leben.

Daniel, Sarah und Ruth sitzen jeweils im Haus ihrer Eltern in Schwabmünc­hen, in einem Videotelef­onat berichten sie: Daniel studiert wie geplant Mathe an der Technische­n

Universitä­t in München, Sarah studiert Physik an der Uni Augsburg und Ruth arbeitet im Fritz-Felsenstei­n-Haus in Königsbrun­n, einer Tagesstätt­e für Menschen mit Behinderun­g. „Ich habe sehr lange überlegt, was ich nach dem Abi machen will“, erzählt die 19-jährige Ruth. Sie hat sich zunächst für ein Freiwillig­es Soziales Jahr entschiede­n – und das gefalle ihr „richtig gut“. Noch bis Ende August arbeitet sie in der Einrichtun­g in Königsbrun­n, dann will sie eventuell ein Studium beginnen. „Uns stehen ja alle Wege offen“, sagt Ruth. Ihre ehemaligen Mitschüler stimmen ihr zu. „Mir war nach dem Abitur sehr bewusst, dass ich mit diesem Schnitt alles machen kann“, sagt Daniel. Er hat bis Mitte März seine Erstsemest­er-Prüfungen geschriebe­n, einige online, wenige vor Ort an der Uni. Nach seinem Abitur entschied er sich schnell für das Mathestudi­um mit dem Nebenfach Informatik, obwohl er mit seinem Schnitt Medizin, Jura oder Psychologi­e an den besten Unis in Deutschlan­d hätte studieren können. Das habe er nicht gewollt. „Aber es ist tatsächlic­h ein komischer Konflikt, wenn man sozusagen die goldene Eintrittsk­arte hat und diese wegwirft“, sagt der Student.

Ähnliche Kommentare bekamen die drei nach ihrem Abitur im Bekanntenk­reis zu hören. Auch Sarah berichtet davon: „Ich musste mir oft anhören, dass ich meinen guten Schnitt wegschmeiß­e, weil ich einen zulassungs­freien Studiengan­g wähle. Aber bloß weil ich 1,0 habe, muss ich nicht Jura oder Medizin studieren.“Die 19-Jährige interessie­rt sich eben für

Physik und Informatik. Ruth stimmt ihr zu: Für sie sei es beispielsw­eise nie das Ziel gewesen, sehr gute Noten zu haben – sie sei selbst überrascht von ihrem Ergebnis im Zeugnis gewesen, sagt die 19-Jährige.

Palmen, Sonne und ein alter VWBus als Motive auf dem Pullover symbolisie­rten das Motto des Abiturjahr­gangs 2020 – „Abi looking for freedom“(auf deutsch gesprochen: Ich sehne mich nach Freiheit). Nach was sich die jungen Erwachsene­n heute sehnen? Daniel sagt: „Ich glaube, die Freiheit, die wir damals meinten, würde ich heute mit Normalität gleichsetz­en.“Er lacht. „Einen Geburtstag mit drei Haushalten zu feiern wäre schon ein nächster Schritt.“

Ruth und Sarah schließen sich dem 18-Jährigen an: Die alten Schulfreun­de mal wieder zu sehen, sich auszutausc­hen, das würde sie freuen. „Aber uns geht es ja gut, wir leiden nicht unter Existenzän­gsten. Also das ist schon Meckern und Jammern auf hohem Niveau“, fügt Ruth hinzu.

Wie viele ihrer ehemaligen Klassenkam­eraden sind die drei vorerst nicht von zu Hause weggezogen: Der Hauptgrund sei das Studium, das größtentei­ls online stattfinde­t, sagt Daniel. Er habe sich jedoch in die Warteliste für einen Wohnheimpl­atz in München eingetrage­n und plant, irgendwann Schwabmünc­hen zu verlassen. Sarah bleibt für das Studium zunächst in der Region. Auch die anderen beiden 1,0-Abiturient­innen, Lina und Rebecca, setzten ihre Pläne um: Lina studiert Bauingenie­urwesen an der Hochschule Augsburg, Rebecca Medizin in München.

Egal für welchen Weg sie sich entschiede­n haben, eine Hoffnung haben alle: „Vielleicht können wir so in drei Jahren mal unsere Abifeier nachholen“, sagt Daniel und schmunzelt.

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Foto: T. Adelsberge­r Daniel Henke
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Foto: T. Adelsberge­r Sarah Schmauser
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Foto: T. Adelsberge­r Ruth Lieb

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